Mikrokosmos

[670] Mikrokosmos: die kleine Welt, d.h. der Mensch als Welt im kleinen, als höchste Potenz aller Naturkräfte und als geistiger »Spiegel« des Universums. Makrokosmos: die Natur, das Universum, zuweilen als großer Mensch, als Organismus gedacht (s. Welt, Weltseele).

PLATO (Phileb. 30), ARISTOTELES (De an. III, 8), die Stoiker sehen im Menschen eine Concentration des Wesentlichen des Alls. Bei ARISTOTELES findet sich: en mikrô kosmô ginetai, kai en megalô (Phys. VIII 2, 252 b 26). Die Stoiker nennen den Menschen brachyn kosmon, die Welt megan anthrôpon, (vgl. L. STEIN, Psychol. d. Stoa I, 207, 441; schon PLATO nennt die Welt einen makranthrôpon). SENECA erklärt: »Quem in hoc mundo locum deus obtinet, hunc in homine animus; quod est illic materia, id in nobis corpus est« (Ep. 65, 24).

BOËTHIUS bemerkt: »anthrôpos esti mikrokosmos, id est, homo est minor mundus.« Mikrokosmos auch bei GREGOR VON NAZIANZ (Orat. 34). NEMESIUS sieht im Menschen, der alles abspiegelt, einen Mikrokosmos (Peri physeôs C. l), so auch GREGOR VON NYSSA (De an. et resurr. p. 188). So auch der Manichäismus (s. d.): to gar sôma touto kosmos kaleitai pros ton megan kosmon kai hoi anthrôpoi rhizas echousi katô syndetheisas tois anô (Archel. et Man. disp. 8; Ritter V, 163). JOH. SCOTUS ERIUGENA bemerkt: »homo veluti omnium conclusio... quod omnia... in ipso universaliter comprehenduntur« (De divis. nat. IV, 10). Ein Mikrokosmos ist der Mensch nach BERNHARD VON CHARTRES (Bibliotheca philosophor. mediae aetat. 1867). So auch nach ECKHART (Deutsche Myst. II). – Auch nach NICOLAUS CUSANUS ist der Mensch der Inbegriff und das Maß aller Dinge (De doct. ignor. III, 31). Nach AGRIPPA ist der Mensch ein Mikrokosmus, die »zweite Welt« (Occ. philos. III, 36). Nach PARACELSUS ist der Mensch ein Auszug, die Quintessenz aller Wesen und Kräfte (Philos. sag. p. 345; De nat. rer. VIII, p. 314). »Omnia una creata sunt. Makrokosmus et homo unum sunt.« Im Menschen sind alle coelestia, terrestria, undosa, acria (Paragran. C. 2). Ähnlich lehren PICO, CAMPANELLA (De sensu rer. I, 10), G. BRUNO, VAL. WEIGEL (Gnôthi seauton. I, 4), F. M. VAN HELMONT (Princ. philos. 5, 6), J. BÖHME (Myst. magn. 15 ff.), L. VIVES: »Homo microcosmus«; »hominem parvum quendam mundum appellavi, quod vim naturamque rerum omnium sit complexus« (De an. I, 42). LEIBNIZ erklärt: »Chaque chose est une certaine expression de l'univers... comme un univers encentré« (Gerh. III, 347). Jede Monade (s. d.) ist eine Welt für sich. Der Mensch ist ein bewußter Spiegel des Universums, eine Concentration desselben. – SCHOPENHAUER bemerkt: »Jeder findet sich selbst als diesen Willen, in welchem das innere Wesen der Welt besteht, so wie er sich auch als das erkennende Subject findet, dessen Vorstellung die ganze Welt ist... Jeder ist also in diesem doppelten Betracht die ganze Welt selbst, der Mikrokosmos, findet beide Seiten derselben ganz und vollständig in sich selbst. Und was er so als sein eigenes Wesen erkennt, dasselbe erschöpft auch das Wesen der ganzen Welt, des [670] Makrokosmos« (W. a. W. u. V. I. Bd., § 29). Ein Mikrokosmus ist der Mensch nach SCHELLING, J. J. WAGNER (Syst. d. Idealphilos. S. LIII), SCHUBERT (Lehrb. d. Menschen- u. Seelenk. S. 2) u. a. J. H. FICHTE nennt den menschlichen Geist einen Mikrokosmos (Psychol. I, 93), so auch LOTZE (Mikrok. I – III). Nach WUNDT ist die Seele (s. d.) ein Spiegel des Universums. Nach EMERSON gelangt das Weltall auch im kleinsten seiner Teile zur Darstellung. »Ein jegliches Ding in der Natur enthält alle Kräfte der Natur« (Esssys S. 17). Vgl. »Alles in Allem«. – Vgl. A. MEYER, Wesen u. Gesch. d. Theorie vom Mikro- u. Makrokosm., Berner Stud. zur Philos. XXV, 1900.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 670-671.
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