Speichel

[519] Speichel (Saliva), die in der Mundhöhle sich ansammelnde, aus den Secreten der Speicheldrüsen u. der Mundschleimhaut bestehende Flüssigkeit. Nach diesem örtlichen Entstehen nennt man den eigentlichen S. auch Mundspeichel, im Gegensatz zu Bauchspeichel, s.u. Pancreas. Der S. ergießt sich fortwährend in die Mundhöhle, aber nur in geringer Quantität; diese Quantität wird zur Zeit des Genusses von Nahrungsmitteln beträchtlich vermehrt, theils befördert schon der Reiz, welchen diese verursachen, den Zufluß desselben, theils werden die Speicheldrüsen u. ihre Gänge während des Kauens gedrückt u. der S. ausgepreßt. Einige Nahrungsmittel u. Arzneien (die Sialagoga) befördern den Zufluß des S-s mehr als andere, bes. solche, welche saure, scharfe od. zusammenziehende Stoffe enthalten, alle Arten von Säuren, saure Weine, stark gesalzene Speisen, weiße Pimpinellwurzel, Bertramwurzel, Meisterwurzel, Tabakskraut, das Tabaksrauchen etc. Nicht minder können auch psychische Einflüsse den Speichelzufluß vermehren. Einige Arzneien wirken beim innern Gebrauche ganz eigenthümlich auf die Speicheldrüse, bewirken Anschwellen derselben u. vermehrte Absonderung des S-s, wie die Quecksilber-, Jod- u. Arsenikpräparate. Zuweilen wird die Speichelabsonderung in Krankheiten vermehrt od. vermindert, so das erstere als kritischer Speichelfluß in hitzigen Fiebern, vermindert dagegen in den ersten Perioden mehre Fieberarten, der katarrhalischen Affectionen od. Entzündungen, u. zwar oft so bedeutend, daß dadurch eine lästige Trockenheit des Mundes bewirkt wird. Die Menge des täglich abgesonderten S-s läßt sich schwer bestimmen, da viele zufällige Umstände dieselbe vermehren od. vermindern können; als mittles Maß der Speichelabsonderung in 24 Stunden kann man 12 Unzen annehmen; in Krankheiten steigt die Secretion zuweilen auf 2–3 [519] Pfund u. darüber. Der S. gehört nicht zu den Flüssigkeiten, welche ausgeworfen werden sollen, sondern er ist für die Verdauung von dem größesten Nutzen. Sehr schädlich ist es daher, wenn man bei dem Tabaksrauchen od. aus übler Gewohnheit denselben reichlich auswirft; es leidet dadurch Verdauung u. Ernährung auffallend; man kennt Beispiele, daß bis auf die Haut abgezehrte Menschen dadurch geheilt wurden, daß man ihnen das Ausspucken verbot.

Der gemischte S. des Menschen u. der meisten Säugethiere ist eine trübe, opalisirende od. schwach bläulichweiße zähe u. fadenziehende Flüssigkeit ohne Geruch u. Geschmack. Unter dem Mikroskop zeigt er Plattenepithelium u. Schleimkörperchen. Das specifische Gewicht schwankt zwischen 1,004 u. 1,006, kann aber auch bis 1,009 steigen; nach dem Essen ist es größer als im nüchternen Zustande; bei animalischer Kost größer als bei vegetabilischer. Der normale S. reagirt meist alkalisch; während des Essens u. nach demselben ist die Alkalescenz am deutlichsten, im nüchternen Zustand verschwindet sie fast ganz, zuweilen zeigt solcher S. sogar eine sauere Reaction, welche jedoch nach Genuß fester Nahrungsmittel bald in eine alkalische übergeht. Häufiger ist eine sauere Reaction des S-s in Krankheiten zu beobachten. Die Menge der festen Bestandtheile beträgt im Mittel 0,72 Procent; dieselben sind: Epithelium, einzelne Schleimkörperchen, Speichelstoff (Ptyalin) in Verbindung mit Kali, Natron u. Kalk, ein in Wasser u. Alkohol löslicher Extractivstoff, Rhodankalium, Chlornatrium, Chlorkalium, phosphorsaure u. schwefelsaure Salze, von letzteren sehr wenig. Bei Brightscher Krankheit