Gott

[476] Gott. Nicht durch sich selbst kann das All entstanden sein. Vom Staube bis zum Sterne, vom Funken bis zum Feuerblitze, vom Thautropfen bis zum Meere, vom Mooshaar bis zu den Urwäldern, vom Wurme bis zum Menschen: irgend eine Kraft, gewaltig und liebend, muß Alles durchhaucht und geordnet haben. – Dieß die Ahnung des Menschen, sobald er gelangt ist zu freiem Selbstbewußtsein. Da nun aber der Mensch von der Urzeit her nur allmälig von dem Unvollkommenen zu dem Vollkommneren sich heranbildete, so konnte sich auch die Idee von einer Gottheit nur nach und nach heran und heraus bilden. Auch war es natürlich, daß diese Idee sich überall nach dem Klima anders gestaltete und nach dem Charakter der Menschen sich formte. Ob daher wohl unter allen Völkern der Erde kein Einziges zu finden ist, dem der Glaube an eine Gottheit völlig mangelt, so ist doch derselbe eben so mannichfaltig aufgefaßt worden, als die Bildung der Menschen verschieden war, die ihn erfaßt haben. Bald wurden bloße Naturkräfte als persönliche Wesen, als Götter betrachtet und verehrt. Bald wurde – selbst von ausgezeichneten Philosophen – das Weltall als die Gottheit gedacht. Besonders aber nahm man Gott als ein Wesen an, das den Grund seines Daseins in sich selbst trägt, und dessen unendlicher Verstand und heiliger Wille der Ursprung ist von dem Dasein der Welt und ihrer Einrichtung und von dem Erlangen alles Glücks. Und eben diese Idee von Gott, dem Schöpfer der Welt, dem Regierer und Gesetzgeber derselben ist das Höchste, was die menschliche Vernunft erreichen kann.[476] Sie ist der Fittig des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, der Fittig, der unsern Willen trägt wie unsere That, unsern Segen wie unsern Fluch. – Wir übergehen die verschiedenen Beweise, welche man für das Dasein der Gottheit geführt hat. Der sicherste ist ja leicht zu finden. Er läßt sich heben aus dem Dasein und der Ordnung der Welt. Er läßt sich vollenden durch Herz und gesunde Vernunft. Uebrigens vergleiche man die Artikel: Aberglaube, Abgott, Abgötterei, Atheismus.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 476-477.
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