Nil [1]

[959] Nil (lat. Nilus, gr. Neilos, wahrscheinlich von dem indischen Nilas, der Schwarze, wegen seines schwarzen, schlammigen Wassers, im Alten Testament der Fluß schlechthin genannt), Fluß im Nordosten Afrikas u. der Strom Ägyptens, welchen schon Homer. unter dem Namen Ägyptos kennt. Von den Alten ließen ihn Einige, welche ihn mit dem Niger verwechselten, im fernen Westen Afrikas entstehen, während Andere schon die richtige Ansicht von einem westlichen u. östlichen Quellenfluß hegten, deren Ursprung jedoch unbekannt blieb, bis eine unter Nero zur Entdeckung der Nilquellen unternommene Expedition wenigstens die östlichen Quellen aufgefunden zu haben scheint. Nach Vereinigung beider durchfloß der N., zahlreiche Krümmungen bildend, in nördlicher Richtung Äthiopien, nahm hier den Astapos u. Astaboras auf, welche Meroë umgeben, bildete dann den großen u. bei seinem Eintritt in Ägypten südlich von Syene einen kleinen Katarakt u. durchströmte von da in einer Breite von bisweilen 10 Stadien Ägypten, bis er sich 15 Meilen oberhalb seiner Mündung, bei Kerkasoron, in zwei Hauptarme theilte u. so das sogen. Nildelta bildete. Diese beiden Hauptarme schieden sich wieder in mehre Nebenarme, u. man zählte von Osten nach Westen folgende sieben Mündungen: Pelusische, Tanitische, Mendesische, Phatnilische, Sebennytisch, Bolbitische u. die Kanobische od. Herakleotische, auch Naukratische genannt, von welchen die Alten die beiden äußersten, die Pelusische u. Kanobische, als Hauptmündungen ansahen. Durch dir Mündungen des Nils waren mehre bedeutende Seen gebildet, wie der See von Tanis, von Butos, der Mareotis, sowie der See des Möris. Durch mehre Kanäle war er mit der See verbunden, so führte der Ptolemais od. Trajanskanal bei dem jetzigen Kairo aus dem N. in das Rothe Meer u. der Kanobische Kanal von der Stadt Kanobos nach Alexandrien u. in die Mareotis. Der N. war von den Katarakten bis zu seiner Mündung schiffbar; er war reich an Fischen, Krokodilen, Schilf u. Papyros; von seinen jährlichen Überschwemmungen, bes. vom August bis October, welche schon die Alten von den in Äthiopien häufigen Regengüssen herleiteten, u. welche Ägypten durch den angeschwemmten Schlamm zu einem der fruchtbarsten Länder machten, hieß Ägypten auch das Geschenk des Nils. Nilmesser (s.d.) gab es in Memphis, Syene u. anderwärts. Der N. wurde von den Ägyptiern für heilig gehalten, u. nach Plutarch verehrten ihn die Ägyptier als einen der größten Götter, als den Vater u. Erhalter ihres Landes u. nach Diodor leiteten sie alle anderen Götter von ihm ab. Um das jährliche Solstitium feierten sie ihm das Fest Nilōa, zur Zeit, wo sein Aufschwellen beginnt. Man opferte ihm schwarze Stiere, streute Lotosblumen auf das Wasser, fuhr in Kähnen, gab Gastmähler etc. In Nilopolis war sein Tempel.

