Ludwig der funfzehnte

[425] [425] Ludwig der funfzehnte, König von Frankreich, zweiter Sohn des zweiten Dauphins, Urenkel Ludwigs XIV. geb. 1710. Der Tod, welcher in den letzten Jahren Ludwigs XIV. wie in dem vorhergehenden Artikel bemerkt worden, große Verwüstungen in der königlichen Familie anrichtete, raubte der Französischen Nation an Ludwigs XV. Vater (nach seinem frühern Namen als Herzog von Bourgogue bekannt) einen künftigen König, dessen Regierung wahrscheinlich der Revolution unter Ludwig XVI. vorgebeugt haben würde, welche vorzüglich durch die Regierung Ludwigs XV. vorbereitet worden ist. Ludwigs Vater war entschlossen, wenn er auf den Thron steige, die Regierungsform von selbst zu verändern und dem Volke seine verlornen Rechte wieder zu geben. Frankreichs künftige Ruhe und dessen revolutionaire Reform lagen also gegen das Ende der Regierung Ludwigs XIV. neben einander in der Wage des Schicksals. – Der Herzog von Orleans, welcher nach Ludwigs XIV. Testamente bloß den Vorsitz in einem großen, die Regentschaft führenden Rathe haben sollte, während die Erziehung des jungen Königs, welcher bei Ludwigs XIV. Tode noch nicht sechs Jahre alt war, dem Herzog von Maine, einem natürlichen Sohne des Königs, überlassen sein sollte, stieß dieses Testament mit Zustimmung des Parlaments und der Prinzen vom Geblüte um, und ward alleiniger Regent. Der berüchtigte Dubois, vormahliger Lehrer des Herzogs Regenten, welcher den Leidenschaften dieses leichtsinnigen Prinzen schmeichelte, und sich völlig zum Meister desselben gemacht hatte, ward dirigirender Minister, in welcher Charge er niedrig genug dachte, seinen eignen Vortheil zum Hauptaugenmerk zu machen, so daß ihm der Cardinalshuth, nach welchem er strebte, nun wohl nicht entgehen konnte. Da auf den Fall des Todes des jungen Königs der Herzog von Orleans (zu Folge der im vorigen Artikel erwähnten Renunciationen zu Verhinderung einer künftigen Vereinigung der Kronen Spanien und Frankreich) zwar unstreitiger Erbe der Französischen Krone, es aber gleichwohl höchst wahrscheinlich war, daß man die Renunciation auf Frankreich Spanischer Seits nicht sehr achten werde: so veränderte sich das politische System von Frankreich unter dem [426] Herzog Regenten, und er schloß sich an England an, um künftig eine Stütze an demselben zu haben; doch stand auch überdieß Dubois in Englischem Solde. Im Innern von Frankreich ziehen unter der Regentschaft vorzüglich zwei Gegenstände unsere Aufmerksamkeit auf sich, die Zerrüttung der ohnedieß sinkenden Finanzen des Reichs wie des National-Wohlstandes durch den von Law entworfenen Actienplan (eine ausführliche Nachricht hiervon liefert der Artikel Law), und dann das immer höher und höher steigende Sittenverderbniß, wozu vorzüglich der Regent durch sein eignes Beispiel beitrug. Im Jahr 1723 trat Ludwig XV. wenigstens dem Namen nach, die Regierung an, ließ aber den Herzog, unter der Benennung eines ersten Ministers, die Regentschaft fortsetzen, welches jedoch nur kurze Zeit der Fall war, da der Herzog, wie Dubois, dasselbe Jahr starb. Ludwig XV. war offenbar weniger dazu gemacht, zu regieren, als regiert zu werden: indeß erregte er in seiner Jugend manche gute Hoffnung; er war nicht ohne Fleiß, und man glaubte auf sein Herz rechnen zu dürfen. Der verdiente Fleury (s. diesen Art.) war sein Hofmeister, und vermochte viel über ihn; auch wurde demselben (nachdem er den Herzog von Bourbon-Conde, welcher nach des Regenten Tode Premierminister ward, gestürzt hatte) i. J. 1726 die Direction aller Geschäfte übertragen. Fleurys Hauptaugenmerk war die möglichste Herstellung der Finanzen durch Sparsamkeit; nur schade, daß er zu vielen Antheil an den Streitigkeiten wegen der Bulle Unogenitus nahm. Er war durchaus für den Frieden; nur an dem zweijährigen Kriege (1733 – 1735), der nach Königs Augusts II. von Pohlen Tode 1733 (als dessen Nachfolger Ludwig XV. seinen Schwiegervater, den edlen Stanislaus Lesczinsky, zu sehen wünschte, und deßhalb erklärte, daß die Freiheit der Wahl durch keine fremde Macht gestört werden solle) die Allianz des Kaisers mit dem neuen Churfürsten von Sachsen, nachherigen König August III. von Pohlen, zwischen Frankreich und dem Kaiser veranlaßte, nahm er Antheil, und erwarb Frankreich durch die Wiener Präliminarien das Herzogthum Lothringen, welches jedoch dem aus Pohlen fliehenden Lesczinsky bis an seinen Tod gesichert wurde. Der i. J. 1740 durch den Tod Kaiser[427] Carls VI. veranlaßte Oestreichsche Successionskrieg schien dem Französischen Marschall Belleisle die beste Gelegenheit darzubieten, die