Der Tiers-Etat

[174] Der Tiers-Etat (Gesch. der Franz. Revol.) machte ehedem in Frankreich den dritten Stand der Unterthanen aus, und begriff alle die Personen, welche weder zum Adel, noch zu der Geistlichkeit gehörten. Die Verachtung, womit die beiden letzten Classen auf ihn herabsahen, ist leider bekannt genug. Angesehene Stellen im Militär waren ihm ein für allemahl in den letzten Zeiten der Monarchie versagt, und zu den Stellen [174] am Hofe konnte er unter keinen Bedingungen Zutritt finden. Es ist traurig, daß sogar Gelehrte von entschiednen Kenntnissen in die große Masse des Tiers-Etat eingeworfen wurden, und deßwegen ohne ausgezeichnete Belohnungen blieben, wenn ihnen nicht etwa einige persönliche Verdienste, vorzüglich die Gabe des Witzes, zu Hülfe kamen. Unter den Bürgerlichen, die zum Kaufmannsstande gehörten, wurde der Banquier allenfalls noch zu der so genannten guten Gesellschaft gezogen; der bloße Marchand blieb davon: ausgeschlossen, wenn nicht etwa dringende Geldbedürfnisse einen von Adel, oder von der Geistlichkeit nöthigten, ihn aufzusuchen. Diese Vorurtheile dauerten bis auf die neuesten Zeiten. Man erinnert sich noch, welches Aufsehen die Schrift des berühmten Sieyes machte, die im Jahre 1788 erschien, und worin die Rechte des Bürgerstandes in Frankreich zuerst gründlich untersucht wurden. Der Adel und die Geistlichkeit haben seitdem ihre ehemahligen Vergehungen gegen diese Classe hart büßen müssen, und der Bürgerstand hat sich durch die bittersten Kränkungen an ihrem Vermögen und ihrer Person beinahe zu empfindlich an ihnen gerochen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 174-175.
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