Allgemeinvorstellung

[28] Allgemeinvorstellung (repraesentatio communis, generalis) ist eine Vorstellung, die typisch ist, d.h. eine Gruppe von Vorstellungen repräsentiert, indem die Besonderheiten dieser »typischen Vorstellung« zugunsten der allgemeinen, charakteristischen Merkmale der Vorstellungsgruppe im Bewußtsein zurücktreten; nur die letzteren werden appercipiert.

Gegen die Auffassung der Allgemeinvorstellung als einer Vorstellung mit bloß allgemeinem Inhalt (schon bei ARISTOTELES ist von den synkechymena den Verschmelzungen des Gleichartigen in einer Vorstellung, die Rede, Phys. I 1, 184a 21 squ.) tritt LOCKE auf: »Words become general, by being made the signs of general ideas; and ideas become general, by separating from them the circumstances of time and place and any other ideas, tbat may determine them to this or that particular existence« (Ess. III, ch. 3, § 6; es ist eigentlich schon vom Begriff die Rede, der auf die beschriebene Weise entsteht). BERKELEY leugnet die Existenz von Allgemeinvorstellungen. Es gibt nur Einzelvorstellungen, und diese werden allgemein, indem sie andere Einzelvorstellungen derselben Art vertreten (Princ. XII, vgl. abstract). HUME: »Some ideas are particular in their nature, but general in their representation... A particular idea becomes general by being annexed to a general term« (Treat. set. 7). Es besteht eine Tendenz, von einer Idee zu ähnlichen überzugehen (ib.). Nach JAMES MILL: gibt es eine »general idea« nur, sofern »we can group all individuals of a certain description into one class, to which class we give a name, equally applicable to every individual« (Anal.c. 15). J. ST. MILL erklärt: »General concepts... we have, properly speaking, none; we have only complex ideas of objects in the concrete: but we are able to attend exclusively to certain parts of the concrete idea« Die Association zwischen einem solchen Complex und einem Namen vermittelt das Allgemeinheitsbewußtsein (Exam. p. 393). Nach MORELL entsteht die »general representation« durch Verschmelzung des Gleichartigen mehrerer [28] Vorstellungen zu einer »common representation« (El. of Psych. I, 204 ff.), ähnlich GALTON. HERBART faßt die Allgemeinvorstellungen als »Gesamteindrücke von ähnlichen Gegenständen« auf, diese sind »Complexionen, worin das Ähnliche der Teilvorstellungen ein Übergewicht hat über dem Verschiedenen« (Lehrb. z. Psych.3, S. 127). ÜBERWEG: »Wenn mehrere Objecte in gewissen Merkmalen und somit die Einzelvorstellungen von denselben in einem Teil ihres Inhalts übereinstimmen, so entsteht durch Reflexion auf die Gleichartigkeit und Abstraction von den ungleichartigen Merkmalen infolge des psychologischen Gesetzes der Miterregung der gleichartigen psychischen Elemente und gegenseitiger Verstärkung des Gleichartigen im Bewußtsein die allgemeine Vorstellung« (Log.5). Nach WUNDT wird eine Vorstellung allgemein durch den »Nebengedanken«, daß sie eine ganze Gattung vertritt (s. Begriff). Nach KREIBIG wird eine Allgemeinvorstellung so vorgestellt, »daß wir eine Einzelvorstellung anschaulich mit dem Wissen vorstellen, daß diese Einzelvorstellung nur ein Beispiel oder eine Vertreterin für eine Gruppe in bestimmter Weise ähnlicher Individuen sei« (Die Aufm. S. 42 f.). Nach KÜLPE sind Allgemeinvorstellungen Producte von Verschmelzungen ähnlicher Vorstellungsbestandteile (Gr. d. Psych. S. 209). Nach B. ERDMANN ist Allgemeinvorstellung eine solche, »deren Gegenstand das mehreren Einzelgegenständen Gemeinsame enthält« (Log. I, 88). Nach SULLY ist Allgemeinvorstellung eine Vorstellung, »welche in einem allgemeinen Sinne oder einer allgemeinen Bedeutung gebraucht wird« (Handb. d. Psychol. S. 239). Sie stellt die gemeinsamen Merkmale einer Classe von Gegenständen dar (ib.). Gattungs- oder typisches Bild ist »ein malerisches, geistiges Bild zusammengesetzten Charakters, das durch eine Reihe auffallend ähnlicher Wahrnehmungen und Acte der Wiedererkennung geformt wird« (l.c. S. 240). JERUSALEM versteht unter »typischen Vorstellungen« »solche, die in unserem Bewußtsein als Vertreter einer ganzen Klasse oder Gruppe von Objecten fungieren. Das wesentliche Merkmal der typischen Vorstellung ist ihr repräsentativer Charakter«. Auch einzelne Gegenstände sind in unserem Bewußtsein durch typische Vorstellungen vertreten. Es gibt daher typische Gemeinvorstellungen und typische Individualvorstellungen (Lehrb. d. Psych.3, S. 97 f.). Die typische Vorstellung entsteht schon sehr früh, sie ist »keine Abstraction, sondern ein wirkliches Erlebnis«, sie ist vom logischen Begriff vollkommen verschieden (l.c. S. 98 f.). Der Grund ihrer Entstehung ist ein biologischer. »Die Ökonomie des Seelenlebens, welche mit den psychischen Kräften haushält, läßt nur diejenigen Dispositionen actuell werden, welche bedeutsam sind, und wir stellen von dem Objecte nur das vor, was für unsere Lebenserhaltung wichtig ist. Eine typische Vorstellung ist somit zunächst der Inbegriff der biologisch wichtigen Merkmale eines Objectes« (l.c. S. 99). Die typischen Vorstellungen sind anschaulich und individuell bestimmt und doch allgemein, sie lassen sich auch absichtsvoll erzeugen (l.c. S. 100). Sie sind ursprünglich die Resultate von Apperceptionen, die gleichsam instinctiv vollzogen werden (l.c. S. 101). Schon GRILLPARZER bemerkt: »Es ist unstreitig, daß durch öftere Wahrnehmung mannigfaltiger Individuen, die zu einer Gattung gehören, sich der Einbildungskraft ein gewisses abgezogenes Bild, ein Typus der Gattung eindrückt, der sodann beim Formen von Begriffen die Grundlage macht« (WW. XV, 132 f.). Vgl. Begriff.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 28-29.
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