Oestreichsche Macht zu zerstückein und zu schwächen; er ruhte daher nicht eher, bis Frankreich wider Oestreich Partei ergriff, mit welchem letztern England verbunden war. Des alten Fleury Sparsamkeit war den Fortschritten der Franzosen im Anfange nicht wenig nachtheilig (Fleury starb indeß 1743); sie verloren besonders viel zur See, da hingegen sie, besonders in den letzten Jahren unter dem großen Grafen Moritz von Sachsen, zu Lande überaus siegreich waren: und dieser Krieg endigte sich nacht acht Jahren durch den Aachner Frieden 1748, zwar ohne Verlust, aber, welches in einem so langen Kriege dem Verlust gleich kommt, auch ohne Gewinn für Frankreich; (s. der Aachner Friede). Ludwig XV. hatte einige Campagnen in diesem Kriege selbst mitgemacht: und als er zu Metz in eine schwere Krankheit fiel, wurde ihm der Name le bien aimé »der Vielgeliebte« beigelegt; ein Name, dessen er schon jetzt nicht werth war, dessen er sich aber besonders nach dem Aachner Frieden immer unwürdiger machte, von welcher Zeit an er zur größten Indoleranz und Sinnlichkeit herabsank, und sich und die Regierungs-Administration ganz der berüchtigten Pompadour überließ (s. Pompadour). Die Finanzen, die Seemacht, die Landmacht, alles litt unglaublich hierunter. In dieser traurigen Lage war es, daß Frankreich wegen gewisser Irrungen in Amerika in einen Seekrieg mit England verwickelt wurde (1754). Dieser Krieg wäre allein hinreichend gewesen, Frankreich im Athem zu erhalten; allein es trat noch, vermöge der sonderbarsten Coalition mit Oestreich 1756 (durch welche man plötzlich zwei Mächte vereint sah, die seit drei hundert Jahren die größten Feinde gewesen waren), dasselbe Jahr (1756) dem berühmten siebenjährigen Kriege zu Lande bei. Die Franzosen verloren zu Wasser und zu Lande in einem Grade, welcher selbst, besonders durch die Schlacht bei Roßbach (d. 5. Nov. 1757), ihrer militairischen Ehre höchst nachtheilig wurde; und sie mußten sich am Ende noch glücklich preisen, durch die Bemühungen des thätigen Choiseul (welcher 1758 dirigirender Minister der auswärtigen [428] Angelegenheiten ward (s. den Art. Choiseul), 1762 mit England den Frieden zu Fontainebleau zu schließen (in welchem sie Canada bis an den Missisippistrom, Cap Breton und die Inseln Grenada, Tabago, St. Vincent und Dominique verloren) und dann von dem Schauplatz abzutreten. Choiseul führte noch immer das Ruder des Staats; ein Mann von ungemeiner Thätigkeit, welcher viele Reformen vornahm, von denen freilich nicht alle Frankreich zum wahren Vortheil gereichten. Er hatte während des letzten Kriegs i. J. 1761 den Bourbouschen Familientractat und die daraus entspringende Theilnehmung Spaniens an dem Kriege bewirkt (welche jedoch für Frankreich keine große Hülfe war); nach dem Kriege zeichnete er seine Ministerschaft durch die Vertreibung der Jesuiten aus Frankreich (s. die Jesuiten) und die Erwerbung von Corsica (1769) (s. diesen Art.) aus. Unterdessen war die Du Barry (s. dies. Art.) an die Stelle der Pompadour getreten; diese stürzte, in Vereinigung mit dem Kanzler Manpeou, den Herzog von Choiseul (1770), welcher beide beleidigt hatte, und erhob den Herzog von Aiguillon auf dessen Posten (s. Du Barry und Choiseul), dessen Prozeß die Veranlassung war, daß der König, oder vielmehr der Kanzler Maupeou, dem sich der König hierin überließ, in der Nacht vom 20. Jan. 1771 die Parlamentsglieder durch versiegelte Cabinetsordres aus Paris verwies; eine Unternehmung, welche kein König von Frankreich je für möglich gehalten hätte. Ein dem Kanzler Maupeou würdiges Gegenbild war der Generalcontrolleur der Finanzen, der Abbeʼ Terrai, der das Land ungeheuer aussog, während er sich ein jährliches Einkommen von 1,200,000 Livres erwarb. Der König, weicher immer tiefer und tiefer herabsank, so sehr ihn auch die That des berüchtigten Damiens (s. diesen Art.) und eine Menge häuslicher und politischer Unglücksfälle zu einiger Erkenntniß hätten bringen können, starb endlich den 10. Mai 1774 als eine persönliche und politische Null, und hinterließ eine Schuldenlast von 4000 Millionen Livres. Indeß hatte die Denkart der Franzosen über politische so wie über religiöse Gegenstände vorzüglich durch Montesquieu, Voltaire, die Encyclopädisten und Rousseau einen gewaltigen [429] Stoß erlitten, welcher sich unter der folgenden Regierung immer weiter fortpflanzte, und gewiß nicht wenig zur Herbeiführung der während derselben erfolgten Revolution beigetragen hat.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 425-430.
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