Mitleid

[237] Mitleid. Ein weibliches Herz ohne Mitleid ist eine seltene Erscheinung, aber doch sehr oft findet man, daß viele Frauen diese Eigenschaft des Gefühls nicht so in Thätigkeit bringen, daß es diesen Namen verdient. Thränen sind nicht der einzige Tribut, den man dieser wichtigen Stimme des Herzens zu zollen hat. Mitempfinden ist noch nicht Mitfühlen. Dafür aber gibt es keinen Unterricht. Wenn aber eine Frau keine Thräne fließen sieht, ohne sie selbst mit zu weinen, wenn kein vom Mißgeschick Verfolgter an ihrer Schwelle vorüberzieht, ohne Trost und Hilfe zu empfangen, wenn sie das Werk der Barmherzigkeit übt ohne Aufsehen, aber mit Klugheit und Besonnenheit; und wenn endlich dieselben Lippen, die hier einem Unglücklichen den Trost der Religion zusprechen, dort mit Beredsamkeit die Vertheidigung eines verläumderisch angefochtenen Namens übernehmen – dann ist ihr Herz von dem wahren Mitleid durchdrungen.

B–l.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 237.
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