Boccage, Maria Anna Lepage

[112] Boccage, Maria Anna Lepage, Maria Anna Lepage, Frau von Fiquet du, war eine durch Verstand und Kenntnisse ausgezeichnete Frau, die in Rouen den 22. October 1710 geboren wurde. Nur eine kurze Zeit war sie mit ihrem Gatten, der als Steuereinnehmer in Dieppe lebte, verheirathet. Nach seinem Tode suchte sie die Lücke, die sein Verlust in ihrem Dasein hervorgebracht hatte, durch das innige Befreunden mit Künsten und Wissenschaften auszufüllen, und die Freude, die sie an den Beschäftigungen ihres Geistes fand, beschwichtigte allmälig ihren Schmerz, und versöhnte sie mit dem Leben. Schon in ihrer frühesten, fast noch der Kindheit angehörenden Zeit, innerhalb der Mauern eines Klosters zu Paris, wo sie erzogen wurde, [112] erwachte ihre Neigung zur Dichtkunst, dem Samenkorn gleich, das, unberührt vom Strahl der Sonne, durch eigene Kraft sich aus dem dunklen Schooß der Erde zum Licht empor drängt. Jetzt, als Witwe, wurde jene Neigung ihr Beruf. Sie begann ihre schriftstellerische Laufbahn mit einem poetischen Werke über den gegenseitigen Werth der schönen Künste und Wissenschaften, welches so günstig beurtheilt wurde, daß es bei der Akademie zu Rouen den Preis empfing. Späterhin huldigten auch die Akademien zu Rom, Bologna, Padua und Lyon ihren Talenten, indem sie ihr die Ehre erzeigten, sie als Mitglied unter sich aufzunehmen. Sie gab hierauf eine Nachahmung des »verlorenen Paradieses« in sechs Gesängen heraus, so wie ein anderes Gedicht in zehn Gesängen, die Colombiade genannt. Auch besang sie den Tod Abel's, und ließ eine Tragödie, unter dem Titel: die Amazone, erscheinen. Die Briefe, die sie auf ihren Reisen nach England und Holland schrieb, werden für das Interessanteste gehalten, was durch ihre Feder hervorging. Sie fanden den ungemessensten Beifall, und Alles bestrebte sich, ihr denselben, theils durch Gedichte, theils in Prosa, auszusprechen. Ihre liebenswürdige Persönlichkeit und ihr allgemein geachteter edler Charakter erhöhte noch den Werth ihrer geistigen Gaben in den Augen ihrer Freunde, so wie in denen der Welt, wo sie eines völlig tadellosen Rufes genoß' Ihre vielen Bewunderer, zu denen man auch Voltaire, Fontenelle und Clairaut zählte, sprachen von ihr: Forma Venus, arte Minerva, und erkoren diese Worte zu ihrer Devise. Ihre Werke wurden fast in alle neuern Sprachen übersetzt, und sie erreichte ein hohes, ehrenvolles und glückliches Alter, denn sie starb erst am dritten August 1803 in ihrem drei und neunzigsten Jahre.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 112-113.
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