Die neue Geographie hat festgestellt, daß der Nil der bedeutendste Fluß Afrikas ist; er entsteht aus zwei Flüssen: a) Bahr el Azrek (Blauer Fluß), auch der Östliche N. genannt; er entspringt unter dem Namen Abai aus einem Sumpfe in der abessinischen Landschaft Maitscha, in etwa 8500 Fuß Erhebung über dem Meeresspiegel u. führt den Namen des Blauen Nils nach der Farbe seines Wassers. Zuerst strömt er nördlich u. nordwestlich dem Tsanasee zu, bildet mehre Wasserfälle, durchströmt den See mit großer Heftigkeit u. nimmt nun zunächst eine südöstliche Richtung an, worauf er ganz in dem Charakter der meisten größeren Flüsse dieser Gegenden eine ungeheure Spirale bildet, indem er sich zuerst nach Süden, dann nach Westen u. zuletzt nördlich so wendet, daß er nach einem Laufe von 20 Tagereisen sich seiner Quelle wieder bis auf eine Tagelänge genähert hat. Den Charakter eines Bergstromes, oft über Felsen hinabstürzend, behält der Fluß, bis er von dem nordwestlichsten Rande des abessinischen Plateaus in das niedere Bergland Fazoki u. dann in die nubischen Niederungen eintritt, wo er sich bei Khartum mit dem viel wasserreicheren Weißen N. vereinigt. An Nebenflüssen gehen dem Blauen N., außer zahlreichen kleineren, der Beto u. Tumat links u. in Habesch rechts der Dender u. die Schimsa zu. b) Der Bahr el Abiad (Weißer Fluß) od. Westliche N.; seine Quellen sind trotz aller Bemühungen noch nicht erforscht[959] worden. Rußegger drang blos bis 10° nördl. Br.; Anton d'Abbadie (1844) glaubte zwar die Quelle im Lande der Gmura (Gamorn, Gamrn) am Berge Bochi gefunden zu haben, allein mit Unrecht; er hielt wahrscheinlich den Zobat für den N. Die zweite von Mehemed Ali ausgesendete, von Abbadie u. d'Arnaud geleitete Expedition kam bis 4°42' nördlicher Br. im Lande der Baryneger, wo eine den Fluß quer durchsetzende Schwelle von Gneiß dieselben zum Umkehren nöthigte. Knoblecher überwand auf seiner Reise (1849 u. 1850) diese Katarakte u. drang bis zum Dorf u. Berge Logwek, unter 4°101 nördl. Br. Nach den Erzählungen von Eingeborenen entspringt der N. unter dem Namen Tub iri auf dem Mondgebirge; nach And. entfließt er unter dem Namen Kadada od. Iles, später Ke-ilah genannt, dem See Njanza (Ukerewe). Diese Ansicht ist bes. von Beke wissenschaftlich begründet worden u. hat neuestens durch die Angaben des Capitän Speka, der zuerst den See erreicht hat, an Wahrscheinlichkeit gewonnen; darnach hat der N. eine Länge von über 600 Meilen. Etwa unter 4° nördl. Br., im Berglande der Bary, bildet der Fluß zahlreiche Stromschnellen u. Wasserfälle. In seinem übrigen Laufe bis Khartum durchströmt der Fluß unermeßliche, mit Urwäldern bedeckte Ebenen, erweitert sich theils oft zu flachen, schlammigen Seen (Gazellensee), theils umschließt er zahllose Inseln. Seine Tiefe beträgt zwischen 4° u. 9° nördl. Br. 15 bis 18 Fuß u. an der nubischen Grenze sogar 33 Fuß. Von Khartum abwärts nimmt der N. nur noch den aus Habesch kommenden Atbara (od. Takazze, im Alterthume Astaboras) auf; auf dem ganzen ferneren Laufe durch Nubien u. Ägypten (noch 14 Breitengrade hindurch) geht dem Strome kein Gewässer mehr zu. Im unteren Nubien sowohl, als in Oberägypten, bildet er zahlreiche Katarakte u. Stromschnellen, von denen die bei Dschenadel u. Assuan die bedeutendsten sind; außerdem bildet er eine Menge Inseln, zwischen welchen sich reißende Stellen befinden. Die Richtung, welche der N. von Khartum an verfolgt, ist fast rein nördlich, nur mit Unterbrechung