Godwin, Mary

[455] Godwin, Mary, Mary Woolstonecroft, Mistreß, in der Nähe von London 1759 von armen Eltern geboren, die ihr eine nur mangelhafte Erziehung geben konnten, zeichnete sich schon als Kind eben so durch glänzende Talente als durch eine fast männliche Stärke des Charakters aus. Ohne Vermögen ergab sie sich mit dem angestrengtesten Eifer den Wissenschaften, um eine Schulanstalt zu eröffnen, der sie bald mit rühmlicher Anerkennung vorstand. Der hilflose Zustand einer geliebten Jugendfreundin rief sie nach Lissabon; sie kam eben an, um jene in ihren Armen sterben zu sehen und kehrte darauf nach England zurück, von wo sie der Graf Kinsborough als Erzieherin seiner Töchter nach Irland kommen ließ. Eine unglückliche Liebe, deren Hoffnungslosigkeit ihr Geist mit bewundernswerther, seltener Fassung bekämpfte, veranlaßte Mary Woolstonecroft sich nach Frankreich zu wenden. Sie ahnte nicht, daß ihrer in Paris noch weit härtere Erfahrungen warteten. Es war i. J. 1792; der glühende Freiheitseifer Marys machte das Interesse der Girondisten zu dem ihrigen; einen[455] Freund nach dem andern mußte sie unter dem Blutbeil vollenden sehen und noch war der schrecklichste Schlag des Schicksals nicht gefallen. Ein amerikanischer Kaufmann hatte durch die heiligsten Betheuerungen ihre Liebe gewonnen, aber auch ihre Unschuld zerstört, und verließ jetzt sie und ihr Kind in einer Lage des tiefsten Elends. Nur Zärtlichkeit für die geliebte Tochter hielt die Unglückliche ab, ein Leben zu enden, das Alles aufgeboten hatte, sie zur Verzweiflung zu treiben. Der Heldenmuth, mit welchem sie ihre unnennbaren Leiden trug, wurde durch einige ruhig zufriedene Jahre häuslichen Glücks belohnt, das sie an der Seite eines Jugendfreundes Godwin fand. Doch nur kurze Zeit durfte sich die Schwergeprüfte dieses Friedens erfreuen; sie starb an den Folgen ihrer Niederkunft am 10. Septbr. 1797. Ihr Gatte hat ihre nachgelassenen Werke herausgegeben; unter denselben nehmen die zahlreichen Schriften über Erziehung, Moral und Religion die ehrenvollste Stelle ein, außerdem hat sie einen vortrefflichen Roman The wrongs of woman (die Leiden der Frauen) verfaßt. Mad. Godwin war eine Frau von lebhafter und tiefer Empfindung, leidenschaftlich in ihren Gefühlen, aber eben so scharfsinnig und geistreich als wohlwollend und gesellig; in ihren Schriften, wie in ihren Neigungen überließ sie sich wohl zu häufig den Bildern und Eingebungen einer glühenden Einbildungskraft, doch kann dadurch der Schimmer ihres Geistes eben so wenig als die Größe ihrer Seele und ihres Charakters verdunkelt werden.

T.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 455-456.
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