Speichel

[240] Speichel heißt die durchsichtige, etwas zähe, geruch-und geschmacklose Flüssigkeit, welche von den in der Umgebung der Mundhöhle gelegenen Speicheldrüsen abgesondert wird, sich von da, vorzüglich während des Essens und Kauens, durch besondere Ausführungsgänge in die Mundhöhle ergießt, hier sich mit den gerade vorhandenen und durch das Kauen schon mehr oder weniger zerkleinerten Speisen vermischt, sie überzieht, einzelne Bestandtheile derselben auflöst und so die Verdauung einleitet. Die Absonderung des Speichels ist eine beständige, wechselt aber, was die Menge desselben anlangt, je nach verschiedenen Umständen. Der Reiz, den die in den Mund gebrachten Speisen auf die Geschmacksnerven ausüben, die mit dem Kauen verbundenen Bewegungen, Ekel, Tabackrauchen u.s.w. vermehren die Absonderung des Speichels. Der Speichel hat von der Natur die Bestimmung erhalten, verschluckt zu werden, um zur Verdauung der genossenen Nahrungsmittel beizutragen, wird er aber, wie gewöhnlich von Tabacksrauchern und Hypochondristen, weggespuckt, so ist dies gegen die Absichten der Natur und kann nur durch Gewohnheit oder einen großen Überfluß an Säften ohne Nachtheil für die Gesundheit bleiben. In Krankheiten bedient sich mitunter die Heilkraft der Natur einer Vermehrung der Speichelabsonderung, um den Krankheitsstoff aus dem Körper zu entfernen oder der Speichel geht eigenthümliche Veränderungen ein, nimmt, wie z.B. bei Thieren und Menschen, welche an der Wuthkrankheit leiden, eine giftige Beschaffenheit an, oder arzneiliche Einwirkungen, wie namentlich die des Quecksilbers, auf die Speicheldrüsen steigern die Absonderung derselben dergestalt, daß der sogenannte Speichelfluß entsteht. Dieser stellt sich je nach dem verschiedenen Empfänglichkeitsgrade des Kranken für das Quecksilber und je nach den verabreichten Gaben und Präparaten desselben früher oder später ein und verkündet sich gewöhnlich zuerst durch Schmerzhaftwerden und Anschwellen der Speicheldrüsen, üblen Geruch aus dem Munde, schlechten, metallischen Geschmack in demselben, Mangel an Appetit u.s.w., worauf die ganze innere Auskleidung der Mundhöhle, namentlich das Zahnfleisch, sich blaß- oder bläulichroth färbt, etwas anschwillt, sich auflockert, sodaß es leicht blutet, geschwürig wird, die Zunge und selbst die Zähne sich mit einer Schicht gelblichen Schmuzes von unerträglichem Gestanke bedecken, erstere ebenfalls anschwillt und sich zum Munde hervordrängt, letztere dem Kranken das Gefühl verursachen, als seien sie [240] plötzlich länger geworden, bei höherm Grade auch wohl wirklich locker werden und ausfallen und ein scharfer, übelriechender Speichel aus dem beständig offenstehenden Munde abfließt oder abtröpfelt, dessen Menge zuweilen binnen 24 Stunden 4–5 Pfund betragen soll. Sind alle diese Zufälle in einem gewissen Grade vorhanden, so vermögen die Kranken weder zu kauen, noch zu schlucken, noch auch nur zu sprechen, fangen an zu fiebern, schlafen nicht mehr, werden von Tage zu Tage elender, kraftloser u.s.w., bis Kunst oder Natur das Leiden nach und nach bezwingen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 240-241.
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