Ernte

[864] Ernte, 1) im Allgemeinen das Abhauen, Abschneiden, Auspflügen, Ausgraben, Trocknen, Einfahren der auf dem Felde angebauten Früchte; 2) im Besonderen das Abmachen, Trocknen u. Einfahren des Getreides. Bei der Getreideernte ist es vor Allem wichtig, den richtigen Zeitpunkt des Abmachens zu treffen; er liegt zwischen der angehenden Reise u. der Todtreise. Die angehende Reise bringt ähnlichen Verlust, wie die Todtreise, wo sich ein Theil des Stärkemehls in Holzfaser, der Schleimzucker in Stärke, Holzfaser u. Gummi verwandelt. Handelswaare erntet man am besten in der Gelbreife, Saatgut in der vollständigen Reife, die zwischen Gelb- u. Todtreise in der Mitte liegt Schon die Alten stellten den Grundsatz auf: lieber zwei Tage zu früh, als zwei Tage zu spät geerntet. A) Das Abbringen der Winterhalmfrüchte geschieht mit der Sense, dem Sichet, der Sichel od. der Mähemaschine (s.d.). Am gebräuchlichsten ist die Gestellsense, weil mit derselben die Arbeit sehr gefördert wird u. nur kurze Stoppeln bleiben; die Anwendung der Sichel verlangt weit mehr Zeit u. hinterläßt hohe Stoppeln, bewirkt aber reinlichere Arbeit; das Sichet wird fast nur bei Lagergetreide angewendet; auf großen Gütern in meuschenarmen Gegenden verdient bes. die Mähemaschine empfohlen zu werden. Mit der Gestellsense wird das Getreide abgehauen; jedem Mäher folgt eine Frau, welche das abgehauene Getreide abrasst u. dasselbe entweder in Gelege (halbe Garben) od. gleich in volle Garben auf untergebreitete Strohbänder legt. Letzteres Verfahren, verbunden mit sofortigem Binden u. Aufschichten der Garben, verdient den Vorzug, wenn nicht etwa Feuchtigkeit od. starkes Verunkrauten des Getreides das Liegenlassen desselben in Gelegen so lange erfordert, bis das Stroh u. das in ihm befindliche Unkraut abgetrocknet sind. Das Einbinden des Getreides geschieht am besten mit schon vorher angefertigten u. wieder etwas angefeuchteten Seilen aus Roggenstroh. Sehr haltbar u. weniger Raum in den Scheunen einnehmend werden die Garben, wenn man sie knebelt u. die Strohseile mit einem kurzen, festen, unten spitzigen Holze fest zusammenschnürt. Das Sommergetreide wird entweder mit der Gestellsense in Schwaden gemäht, od. mit der Sichel geschnitten, od. mit der Mähemaschine abgemacht. In Schwaden bleibt es in der Regel so lange liegen, bis es zum Aufrechen, Einbinden u. Aufschichten trocken genug ist. B) Zum Aufschichten des Getreides hat man verschiedene Methoden: a) Stiege, senkrechte Haufen von 15 bis 20 Mandeln; b) Kreuzmandeln, wo zuerst 4 Garben horizontal auf die Erde so gelegt werden, daß sie ein Kreuz bilden, in dessen Mittelpunkt sich die Ähren decken; dieses wird drei Mal wiederholt, auf einen der Flügel des nun aus 12 Garben bestehenden Kreuzes werden 2 Garben u. auf diese 1 Garbe so gelegt, daß die Sturzenden nach Morgen zu gerichtet, die Ähren aber abwärts nach der Wetterseite zu gerichtet sind u. ein schräges Dach bilden; c) Behaubte Kreuzmandeln, es werden in Kreuzform 20 Garben, auf jeden Flügel 5, gelegt u. der so gebildete Haufen durch Garben, deren Ähren in 4 Theile auseinander gespreizt werden, bedeckt; d) Puppen (s.d.), welche als die beste Aufschichtungsmethode gelten; e) Pyramiden, es werden 2 Garben gegen einander so aufgelehnt, daß die Ähren in die Höhe stehen, dazwischen werden wieder 2 Garben ebenso aufgestellt u. in die Zwischenräume 4 Garben; f) Garbenfasten, es wird eine Garbe in die Mitte u. 4 Garben um dieselbe herangestellt, in die Zwischenräume werden 4 Garben eingelegt u. auf sämmtliche Garben eine Garbe als Hut aufgestülpt; g) Dachhausen, zwei Garben werden über einander auf die Erde so gelegt, daß ein Sturzende nach Süden, das andere nach Norden gerichtet ist; auf die 2 Quergarben werden