zweier großen Krümmungen, welche er zur Umgehung der Bahudia- u. der Koroskowüste macht. Drei Meilen unterhalb Kairo, wo die letzten Ausläufer der Arabischen u. der Libyschen Gebirgskette weiter aus einander laufen, erhält der Strom, der bis dahin ungetheilt war u. hier eine Breite von 1/3 Meile hat, die Möglichkeit, sich in mehre Arme zu spalten. Von denselben sind aber nur zwei, nämlich die an der von den Arabern Batn el Bakara genannten Stelle beginnenden Arme von Rosette u. Damiette, welche einst künstlich gegrabene Kanäle waren, noch von Bedeutung, während die übrigen im Laufe der Zeit mehr od. weniger, bes. an der Mündung, durch Versandung unpraktikabel wurden; aber auch der Arm von Damiette versandet immer mehr. Zwischen beiden Hauptarmen liegt das berühmte Deltaland, welches durch eine Unzahl größerer od. kleinerer Verbindungskanäle der Nilarme durchzogen wird. Die namhaftesten Kanäle, theils zur Bewässerung, theils zur Schifffahrt angelegt, sind der Josephs-Kanal (von Faschut abwärts), der von Damanhour, von Ramanieh u. vor allen der Mahmudie-Kanal, welcher 1819 von Mehemed-Ali begonnen u. in der neuesten Zeit durch große Bauten verbessert worden ist.

Abgesehen von der Schiffbarkeit des Nils, welche, mit Hülfe der eben angedeuteten Kanalbauten wenigstens in Unter- u. Mittelägypten vollkommen gut ist u. regelmäßig auch von Dampfern ausgeführt wird, verdient derselbe schon durch die Bewässerung des Nilthales, soweit sie möglich ist, als belebendes Princip des ganzen Landes bezeichnet zu werden; diese Bewässerung ist abhängig von dem Anschwellen des Stromes. Bei Assuan beginnt das Steigen des Wassers im Juni, bei Kairo Anfang Juli; in der zweiten Hälfte des September erreicht der Fluß seine höchste Höhe. Die Abnahme erfolgt langsamer, so daß der niedrigste Wasserstand erst im Mai wieder eintritt. Von der Höhe des Hochwassers u. der dadurch bewirkten Überschwemmungen hängt das Gedeihen od. der Mangel Ägyptens ab. Bleibt dieselbe unter 20 Fuß od. steigt sie über 24 Fuß, so wird die Ernte schlecht, doch variirt der Nilstand in Ägypten nach der verschiedenen Erhebung des Terrains; bei Assuan steigt der Strom bis 36 Fuß, bei Rosette nur 3–4 Fuß. Da der Wohlstand des ganzen Landes so eng mit dem Steigen des Nils im Zusammenhang steht, so wird dasselbe auch von der Regierung auf das genaueste überwacht, u. der Moment, in welchem behufs der Bewässerung die Dämme der Kanäle durchstochen werden, ist ein großes Fest. Wo das Terrän so hoch über dem Flußspiegel liegt, daß es nicht überschwemmt werden kann, sind hydraulische Werke angelegt; um das Wasser in die Höhe zu schöpfen, u. zwar wird durch diese Werke das culturfähige Land Ägyptens um ein volles Drittel erhöht. Zur Regelung dieser Überschwemmungen bestehen die genauesten Bestimmungen von Seiten des Gouvernements. Was die Schiffbarkeit des Stromes anlangt, verdient es noch hervorgehoben zu werden, daß es in der neuesten Zeit gelungen ist, wenn auch unter unsäglichen Anstrengungen, einen Dampfer über die Katarakten hinauf zu bringen, u. man kann daran die Hoffnung knüpfen, es werde so möglich werden, auf dem westlichen Quellstrome bis tief in das Herz des Continents einzudringen. Vgl. Parthey, Wanderungen durch das Nilthal, Berl. 1840; Klöden, Das Stromsystem des obern Nils, ebd. 1857; Beke, The sources of the Nile, Lond. 1860.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 959-960.
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