Selbsterkenntnis

[354] Selbsterkenntnis ist reflexives, besonnenes Bewußtsein des eigenen Ich, richtige Beurteilung der Eigenschaften, Dispositionen, Kräfte, Werte des selbst, geschöpft aus der Vergleichung der Betätigungen und Reactionen des Ich im Leben, in der socialen Gemeinschaft. Die Selbsterkenntnis ist stets nur partial, lückenhaft, kann aber sehr vervollkommnet werden, hängt auch von der Art (Constanz) des eigenen Charakters (s. d.) ab. Nach SOKRATES ist die Selbsterkenntnis (das gnôthi sauton des Delphischen Apollotempels) Bedingung der Sittlichkeit (Xenoph., Memor. IV, 2, 24). – CHR. KRAUSE erklärt: »Das erste dem Geiste sich darbietende Gewisse ist er sich selbst mit seiner Persönlichkeit, die erste Erkenntnis ist Selbsterkenntnis. Sie tritt ins Bewußtsein ein, so oft der Geist das Bild seines eigenen Lebens an die Idee eines individuellen Geistes hält. Diese Selbsterkenntnis ist das äußere Band aller andern Erkenntnis« (Urb. d. Menschh.3, S. 35). M. CARRIERE bemerkt: »All unser Erkennen ist ursprünglich und auch am Ende Selbsterkennen« (Sittl. Weltordn. S. 169). Vgl. G. BIEDERMANN, Philos. als Begriffswiss. I, 291 ff.. HAGEMANN, Log. u. Noet. B. 155, u.a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 354.
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