Scudéry, Magdalene von

[187] Scudéry, Magdalene von, geb. 1607 zu Hàvre, wo ihr Vater in königlichen Diensten stand, war die Schwester des gleichfalls als Schriftsteller bekannten Georg von Scudéry, und begab sich, sobald ihre Erziehung beendigt war, nach Paris, wo ihre geistreiche Unterhaltung und ausgebreiteten Kenntnisse bald die ausgezeichnetsten Männer und Frauen um sie versammelten. Der Gunst des Publikums erfreuten sich damals insbesondere die endlosen Romane von Calprenède und Homberville. Fräulein v. S. suchte den Mangel äußerer Glücksgüter zu ersetzen, indem sie sich literarischen Arbeiten widmete, bei denen sie jene zum Muster genommen zu haben scheint. Sie besaß dabei die sonderbare Eigenheit, ihre meist im Alterthume gewählten Helden mit einem süßlichen, verliebten Wesen auszustatten. So unter anderen in dem Romane Clélie, in dem sie die größten Männer der römischen Republik, Horatius Cocles, Mucius Scävola u. A. als allein dem Dienste der Liebe und der Frauen ergeben, darstellt. Den großen Beifall, den die Werke des Frl. v. S., obgleich auch sie an den Gebrechen der damaligen Zeit litten, erhielten, müssen wir größtentheils dem Umstande zuschreiben,[187] daß sie meist Intriguen des Hofes schilderte, und Portraits bekannter Personen unter erborgtem Namen in den Roman verwebte. Auch ihren Schöpfungen fehlte Natürlichkeit, deren Mangel übrigens damals eher für einen Vorzug, als für einen Fehler galt; eine lebhafte, fruchtbare Einbildungskraft ist ihr nicht abzusprechen, eben so wenig wie eine reine, fließende Schreibart. Der Ruf von den Talenten dieser Schriftstellerin verbreitete sich bald auch in fremde Länder. Die Königin Christine von Schweden beehrte sie mit ihrer Freundschaft und stand in vertrautem Briefwechsel mit ihr. Die Akademie der Riçcorali zu Padua nahm sie unter ihre Mitglieder auf. Als die Akademie zu Paris im Jahr 1671 zum ersten Male zur Bewerbung um den von Balzac gestifteten Preis für französische Beredsamkeit aufrief, siegte Frl. v. S. in ihrem »Discours de la gloire«. Sie war ausgezeichnet häßlich, und in ihren leblosen, starken Zügen sprach sich die Ueberlegenheit ihres Geistes und die Tiefe ihrer innern Welt nur schwach aus, allein im näheren Umgange ließen ihr reich begabter Verstand, der Adel ihrer Seele und ihre anspruchslose Bescheidenheit den Mangel äußerer Schönheit leicht übersehen. Frl. v. S. erreichte ein hohes Alter und genoß das seltene Glück, die Kräfte ihres Geistes so frisch zu erhalten, daß sie noch im 92. Jahre ein Gedicht auf Ludwig XIV. machte. Sie starb den 2. Juni 170194 Jahre alt. Ihr schriftlicher Nachlaß besteht in mehreren Romanen, von denen Einige acht bis zehn Bände stark sind, und in Abhandlungen über verschiedene Gegenstände; die Entretiens de morale gehören zu dem Besten, was aus ihrer Feder geflossen ist, und werden zu jeder Zeit eine gute und nützliche Lectüre gewähren.

E. v. E.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 187-188.
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