Vaudeville

[301] Vaudeville (spr. Wohdʼ wihl) ist eigentlich eine in Frankreich einheimische Art von Volksliedern mit mehreren Couplets (Strophen), worin die Sitten der Zeit satyrisch geschildert, auch wohl lebende Personen angegriffen werden. Den Ursprung dieser Benennung giebt man sehr verschieden an; man will ihn schon in die Zeiten Carls des Großen setzen: allein andere schreiben, vielleicht richtiger, die Erfindung einem gewissen Basselin aus Vire in der Normandie zu; und weil man sich dann an einem Orte [301] nahe bei dieser Stadt (Val- oder Vau de Vire) versammlete, um nach solchen Gesängen zugleich zu tanzen, so wären diese davon Vandevires – woraus man nachher Vandevilles gemacht hätte – genannt worden. Dem sei, wie ihm wolle, so ist es wohl nicht zu bezweifeln, daß das Vaudeville hauptsächlich den Franzosen zugehört, die auch in dieser Art von Unterhaltung ihr höchstes Vergnügen finden. Jeder Gegenstand, der auf irgend eine Art Publicität erlangt, wird denn auch bald, nach dem muntern und witzigen Charakter dieser Nation, ein Gegenstand fürs Vaudeville, das man dann auf allen Straßen und bei jeden Gelegenheiten absingen hört. Daher pflegt man es gewöhnlich in unserer Sprache mit dem Worte Gassenhauer, aber wohl nicht richtig, wenigstens öfters in ganz anderm Sinne, zu belegen. Kein Wunder also auch, daß sich diese Art von Volksliedern aufs Theater übertrug, und die so genannten

Vaudevillestücke – wo der Dichter die in den Plan seines Stücks passenden Volkslieder mit der Prosa, die das Ganze gleichsam zusammenreiht und nach den gangbaren Melodieen genau vereiniget – entstanden. Da nehmlich die so genannten wandernden Bühnen in Frankreich durch das, auf Anregung der stehenden Schauspieler-Gesellschaften, ergangene Verbot (zu Anfang des vorigen Jahrhunderts), Comödien mit Dialogund Monolog aufzuführen, gezwungen waren, sich bloß auf Pantomimen einzuschränken, gleichwohl sich unmöglich alles durch Mienen und Geberden ausdrücken ließ, so gaben sie Blätter aus, worauf sie Verse nach bekannten Volksliedern schrieben, welche die darstellende Idee ausdrückten: diese Verse nun begleitete das Orchester mit Musik, die Schauspieler mit Geberden; dadurch wurden denn die Zuschauer zum Mitsingen gereitzt, und die Sache gefiel außerordentlich. Bald fingen die Schauspieler nun selbst an, die Vaudevilles abzusingen, nach und nach mischte man Prosa mit ein, und so entstanden diese Vaudevillestücke, wovon der bekannte le Sage (s. dies. Art.) eigentlich der erste Erfinder war. Daß diese Gattung Theaterstücke bei den Franzosen, deren Charakter und Genie sie so angemessen waren, sehr viel Beifall fand, ist leicht einzusehen, besonders da man meistentheils ernsthafte [302] Stücke und Opern darin parodirte. In der Folge, und selbst in den neuern Zeiten haben diese Stücke besonders dann immer noch großen Beifall gefunden, wenn der Schauspieler Witz genug hat, häufige Anspielungen auf die Geschichte des Tages, oder Spott und Satyre über bekannte Vorfälle mit einzumischen.

Auch im Deutschen hat man Versuche der Art neuerlich gemacht – ungeachtet man behaupten will, daß eigentlich diese Vaudev. Stücke in Deutschland und vor Opitz (s. dies. Art.) als Volksliederspiele eben so gut wie in Frankreich bekannt, ja dort selbst zu Hause gewesen –; allein mit Recht bemerkt Reichard (der allerdings das Verdienst hatte, mit seinem Liederspiele: Liebʼ und Treue zuerst hiezu für Deutsche den Ton anzugeben), daß es dazu bei uns an witzigen und satyrischen Liedern fehle, um denselben Effect, wie die Franzosischen, damit zu erreichen. Auch will Reichard mit jener Benennung: Liederspiel keinesweges das Vaudeville ausgedrückt haben.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 301-303.
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