Repräsentation

[394] Repräsentation. Eine ganz eigenthümliche Spezialität Frankreich's ist unbestreitbar der Geschmack der Geselligkeit. Nirgend, wie hier, wird die Kunst des savoir vivre besser verstanden; nirgend herrscht eine größere Strenge in Sachen des guten Geschmacks, der Manieren, der Reinheit und Anmuth der Sprache und der ausgesuchtesten Eleganz; die französischen Salons (s. d.) sind die wahren, heitern Tribunale, wo der gute Geschmack der Sitten und der schönen Rede praktisch discutirt wird. So findet man denn auch hier im vorzüglichen Grade bei den Damen das, was man Repräsentation nennt, und wofür wir vergeblich nach einem Worte in unserer Sprache suchen. Eine Dame, sagt man, hat Repräsentation, wenn sie überall in der Gesellschaft mit jenem seinen Selbstbewußtsein, mit jener von Grazie und Humanität gemilderten Sicherheit auftritt, die in anmuthiger Offenheit und würdevoller Haltung sich geltend macht, und wiederum zugleich das Fremde anerkennend und dessen gesellige Ansprüche, mit lächelnder Selbstverläugnung sich leicht in die allgemeineren Schwingungen des Gesprächs verliert. Die Frau von R. hält als Frau von Hause an unsichtbaren Fäden die ganze Discussion. Sie führt nicht, sie leitet nur die Unterhaltung, weiß mit einem ermuthigenden Lächeln Schüchternen, mit einem ermunternden den Mürrischen in das Gespräch zu ziehen, und lenkt mit dem feinsten Takte, mit einem Worte, einem Blicke, einer Kleinigkeit, zu andern[394] Gegenständen über, wenn sie nur von fern die Möglichkeit einer Unzartheit, einer Ermüdung ahnt. Alle verlassen befriedigt den Saal, in dem sie sich ganz selbstständig zu bewegen glaubten, während doch die große socielle Künstlerin allein das Ganze übersah, ordnete, leitete, scheinbar dienend, während sie herrschte, stets lauschend bei der größten Unbefangenheit, umflossen von Grazie, Würde und Ernst. Doch wer vermöcht' es alle die seinen Nüançirungen zu schildern an dieser Wunderblüthe der Humanität, wie sie sich entfaltet in dem lustigen, anstandsvollen Gedränge der Salons!

S....r.

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Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 394-395.
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