Adel

[43] Adel. Fast bei allen Völkern der alten und neuen Welt, findet man, sobald sie sich ein Wenig über die Stufe der eigentlichen Wildheit erhoben haben, sobald die Cultur eine günstige Veränderung in ihrem Zustande macht, und sie sich unter ein religiöses und moralisches Gesetz beugen, eine Klasse von Menschen, welche gewisse Vorrechte vor den andern genießt, welche die Wissenschaften. die Künste, so weit sie bei dem Volke ausgebildet sind, besitzt, und[43] nicht selten auf die Regierung den größten Einfluß hat. So war es in Otaheite, in Indien, in Mexiko, in Afrika, so war und ist es noch jetzt in Europa. Woher diese Rechte der einen Klasse stammen, möchte vielleicht gar nicht zu ergründen sein, wenigstens ist man, so viel auch schon darüber geschrieben wurde, zu keinem Resultat gekommen. Es scheint, als habe in ältesten Zeiten der Priesterstamm die Vorrechte genossen. Schon in der Bibel finden wir seine Macht begründet; die Leviten sind die Bevorrechteten. Samuel setzt Könige ab und Könige ein. In Peru ist ein Menschenstamm, die Inka's, von solch' überwiegender Geistesgewalt gewesen, daß die Völker, zu denen er kam, sich ihm gern und willig unterwarfen. Im Norden von Europa erschien ein ähnlicher Stamm, die Asen, welcher dem Volke, zu dem er einwanderte, so viele Wohlthaten erwies, daß man ihn göttlich verehrte. Dort wie hier trug sich die Achtung vor den Vätern auch auf Söhne und Enkel über, und dieses mag leicht der erste Ursprung des Adels gewesen sein. In Asien ging der Priester Herrschaft bald in die Hände der Krieger. – Die hohe Achtung vor den ersteren hat sich noch erhalten, allein die Gewalt ist in Händen der Kschetri, – die Magier in Aegypten gaben sie an die Pharaonen ab, bei den Muhamedanern blieb die geistliche Würde mit der weltlichen vereint, das Oberhaupt der Moslemim ist zugleich ihr geistliches Oberhaupt, und die Emirn stammen unmittelbar von Muhamed ab. Europa bildete sich hierin anders aus. Verdienst, kriegerische Ehre, Länderbesitz mochten wohl den Keim zu dem Erbadel gelegt haben, welcher sich auf die mannichfaltigste Weise modificirte, bis er in seine jetzige gesetzliche Form kam. – Im zehnten und eilften Jahrhunderte finden sich die ersten deutlichen Spuren des Erbadels, welcher in England bei den Höheren, sich nur vom ältesten Sohne zum ältesten Sohne übertrug, und die andern Geschwister ganz vernachlässigte, so daß sie in den Bürgerstand zurücktreten mußten, Priester, Kaufleute, Soldaten, Handwerker wurden. – In Spanien und Italien ist es[44] fast eben so; darum findet man so viele stolze Eseltreiber und Reitknechte, weil sie alle von irgend einer adeligen Familie stammen. Der eigentliche Erbe aber entlehnt seinen Titel von seinen Gütern, und da diese alle sehr klein sind, er aber im Besitz von vielen solchen ist, so wird sein Name oft viele Ellen lang, und es liegt ein großes Verdienst darin, seinem Vornamen vier bis fünfhundert solche Titel (Hüte heißen sie) anzuhängen. In Frankreich und Deutschland ist der Adel ein Erbe der ganzen Familie; nur wo Majorate sind, oder bei eigentlich regierenden Fürsten, Grafen und Herren geht die Regentschaft auf den ältesten über, und die andern Mitglieder der Familie werden apanagirt. Dabei ist in Deutschland noch die besondere Bedingung, daß Vater und Mutter gleichen Standes sein müssen, weil die Kinder einer gemischten Ehe nicht der Erbfolge fähig sind. Ueberall, wo die rauhe, rohe Zeit die Gesetze machte, sind die edlen Frauen, des Lebens Zierde und Schmuck, von den Männern zurückgesetzt worden, weil man ihren hohen Einfluß, ihre Würde verkannte, und sie selbst, die besser geborenen, nicht Unrecht mit Unrecht vergelten mochten. So sind sie denn, die Kronen der Reiche, doch in der Regel von deren Regierung ausgeschlossen und zwar durch ein bestimmtes Gesetz: das salische Gesetz, dessen 62 Artikel ausdrücklich die Frauen von der Erbfolge bei Gütern, liegenden Gründen entfernt – was dann später auf die Thronfolge erweitert wurde. Dieses Gesetz, ohne daß es das salische hieße, gilt beinahe in allen Ländern der Erde; doch wie die Cultur höher stieg, wie sich die Sitten milderten, des Weibes schöne, heilige Bestimmung näher erkannt wurde, so änderte sich das Mißverhältniß. Schweden, England, Spanien, Oestreich, Rußland haben Frauen auf dem Throne gehabt, und mit Entzücken denken noch jetzt theils Zeitgenossen jener Regentinnen, theils die Kinder oder Enkel derselben der milden, liebevollen Herrschaft. – So sind denn auch bei den am wenigsten galanten Deutschen, die Frauen lehensfähig, (obwohl als Ausnahme bei dem Lehnsherren um die[45] Folge im Lehen nachgesucht werden mußte,) und ein solches nannte man Kunkel- oder Weiberlehen. Haben die Männer sich an den Frauen vergangen, indem sie ihnen den Adel, welcher vererbt wird, entzogen, so hat die Natur sie dafür auf das Herrlichste entschädigt, indem sie ihnen den Adel der Seele, man möchte fast sagen, als ausschließliches Eigenthum zutheilte. Nirgends finden wir bei den Männern so hohe Beispiele von Muth und Entsagung, von Liebe und Hingebung, von Reinheit des Herzens und Selbstvergessenheit, von Aufopferung und Großmuth, wie bei den Frauen. Wem wäre nicht Brutus Gattin Porzia, wem wäre nicht Arria, Lukretia, Cornelia, Agrippina, Charlotte Cordai, wem wären nicht hundert andre edle Frauen bekannt, welche eine Größe erreichten, zu der sich der Mann oft vergebens aufzuschwingen suchte, und welche um so bewundernswürdiger ist, als das härtere Geschlecht gewöhnt ist, jenes Lieblichere, Bessere – das schwache, oder noch verächtlicher, das zweite Geschlecht zu nennen, als ob ihm von Gott die erste Stelle so ganz ohne allen Zweifel angewiesen wäre. Daß dieses edle Geschlecht nicht nur in Sachen des Herzens und der Gesinnungen dem männlichen wenn nicht voran, so doch wenigstens gleich steht, sondern auch in Kunst und abstractem Wissen ihm den Rang streitig macht, beweisen zwei Königinnen: Christine und Elisabeth, die gelehrtesten, erleuchtetsten Köpfe ihrer Zeit, welche Griechisch und Lateinisch sprachen, wie die gewiegtesten Grammatiker, beweist Hypathia so hoch in der Mathematik erfahren, als Angelika Kaufmann in der Malerei, als Herschel's Schwester in der Sternkunde.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 43-46.
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