Flüssigkeit

[393] Flüssigkeit, ein Körper, dessen kleinste Theile od. Molecüle so unter einander verbunden sind, daß sie sich durch die mindeste Kraft gegen einander verschieben lassen. Die F-en zerfallen a) in tropfbare, bei denen zwar die Gestalt von unbegrenzter Veränderlichkeit ist, die aber doch dabei ein constantes Volumen besitzen; wenn man z.B. Wasser aus einem Gefäß in das andere gießt, so ändert es dabei seine Gestalt, behält aber unveränderten Rauminhalt; u. b) in luftförmige od. elastische od. Gase, bei denen nicht allein die Gestalt, sondern auch der Rauminhalt von unbeschränkter Veränderlichkeit ist, so daß sie sich immer auf den jedesmal gegebenen Raum ausdehnen, aber auch auf einen beliebig kleinen Raum zusammendrücken lassen. Allgemein bezeichnet man feste, tropfbar flüssige u. luftförmige Körper als Körper von verschiedenen Aggregatformen; sie hängen von dem Verhältniß der Stärke der Anziehungskräfte zu der der Abstoßungskräste zwischen den Molecülen ab. Unter F. schlechtweg pflegt man tropfbare F. zu verstehen. Bei ihnen ist die gegenseitige Anziehungskraft der Molecüle eben noch so groß, daß sie, wenn sie in geringer Menge auf horizontaler Unterlage sich berühren, zu Tropfen zusammentreten, die aber bei einiger Höhe der Schicht wegen des damit verbundenen Druckes sogleich zerfließen. Sie bedürfen also des Seitenwiderstandes eines festen Körpers, wenn sie in einer größeren Höhe, als dem Betrag eines Tropfens, in Verbindung sind, u. sie verbreiten sich dann durch ihr eigenes Gewicht (sowie durch jeden Druck) nicht blos seitwärts, sondern in communicirenden Röhren allseitig (s. Druck 1). Die ruhende Oberfläche einer tropfbaren F. nennt man Spiegel der F. (Niveau, Libelle). Sie muß im Zustande des Gleichgewichts immer so beschaffen sein, daß alle auf dieselbe wirkenden Kräfte auf dieser Oberfläche senkrecht stehen, weil jede schief wirkende Kraft eine Verschiebung der Theilchen, also Störung des Gleichgewichts, erzeugen würde. Daher muß die Oberfläche des Meeres die kugelförmige Gestalt der Erde annehmen. Hierauf beruht zum Theil die Einrichtung der Wasserwagen. Werden der Beweglichkeit der tropfbaren F. durch genau verschlossene Gefäße Grenzen gesetzt, so zeigen sie etwas Elasticität u. können in einem geringeren Betrag durch heftige Gewalt zusammengedrückt werden. Daher müssen die unteren Schichten eines tiefen Wassers, wie des Meeres, etwas dichter sein, als die oberen, wie Perkins mittelst seines Piëzomeiers (Druckmessers) u. neuerdings Örstedt u. Pfaff durch eine einfachere Vorrichtung (Gilberts Annalen 72,161) dargethan haben. Nach den Versuchen Letzterer steht die Zusammendrückung jeder F. in geradem Verhältnisse zu den belastenden Gewichten; die Zusammendrückung des Wassers beträgt für 1 Atmosphäre 0,000045 seines Volumens, die des Quecksilbers 0,0000001, die des Schwefeläthers ist dreimal so groß, als die des Alkohols, zweimal als die des Kohlensulfurids 11/3 mal als die des Wassers etc. Durch aufgelöste Salze, Alkalien u. Säuren wird die Zusammendrückbarkeit des Wassers vermindert. Durch Wärme dehnen sie sich aus u. gehen auch schon bei minderem Wärmegrade (s. Ausdünstung), noch mehr bei stärkerem, in Dampf über, wo sie dann die Elasticität eines Gases erhalten (vgl. Dämpfe). Derjenige Wärmegrad, bei welchem die Elasticität solchen Dampfes dem Drucke der Atmosphäre gleich ist, u. bei welchem in Folge dessen die F. in Wallung geräth, heißt der Siedepunkt der F. So wie aber ms den Dämpfen unter Verminderung der Wärme sich tropfbare F-en bilden, so gehen diese auch in minderen Wärmegraden, od. auch unter Einwirkung chemischer Anziehung, in feste Körper über, eben so wie auch diese in mehreren od. minderen Hitzgraden wohl durchgängig, wenn sie nicht früher verbrennen u. in Gasform übergehen (durch Schmelzen), flüssig werden. Unter sich unterscheiden sich tropfbare F-en auf das Mannigfaltigste bes. durch Stärke ihrer Cohäsion u. ihrer Eigenschwere. Nach den verschiedenen Affinitätsverhältnissen verbinden sie sich mit festen Theilen, indem sie solche auflösen, od. auch mit ihnen in einen Mittelzustand treten, in welchem sie zäh od. klebend werden, in welchem Zustande außer dem Eigengewichte noch eine andere äußere Kraft dazu gehört, ihre Theilchen zu verschieben. Durch Verdunsten der flüssigeren Theile werden diese dann zu festen. Es gibt sehr viele Grade der F. (Fluidität) tropfbarer Körper, u. so wie es keine absolut starren Körper gibt, so gibt es keine absolut tropfbar-flüssigen. Am flüssigsten ist flüssiger Schwefelwasserstoff, flüssige Kohlensäure u. flüssiger Kohlenwasserstoff. Zur Bestimmung des Grades der F. läßt man dieselbe aus einem eigens dazu vorgerichteten Gefäße mit sehr enger Öffnung anstropfen; der Grad der F. verhält sich umgekehrt wie das Product aus den Zeiten in das specifische Gewicht. Nach Coulomb findet man den Grad der Fluidität durch Beobachtung der Oscillationen, welche eine in ihrem Mittelpunkte aufgehängte, vollkommen äquilibrirte, kreisrunde Metallplatte in den verschiedenen F-en ausführt, indem sich nämlich dabei die Schwingungsbogen um so schneller vermindern, je größere Cohäsion zwischen den an der Platte haftenden u. den übrigen Flüssigkeitstheilchen stattfindet. Demnach findet man den Flüssigkeitsgrad des Wassers = 1000 gesetzt, den des Olivenöls = 45, den des Alkohols = 1098 etc. Von zwei F-en verschiedenen Gewichts, welche sich nicht verbinden, schwimmt die leichtere auf der schwereren.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 393.
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