Geographische Koordinaten

[385] Geographische Koordinaten eines Punktes auf der Erdoberfläche nennt[385] man die Bestimmungsstücke, welche zu seiner Festlegung mit Bezug auf gewisse Fundamentalebenen im Gebrauch sind. Es sind die geographische Breite und die geographische Länge und streng genommen auch die Höhe des Punktes über dem Meereshorizont an der betreffenden Stelle der Erde.

Die Definition der Breite ist dadurch einfach, daß man den Erdäquator als Ausgangsebene benutzen kann, während für die Länge eine solche gegen andre Meridianebenen ausgezeichnete nicht vorhanden ist und man daher eigentlich nur von »Längendifferenzen« gegenüber einem willkürlich angenommenen Ausgangsmeridian sprechen kann. Die geographische Breite eines Ortes ist dann der Winkel, welchen das Lot an dem betreffenden Punkte mit seiner senkrechten Projektion auf die Aequatorebene einschließt. Die Längendifferenz ist der Winkel, welchen die Ebene des Ortsmeridians mit dem Ausgangsmeridian einschließt. – Als Ausgangsmeridiane sind im Laufe der Zeit verschiedene vorgeschlagen worden, so früher der Meridian von Ferro (tatsächlich der Meridian von Paris, da der Meridian von Ferro dadurch definiert wird, daß er 20° weltlich von demjenigen, der durch das Observatorium von Paris geht, liegen soll; danach geht er gar nicht mehr durch die Insel Ferro selbst); jetzt sind fast nur noch die Meridiane von Paris (für viele topographische Zwecke und für die nautischen Rechnungen der Franzosen) und der von Greenwich (fast für alle neueren Kartenwerke und bei den nautischen Rechnungen aller Völker mit Ausnahme der Franzosen) in Benutzung. Für die jederzeit mögliche Verifikation der Längenbestimmungen ist es unbedingt notwendig, die Ausgangsmeridiane mit denen großer Sternwarten zusammenzulegen. Dieselben sind dann gewöhnlich bestimmt durch den Vertikalkreis, in welchem die ideale Absehenslinie des Hauptmeridianinstrumentes (Meridiankreis) liegt oder ein andrer besonders sicher bezeichneter Punkt (z.B. auch die Mitte einer Kuppel u.s.w.). Die Breitenzählung erfolgt vom Aequator aus nach Norden (nördliche Breite) und nach Süden (südliche Breite) von 0 bis 90°, die Längenzählung entweder vom Nullmeridian nach Welten herum bis 360° oder nach beiden Richtungen bis je zu 180°; dann muß aber der Gradangabe »östlich« oder »weltlich« beigefügt werden.

Im vorstehenden ist zum Teil stillschweigend die mathematische Erdoberfläche als die einer geometrisch einfach zu definierenden Fläche vorausgesetzt. Wenn man keine solche Voraussetzung über die Art der Niveaufläche der Erde macht, so ist die Meridianebene im Beobachtungspunkte zu definieren als die Ebene, die durch die Lotrichtung im Beobachtungspunkt und die von diesem nach dem sichtbaren Himmelspol gezogen gedachte Gerade gelegt wird. Die geographische Länge bleibt der Winkel zwischen dieser Ebene und der als Nullmeridian angenommenen Anfangsmeridianebene. An der Definition der geographischen Breite ändert sich nichts Wesentliches. Die Lotrichtung in einem beliebigen Ort der Erdoberfläche schneidet nun aber im allgemeinen die Erdachse nicht mehr; die einzelnen Meridianebenen sind parallel zur Erdachse, enthalten sie aber nicht mehr (doch sind die Abstände natürlich klein zu denken); ein auf der Erdoberfläche gezogener Meridian (Verbindungslinie der Punkte mit derselben geographischen Länge) ist keine ebene Kurve mehr; ebenso sind der Aequator und die Parallelkreise der Erdoberfläche (Verbindungslinien der Punkte mit derselben geographischen Breite) doppelt gekrümmte, unregelmäßige Linien [2].

Ueber die schon von Bessel vermutete, aber erst in neuerer Zeit von Küstner erkannte kleine Veränderlichkeit der geographischen Koordinaten eines Punktes vgl. den Art. Erdachsenschwankung.


Literatur: [1] Hammer, Nullmeridian und Weltzeit, Hamburg 1888. – [2] Helmert, Theorien der höheren Geodäsie, Bd. 1, Leipzig 1880, S. 8, 9; an der Hand der Potentialtheorie weiter ausgeführt in Bd. 2, Leipzig 1884, S. 47–49. Auch sind viele hierhergehörige Abhandlungen in den Berichten der Konferenzen der Internationalen Erdmessung enthalten, ebenso in der Zeitschr. für Vermessungswesen, namentlich von Hammer und Jordan.

Ambronn.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 385-386.
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