Tochter, die

[611] Die Tochter, plur. die Töchter, Diminut. Töchterchen, Oberd. Töchterlein, ein Kind weiblichen Geschlechts, eine Person weiblichen Geschlechts, so fern sie ihr Wesen durch unmittelbare Mittheilung von einer andern empfangen hat; wie Sohn eine solche Person männlichen Geschlechts bezeichnet. 1 Eigentlich in Beziehung auf die unmittelbaren Ältern. Jemandes Tochter seyn. Eine Tochter ausstatten, verheirathen. Mit einer jungen Tochter nieder kommen. Der Schwester Tochter, oder die Schwestertochter, des Bruders Tochter. 2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. 1) Eine Person weiblichen Geschlechtes in Beziehung auf eine andere, so fern ein ähnliches Verhältniß der Erziehung, der Erhaltung, des Unterrichtes u.s.f. zwischen beyden Statt findet. Eine Pflegetochter, Stieftochter, Schwiegertochter, Beichttochter. In einigen Oberdeutschen Gegenden wird eine Pathe auch eine Tauftochter genannt. 2) Ältere Personen pflegen daher jüngere Personen weiblichen Geschlechtes, welche den Jahren nach von ihnen abstammen könnten, in der vertraulichen Sprechart meine Tochter anzureden. 3) In der Deutschen Bibel werden die weiblichen Personen eines Landes oder eines Ortes häufig deren Töchter genannt, welche Figur auch noch jetzt in der höhern Schreibart üblich ist. Die Töchter des Landes, 1 Mos. 27, 46. Die Töchter Jerusalems, Babels, Zions u.s.f. Nach einer ähnlichen Figur nennet die höhere Schreibart eine Person oder auch ein Ding weiblichen Geschlechtes, welches auf irgend eine Art in einem andern Dinge gegründet ist, dessen Tochter. Liebe, du Tochter der Natur! Die Musik ist eine Tochter des Vergnügens. 4) Nach einer andern Figur heißt oft eine jede junge unverheirathete Person eine Tochter, besonders im Plural. Thun, was jungen Töchtern nicht geziemet.

Anm. Bey dem Ulphilas Dauthar, im Isidor Dohter, bey dem Willeram Tohter, bey dem Ottfried Dohter, im Nieders. Dochter, im Angels. Dohtor, im Engl. Daughter, im Dän. Dotter, im Schwed. Doter, im Böhm. Deera, im Pers. Dochter, im Griech. θυγάτηρ; woraus das hohe Alter und der weite Umfang dieses Wortes hinlänglich erhellet. Die letzte Sylbe ist die Ableitungssylbe -er, welche eine Person, ein Subject bezeichnet. Dietrich von Stade und Wachter leiten dieses Wort mit vieler Wahrscheinlichkeit von zeugen, alt Sächsisch tügen, bey dem Ulphilas tiuhan, ab, so daß Tochter, eigentlich eine von einer andern unmittelbar gezeugte Person bedeuten würde. So wie man von Sohn ehedem im weiblichen Geschlechte die Sohninn[611] oder Söhninn sagte, so scheint Tochter ehedem auch im männlichen Geschlechte für Sohn üblich gewesen zu seyn; wenigstens verstatten solches so wohl die Endsylbe als die Abstammung. Indessen muß dieser Gebrauch längst veraltet seyn. Im Oberdeutschen ist der Dichter, Diechter oder Tiechter noch jetzt so wohl ein Enkel, als eine Enkelinn, Urtiechter, ein Urenkel und eine Urenkelinn, der Tiechtersmann, der Ehemann der Enkelinn, die Tiechtersfrau, die Ehefrau des Enkels u.s.f. welches mit unserm Tochter unstreitig ein und eben dasselbe Wort ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 611-612.
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