Der Nil

[145] * Der Nil, dieser so merkwürdige und für Egypten einzige Fluß, von dem die ganze Fruchtbarkeit, mithin das ganze Glück Egyptens abhängt, verdient wohl eine nähere Erwähnung. Die Namen desselben sind sehr verschieden, so wie auch über seine Erscheinungen, seine Quellen, seine periodischen Ueberschwemmungen etc. sehr viel Hypothesen angenommen worden sind, bis man in den neuesten Zeiten durch Naturbeobachter und gelehrte Reisende mehr Licht darüber verbreitet hat. Die Quellen desselben sind im Lande der Agows (in Habesch oder Abyssinien) und zwar in einem großen Sumpfe, wo sie aus kleinen Rasenbügeln, in Form von Altären, hervorkommen. Vor seinem Eintritt in Egypten durch mehrere Bäche und Flüsse verstärkt, bildet er mit unter sehr ansehnliche Wasserfälle, und durchströmt nun ganz Egypten mit vielen Krümmungen als ein ruhiger, breiter, majestätischer Strom, theilt sich dann unterhalb Kahiro in zwei Hauptarme, die das Delta oder das eigentliche Niederegypten bilden, und zuletzt sich ins mittelländische Meer ergießen. – Die wichtigste und für Egypten wohlthätigste Naturerscheinung ist wohl die bekannte jährl. Ergießung des Nils: dieser fängt nemlich gewönlich im April an zu steigen, füllt in der Mitte des Julius sein Bette aus, ergießt sich dann weiter hin über das ganze Land: eine Ueberschwemmung, welche ungefähr 60 Tage lang dauert; dann fängt er allmählig wieder an zu fallen, und ist nun endlich das Wasser abgelaufen, so bleibt ein fetter Schlamm zurück; jedoch schreibt man nicht sowohl diesem Schlamme, der keine besonders fruchtbar machende[145] Eigenschaft hat, als vielmehr der eigentlichen Wässerung die Fruchtbarkeit Egyptens zu: so sind im November die Felder abgetrocknet und zur Aussaat tüchtig Um nun das befruchtende Wasser desto besser zu vertheilen, und beim Fallen des Nils desto länger aufzubewahren, hat man von jeher künstliche Kanäle angelegt, deren über 80, jedoch nur 60 davon brauchbar sind. Von welchem Gewicht für ganz Egypten (welches denn auch in der alten Zeit den Nilus als eine der vornehmsten Gottheiten verehrte, indem man ihn zu einem Sohn des Pontus und Mare, oder des Oceanus und der Thetys machte) der richtige Eintritt des Nils und die Anschwellung desselben ist, läßt sich aus der Feierlichkeit benrtheilen, mit welcher jedesmal dieselben beobachtet und genau angemerkt werden. Sobald die Zeit eintritt, wird zuvörderst eine feierliche Urkunde über die wirkliche Tiefe des Flusses aufgesetzt; täglich wird sein Wachsen in den Hauptstraßen von Kahira bekannt gemacht; alles schwebt nun in ganz Egypten zwischen Furcht und Hofnung; die Freude wird allgemein, wenn ein schnelles Steigen (und zwar auf 20 Ellen Höhe) dessen Erwartungen entspricht; dann werden große Feierlichkeiten, Feste, Gastgelage angestellt, und alles ist in Jubel. Hingegen wird die Trauer eben so groß, wenn das Wachsthum des Nils unbeträchtlich ist, oder derselbe gar wieder fällt; denn bei einem geringern Stande können nicht alle Felder bewässert werden, und es erfolgt Miswachs, so wie auf der andern Seite bei einem höhern Stande, wenn sich das Wasser zu spät verläuft, die Bestellung der Felder gehindert wird. So wird denn also durch diese Ueberschwemmung nicht nur die Fruchtbarkeit und selbst die gesunde Lage des Landes – indem die Luft erfrischt und Pest und andre Folgen des heißen Klima gehemmt werden – sondern auch selbst der innere Handel befördert, indem sie die Schiffahrt, und den Transport der Landesproducte von einem Ende des Reichs zum andern erleichtert; auch selbst das Reisen wird angenehmer und das Land zugleich wider feindliche Einfälle gesichert. – Um noch etwas über die Ursachen zu sagen, aus welchen man, unter so vielerlei Hypothesen, jene Ueberschwemmung hergeleitet hat, so sind diese wohl, nach den neueren [146] Entdeckungen und Beobachtungen der Weltumseegler, blos in den häufigen in Abyssinien fallenden Regen zu suchen; und da nun um diese Zeit ein heftiger Nordwind herrscht, welcher das Nilwasser rückwärts treibt, und deren Ergießung desselben ins Meer hindert so läßt sich das Anschwellen des Nils hinlänglich erklären; zuletzt treten die Sudwinde wieder ein, diese befördern nun den Abfluß des Nilwassers in das Meer und trocknen zugleich das überschwemmte Land bald wieder aus. Endlich erwähne ich noch mit einigen Worten der

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 8. Leipzig 1811, S. 145-147.
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