enthält der S. Harnstoff, bei Icterus Gallenfarbstoff, bei Diabetes mellitus Zucker. Die Verbindung des Ptyalins mit Alkalien bildet den Hauptbestandtheil des festen Rückstandes vom S. u. ist wahrscheinlich die Ursache der Umwandelung von Stärkemehl in Zucker durch den S. Das Ptyalin ist in Wasser schwer löslich, in Alkalien leicht löslich; es scheidet sich in Flocken aus dem S. ab, wenn diesem durch Säuren Alkali entzogen wird; es bildet eine farblose gallertartige Substanz, deren alkalische Lösung durch Säuren gefällt wird; Quecksilberchlorid, basisch essigsaures Bleioxyd, sowie Gerbsäure geben Niederschläge. Es ist noch nicht in reinem Zustande dargestellt worden, daher seine Zusammensetzung noch nicht bekannt ist. Die von Mialhe dargestellte Speicheldiastase (Diastase animale, Salivaire) ist unreiner Speichelstoff. Das Rhodankalium kommt ziemlich constant im menschlichen S. vor, doch fehlt es auch zuweilen; im S. der Hunde u. Schafe findet es sich ebenfalls, im S. der Pferde nicht. Es scheint nicht im frischen Secrete enthalten zu sein, sondern sich erst im gemischten S. zu bilden. Der Kalkgehalt des S-s wird zuweilen so bedeutend, daß er. Veranlassung zu Concretionen (Speichelsteine) gibt, welche theils im Parenchym der Drüsen, theils in den Ausführungsgängen derselben ihren Sitz haben. Die Bestimmung des S-s ist eine doppelte; zunächst durchfeuchtet er die trockneren Nahrungsmittel u. dient daher sowohl dazu, denselben das Hinabgleiten zu erleichtern, als auch sie in einem aufgelockerten Zustande der Einwirkung des Magensaftes zugänglicher zu machen. Eine andere wichtige Function des S-s ist die, leicht lösliche Substanzen aufzulösen u. namentlich das Stärkemehl der Nahrung in Zucker umzuwandeln, u. zwar theils schon beim Kauen, theils aber u. hauptsächlich im Magen, wohin es durch die Nahrungsmittel selbst, aber auch während der Magenverdauung durch Deglutition gelangt. Die Secrete der einzelnen Drüsen u. der Mundschleimhaut besitzen für sich das Vermögen nicht od. nur in geringem Grade, Stärkemehl in Zucker überzuführen, das kräftige Umwandlungsvermögen kommt nur der Vermischung von Mundschleim u. Drüsenspeichel zu. Vgl. Verdauung. Die Meinung, daß sowohl normaler S., als auch bes. S. von wüthenden Thieren od. zornigen Menschen giftig wirke, ist von mehren Forschern durch Versuche widerlegt worden; selbst der S. wuthkranker Hunde, wenn er anderen Thieren in den Magen gebracht od. eingeimpft wurde, vermochte nicht die Wasserscheu zu erzeugen. Im Alterthum galt der S. als Heilmittel gegen allerhand äußerliche Übel, bes. Augenkrankheiten; namentlich sollte der von einer Frau, welche des Tags noch nichts gegessen hatte, heilkräftig sein, u. vom Kaiser Vespasian wird erzählt, daß er einen Mann in Alexandrien dadurch seine Sehkraft wieder gab, daß er auf dessen Bitten in seine Augen spie. Auch Jesus machte so Blinde sehend, auch einem Stummen, dessen Zunge er mit seinem S. befeuchtete, gab er dadurch die Sprache. In anderer Beziehung galt auf dem Gebiete bes. des germanischen Aberglaubens das Auswerfen des S-s als Schutzmittel gegen schlimme, zauberhafte Einwirkung, weil mit dem S., welcher bei den alten Skandinaviern als in besonderer Beziehung zur Seele stehend, als seelenhaft galt, die empfangene schlimme Wirkung ausgestoßen u. dadurch die Zauberkraft auf andere Dinge übergeleitet würde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 519-520.
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