Einbildungskraft

[238] Einbildungskraft, transcendentale oder reine, productive unterscheidet KANT von der reproductiven Einbildungskraft (s. Phantasie). Erstere ist eine der, »subjectiven Erkenntnisquellen« (Krit. d. r. Vern. S. 126) die aller Association der Vorstellung schon zugrunde liegt (l.c. S. 127). Sie ist »eine Bedingung a priori der Möglichkeit aller Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntnis« (l.c. S. 128). Sie ist »transcendental« (s. d.), weil »ohne Unterschied der Anschauungen sie auf nichts als bloß auf die Verbindung des Mannigfaltigen a priori geht« (l.c. S. 129). Sie vermittelt zwischen Anschauung und Denken, ermöglicht die Anwendung der Kategorien (s. d.) auf den Erfahrungsinhalt (ib.). Sie »bringt das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild« (l.c. S. 130). »Wir haben... eine reime Einbildungskraft, als ein Grundvermögen der menschlichen Seele, das aller Erkenntnis a priori zum Grunde liegt. Vermittelst deren bringen wir das Mannigfaltige der Anschauung einerseits mit der Bedingung der notwendigen Einheit der reimen Apperception anderseits in Verbindung. Beide äußerste Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen vermittelst dieser transcendentalen Function der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen, weil jene sonst zwar Erscheinungen, aber keine Gegenstände eines empirischen Erkenntnisses, mithin keine Erfahrung geben würden« (l.c. S. 133). In der 2. Ausgabe der Kr. d. r. Vern. heißt es: »Einbildungskraft ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft? der subjectiven Bedingung wegen, unter der[238] sie allein den Verstandesbegriffen eine correspondierende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung ihrer Spontaneität ist, welche bestimmend und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperception gemäß bestimmen kann, so ist die Einbildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß die transcendentale Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Einwirkung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist« (l.c. S. 673). – J. G. FICHTE führt diese Lehre weiter. Ihm ist die productive Einbildungskraft die unbewußt Anschauungs-Inhalte und -Formen setzende Tätigkeit des Ich (Gr. d. g. Wiss. S. 415). So auch SCHELLING (Syst. d. tr. Ideal. I, 223). Über die erkenntnistheoretische Wertung der Einbildungskraft bei HUME, NIETZSCHE u. a. s. Phantasie.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 238-239.
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