Retzsch, Moritz

[398] Retzsch, Moritz. Wohl ging mancher große Künstler aus dem Erdenthale, ohne daß ihm die Genien der verschwisterten Künste Blumen auf seinen Pfad gestreut. Nur selten schloß die verwandte Kunst mit der verwandten zum Schaffen und Wirken, zu wechselseitiger Vollendung und Ergänzung einen harmonischen Bund. Solten daher Göthe, Shakespeare, Bürger, Schiller nicht dankbar lächeln über des Meisters Hand, der zwar nur mit wenigen Strichen, die aber der Ewigkeit voll sind, die Meistergebilde verklärter Dichter,[398] die ihrigen, aufs neue verklärte durch seine darstellende Kunst? Faust, Hamlet, Cordelia, Macbeth, Julie, Leonore, Mephistopheles, alle die Feuer- und Lichtgeburten, die in des Dichters Phantasie aus der Umarmung des Himmels und der Erde und selbst der Hölle hervorgingen, – in leichten, fast feenhaften Umrissen, wie Nebelgebilde und doch von sonnenklarer Wahrheit, treten sie uns in R's Zeichnungen entgegen. Nach Waldeinsamkeit sehnte sich der Knabe und Jüngling Moritz: man hatte ihn zum Waidmann bestimmt. Ja, in der Waldeinsamkeit, in der heiligen Stille der Waldnacht kam die Muse zu ihm und setzte ihm still und ernst den einfachen Fichtenkranz auf. Da, schon 20 Jahr alt, ward er sich seiner wahren Bestimmung bewußt, und die sonst so strenge Diana gestattete ihm huldvoll den Eintritt in das Reich ihres Bruders Apollo. – Nicht blos als Schöpfer der Umrisse zu Göthe's »Faust,« und Schiller's und Shakespeare's Werken, sondern auch durch mehrere Altarbilder und viele Portraits rühmlich bekannt, lebt R. jetzt als Professor der Malerei in Dresden, dem deutschen Florenz, wo er am 9. Dec. 1779 geb. wurde.

–r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 398-399.
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