Johann Reinhold (Reginald) von Patkul

[219] Johann Reinhold (Reginald) von Patkul, ein liefländischer Edelmann, der als Märtirer seiner [219] Vaterlandsliebe und als Opfer der unversöhnlichen Rache Carls XII. sein Leben auf dem Blutgerüste verlor. Er wurde um 1660 zu Stockholm im Gefängniß geboren, wo sein Vater, der in dem polnischen Kriege die liefländische Stadt Wolmar an die Polen verrathen hatte, saß, und die Mutter ihm Gesellschaft leistete. Da Patkul auf keinem andern Wege, als bei dem Militair, in Ansehen kommen konnte, so trat er, ohngeachter er eine sorgfältige und gelehrte Erziehung erhalten hatte, in schwedische Dienste, ward Kapitain bei einem in Riga in Garnison stehenden Regimente, lebte aber meistens auf seinen beträchtlichen Gütern in Liefland. Diese Provinz hatte sich unter den Schutz des Königs von Schweden Carls IX. begeben und von ihm und seinem Nachfolger Gustav Adolph die Versicherung erhalten: daß sie jederzeit bei ihren alten Rechten und Privilegien geschützt werden sollte. Allein Carl XI. erlaubte sich nach und nach die größten Beeinträchtigungen und fing besonders an, alle Güter, die irgend einmal Eigenthum des Staats gewesen waren, einzuziehen. Patkul wurde darauf 1690, als ein ansehnliches Mitglied der liefländischen Ritterschaft, von dieser abgeordnet, um der Regierung Gegenvorstellungen zu thun. Doch seine sehr eindringenden Bitten deshalb, so wie seine gegründeten Beschwerden über den Obersten seines Regiments, wurden sehr übel aufgenommen; man setzte wegen letzteren sogar ein Kriegsgericht zu Riga nieder, das sich sehr erbittert gegen Patkul bezeigte, daher er, weil man seine Bitte um ein sicheres Geleite bei dem Verhöre nicht beantwortete, im Jahr 1693 ins Herzogthum Kurland sich entfernte. Er fertigte hier eine neue Supplik an den König, bat nochmals um ein sicheres Geleit und erhielt es zwar, jedoch in so schwankenden Ausdrücken, daß man ihn unter der Hand warnte, nach Stockholm zu gehen; als er es aber doch wagte, wurde er als Majestätsverbrecher angeklagt und dieser höchst ungerechte Proceß noch überdies in die Länge gezogen. Patkul entfernte sich daher gegen Ende des Octobers 1694 heimlich aus dem Reiche, nachdem er vorher der, zu seinem Processe niedergesetzten, königlichen Commission seine Abreise angezeigt hatte. Diese sprach nun im December ihm das Todesurtel.[220] Da Patkul noch immer wünschte und hoffte, in sein Vaterland zurück zu kehren; so lebte er nach seiner Flucht einige Jahre in Italien, Frankreich, der Schweiz, meistentheils unter fremden Namen, und widmete seine Zeit den Wissenschaften, hatte jedoch auch an den größten europäischen Höfen Zutritt und auch in politische Geschäfte einigen Einfluß. Als Carl XII. den schwedischen Thron bestiegen hatte, versuchte er von neuem, seine Begnadigung in Schweden und die Erlaubniß zu seiner Rückkehr zu bewirken, wobei sich mehrere Höfe, selbst der kaiserliche und preußische, durch ihre Minister in Schweden für ihn verwendeten. Allein anstatt ihn zu begnadigen, verlangte man seine Auslieferung. Er floh nun nach Holland. Schon nach seiner Flucht aus Schweden hatte man ihm sehr vortheilhafte Vorschläge gethan, in die Dienste des Kurfürsten von Sachsen, nachherigen Königs von Polen. Friedrich Augusts II. zu treten; sie wurden jetzt im October 1698 wiederholt und da Patkul seine Hoffnung zur Rückkehr nach Schweden vernichtet sah, so gieng er nach Warschau, wo er als königlich polnischer und kursächsischer geheimer Kriegsrath und Oberster in Dienste genommen wurde. Es ist mehr als wahrscheinlich daß Friedrich August II. schon zu der Zeit, als Patkul in seine Dienste trat, die Absicht hatte, Liefland wieder mit Polen zu vereinigen und daß er dies durch Palkuls Verbindungen mit dem Liefländischen Adel leichter bewirken zu können hoffte. Patkul mußte deshalb einen Streifzug mit einem Corps Cavallerie durch Liefland machen und erließ Patente, in denen er sowohl den Einwohnern als auch den fremden Handelsleuten vollen Schutz und Sicherheit versprach. Doch der liefländische Adel wollte nicht eher etwas Entscheidendes unternehmen, bis der König von Polen durch Einnahme der Stadt Riga festen Fuß im Lande gefaßt haben würde, und diese Stadt konnte vor der Hand blos blokirt werden. Patkul hatte indeß des Zaars von Rußland Peters des Großen Aufmerksamkeit auf sich gezogen und trat 1702 als geheimer Rath und Generalcommissar desselben in Deutschland in Peters Dienste, commandirte einen Theil der russischen Armee, der sich bei des Königs von Polen Armee befand, blieb aber auch [221] zugleich mit diesem in Verbindung und erhielt von ihm eine ansehnliche Pension. Allein da er am 10. August 1704 bei Fraustadt von Carln XII. geschlagen worden war, ging er nach Sachsen zurück und besorgte bei dem Dresdner Hofe die rußischen Angelegenheiten. Doch bald kam er bei dem König von Polen in Vedacht, daß er den Czaar mit Schweden aussöhnen wolle und wurde deshalb plötzlich als Gefangner auf die Festung Königstein gebracht. Der Czaar that zwar dawider Vorstellung, drang aber, als der König von Polen eine nachdrückliche Gegenvorstellung aussetzen ließ, nicht weiter auf dessen Befreiung, weil man wahrscheinlich auch ihm Patkuln verdächtig gemacht hatte. Während seiner Gefangenschaft erklärte sich das Glück für seinen unversöhnlichen Feind Carl XII.; Friedrich August II. mußte sich am 24. September 1706 zu dem Frieden zu Alt Ranstädt bequemen und besonders im II. Artikel Patkuls Auslieferung und bis dahin dessen sorgfältige Verwahrung versprechen. August wollte zwar Patkuln retten und sendete an den Commandanten der Festung Sonnenstein, auf der Patkul jetzt saß, die geheime Ordre. Patkuln ohne Aufsehen aus der Festung entkommen zu lassen Allein der Commandant wollte noch erst eine Summe Geld von ihm haben, und ehe Patkul diese herbeischaffen konnte, wurde er von einem Commando Schweden abgeholt. Carl XII. ließ ihn nun auf dem Marsche der Armee nach Grospolen mitnehmen und am 30. September 1707 bei Kasimiers in der Woiwodschaft Kalisch lebendig rädern, köpfen und viertheilen. Erst im Jahr 1713, als August den polnischen Thron von neuem bestieg, wurden seine Ueberreste begraben. – Noch immer ist Patkuls Geschichte nicht völlig aufgeklärt; allein wohl alle Stimmen vereinigen sich jetzt darüber: daß Patkul einen solchen Tod nicht verdient hatte und seine Hinrichtung in Carls XII. Geschichte ein ewiger Schandfleck bleibt.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 8. Leipzig 1811, S. 219-222.
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