Delphi

[107] Delphi. Der berühmteste aller Orakelorte, der früher Pytho hieß. Dort stand über einer Erdöffnung, aus welcher besondere Dünste stiegen, der heilige Dreifuß mitten im Tempel des pythischen Apollon; auf ihm saß die Priesterin Pythia, und sprach unter Convulsionen, von der wunderbaren Einwirkung jener Dünste erregt, die Orakel in dunkeln, unzusammenhängenden, meist räthselhaften Worten aus, welche nun die Priester den Fragenden ertheilten, und es immer so einzurichten wußten, daß das Ansehen des Orakels erhalten wurde und die Priesterin Wahrheit verkündet haben mußte. Delphi lag in der Landschaft Phocis, und besaß unermeßliche Reichthümer, durch die aus allen Ländern, so weit griechischer und hernach auch römischer Götterdienst reichte, herbeiströmenden Rathsuchenden. Ueber der heiligen Stadt erhob der Berg Parnassus seinen gefeierten Gipfel, wo die Musen wohnten und die castalische Quelle sprudelte, aus der sich die Dichter Begeisterung tranken. Die Kunde von dieser Quelle ist wohl mehr als mythische Erdichtung; sie stand ohne Zweifel mit der begeisternden Grotte in Verbindung, jetzt ist die berühmteste Orakelstadt ein Dorf von 60 Häusern, heißt Kastri, und hat ein altes griechisches Kloster.[107] Da, wo sonst die pythischen Spiele viele Tausend Fremdlinge versammelten, wandelt vielleicht jetzt einsam unter trauernden Ruinen ein kräutersuchender Mönch, der kaum ahnet, auf welch klassischem Boden er sich befindet.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 3. [o.O.] 1835, S. 107-108.
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