erst 6, dann 4 u. 3 Garben so gelegt, daß man einen Haufen erhält, der ein schräges, plattes Dach nach Westen bildet. Gewöhnlich wird das Sommergetreide in Dachhaufen gesetzt; sicherer ist es aber, es einige Tage nach dem Mähen h) in kleine Spitzhaufen aufzustellen u. diese erst beim Einfahren zu binden. Die Spitzhaufen macht man, indem man beim Aufharken der Schwaden starke Wickel bildet, sie in eine Spitze zugedrückt aufstellt u. die Sturzenden kreisförmig ausbreitet. Am gefährlichsten für das Trocknen des Getreides ist regnerische, windstille Witterung, namentlich wenn häufig warme Regen mit Sonnenschein ab, wechseln; dann ist die Gefahr des Auswachsens der Körner groß; bei solcher Witterung muß das Getreide bearbeitet werden. Liegt es noch auf Schwaden od. in Gelegen, so ist das Sommergetreide mit dem Harkenstiel, das Wintergetreide mit der Hand zu[864] wenden. Ist das Getreide schon gebunden u. aufgeschichtet, so müssen die Garben u. Bunde, je nachdem die Gefahr des Verderbens geringer od. größer ist, einzeln aufgestellt od. wieder aufgelöst u. ausgebreitet werden. Am sichersten ist das Trocknen des Getreides in Harfen (s.d.). Nach dem Aufbinden u. Aufschichten wird das Feld nachgeharkt, um die einzelnen liegen gebliebenen Ähren zu sammeln; dies geschieht entweder mit dem Rechen od. mit der Hungerharke, einem großen Rechen, welcher von Menschen od. Thieren gezogen wird, od. mit einer bes. construirten Kornharke, bestehend aus einem auf zwei eisernen Rädern ruhenden Gestell, an dessen vorderem Balken eiserne, bewegliche, dichtstehende, gekrümmte Zähne befestigt sind, welche die auf dem Boden liegenden Halme sammeln. C) Sind die Früchte vollkommen ausgetrocknet u. nachgereist, so werden sie in den sonnigen Tagesstunden auf dem Erntewagen eingefahren. – Die Ernte, von deren Ausfall das materielle Wohlbefinden des Volkes durchaus abhängig ist, war von Alters her mit religiösen Gebräuchen verknüpft, welcher Volksbelustigungen, Tänze u. Spiele folgten. Der Zweck dieser Feste war zunächst der Gottheit, welche der Erde Fruchtbarkeit verleiht, Dank zu sagen. So feierten die Griechen zur Zeit der Ernte Feste zu Ehren der Demeter, in Attika Haloen genannt, die Römer zu Ehren der Ceres. Die alten Deutschen pflegten vor dem ersten Schnitt Wodan anzurufen, welcher dem Lande Fruchtbarkeit verlieh. Bis auf den heutigen Tag haben sich manche dieser Erntegebräuche erhalten, so namentlich das in einigen Gegenden Nord- u. Süddeutschlands vorkommende Stehenlassen von einem Büschel Kornähren, welche man mit Kornblumen umwindet Diese Wodansgarbe, in Süddeutschland Mockel genannt, war eine Art Opfer für das Roß der segenspendenden Gottheit, zu dessen Empfangnahme dasselbe durch ein Gebet eingeladen wurde. Viele niederdeutsche Lieder u. Sprüche, welche die Erntefeier einleiten, enthalten noch den Anruf an Wodan (Woden, Wauden). An die Stelle dieser heidnischen Gebräuche setzte die Christliche Kirche das Erntedankfest, welches die Gemeinde zur Erntepredigt versammelt, um Gott für seine Gaben zu danken. Unter den Vergnügungen, welche nach der Einfuhr des Getreides den Arbeitern vom Gutsherrn od. Pächter bereitet werden, ist das Erntebier, eine Tanzbelustigung, bei welcher frei Bier verabreicht u. von den Arbeitern dem Festgeber ein Erntekranz verehrt wird, das gebräuchlichste. An manchen Orten findet dabei ein Wettlauf Statt, so namentlich in Schwaben der Schäfersprung u. der Siebensprung, ferner der sogenannte Hahnentanz (Gockeler) od. der Hahnenschlag, wobei es sich stets um das Gewinnen eines Preises, der in einem Stück Geld, einem Hammel, Hahn, Hut u. dgl. besteht, handelt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 864-865.
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