Schiller, Friedrich

[635] Schiller, Friedrich, 1759-1805, der klassische Dichter hat sich auch als philosophischer Denker ausgezeichnet. Auf der Karlsschule las er Shaftesbury, Rousseau, Lessing, Garve u. a. und wurde durch seinen Lehrer Abel mit der Leibniz-Wolffschen Philosophie vertraut, wie dies die »Philosophischen Briefe« (1786) zeigen. Einen starken Eindruck machte dann (seit 1787, 1791) Kant auf ihn, auf dessen Wegen er, aber mit selbständigen Anschauungen (besonders auf dem Gebiete der Ästhetik) im Einzelnen, wandelte. Ohne ein systematischer Philosoph zu sein, hat Sch. in Poesie und Prosa eine ausgeprägt idealistische Weltanschauung, Grundzüge einer Kulturphilosophie dargelegt.

Aus seiner Leibniz-Wolffschen Periode sei erwähnt, daß Sch. (in seiner Dissertation: Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen; 1780) einen Parallelismus zwischen psychischen und physiologischen Vorgängen annimmt. »Die Tätigkeiten des Körpers entsprechen den Tätigkeiten des Geistes.« In den »Philosophischen Briefen« gibt Sch. seiner spiritualistisch-optimistischen Weltanschauung beredten Ausdruck. »Das Universum ist ein Gedanke Gottes.« »Wo ich einen Körper entdecke, da ahne ich einen Geist.« Alle Geister werden von Vollkommenheit angezogen, alle streben nach dem Zustand der höchsten freien Äußerung ihrer Kräfte. Die Natur ist »ein unendlich geteilter Gott«. Das göttliche Ich hat sich in zahllose empfindende Substanzen gebrochen: »Freudlos war der große Weltenmeister, 1/2 Fühlte Mangel darum schuf er Geister, 1/2 Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit. 1/2 Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches, 1/2 Aus dem Kelch des ganzen Wesenreiches 1/2 Schäumt ihm die Unendlichkeit.«

Die Ethik Kants mit ihrer Forderung sittlicher Autonomie billigt Sch. durchaus, nur will er den »Rigorismus« dahin mildern, daß in der »schönen Seele« an Stelle der strengen Herrschaft der Pflicht im Kampf mit der Sinnlichkeit das sittliche Sein der Persönlichkeit mit ihrer Neigung zum Sittlichen[635] tritt. In der schönen Seele harmonieren Pflicht und Neigung. Sinnlichkeit und Vernunft, als sittliche Anmut, welche die sittliche Würde ergänzt. Bei der schönen Seele sind eigentlich nicht die einzelnen Handlungen sittlich. sondern der ganze Charakter. Erst wenn die sittliche Denkart dem Menschen zur Natur geworden ist, ist sie geborgen; dann bedarf es nicht mehr der »imperativen Form« des Sittlichen. Sind Anmut und Würde in derselben Person vereinigt, so ist der Ausdruck der Menschheit in ihr vollendet.

Der Mensch befindet sich zunächst in einem »Notstaat«, mit dem er als moralische Person nicht zufrieden sein kann; er will den Naturstaat in einen sittlichen verwandeln. Jeder Mensch trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen »reinen idealischen Menschen in sich. mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseins ist«. Dieser reine Mensch wird durch den Staat repräsentiert, die objektive Form, in der sich die Mannigfaltigkeit der Subjekte zu vereinigen trachtet. Der Mensch in der Zeit soll sich zum »Menschen in der Idee« veredeln. Bei dem Volke, das fähig sein soll, den Staat der Not mit dem Staat der Freiheit zu vertauschen, muß »Totalität des Charakters« vorhanden sein, Harmonie der Triebe und Kräfte. Dazu ist ästhetische Kultur notwendig. Durch sie werden der sinnliche »Sachtrieb« und der »Formtrieb«, der aus der vernünftigen Natur des Menschen entspringt und gesetzgebend auftritt, alles zu einer »Ideeneinheit« erhebt, in der Einheit des Spieltriebes verbunden, der den Menschen zum vollen Menschen, zur Einheit von Sinnlichkeit und Vernunft macht. Der Gegenstand des Sachtriebes ist das Leben, der Gegenstand des Formtriebes die Gestalt, der des Spieltriebes die »lebende Gestalt«, in der die Schönheit besteht. Die Schönheit ist ein Spiel und der Mensch »ist nur da ganz Mensch, wo er spielt« (Das Spielen führt Sch., wie später Spencer, auf überschüssige Kraft zurück). Im Schönen stimmen Sinnlichkeit und Vernunft zusammen, das Schöne vermittelt zwischen Natur und Sittlichkeit und erhebt den Menschen auf die höchste Stufe, die er im »ästhetischen Staat« (im Unterschiede vom dynamischen Rechtsstaat und vom moralischen Staat) einnimmt. Die Schönheit ist »die Bürgerin zweier Welten«, indem die Vernunft das Sinnliche übersinnlich behandelt, es zum Ausdruck einer Idee macht. Schönheit ist, kurz gesagt, »Freiheit in der Erscheinung«, Ausdruck selbständigen Lebens. Der ästhetische Sinn sucht in der Form ein »freies Vergnügen«, schaut uninteressiert an (vgl. Kant). Es handelt sich hier um den ästhetischen Schein, der weder Realität vertreten will, noch von derselben vertreten zu werden braucht. Das Gefühl des Erhabenen ist eine Zusammensetzung von Wachsein und Frohsein. Es besteht aus dem Gefühl unserer Ohnmacht und Bewegung, einen Gegenstand zu umfassen, und aus dem Gefühl unserer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und dasjenige sich geistig unterwirft, dem unsere sinnlichen Kräfte unterliegen; es verschafft uns einen Ausgang aus der sinnlichen Welt.

Aus den Gedichten Sch.s führen wir folgendes an: [636]

Wirke Gutes, du nährst der Menschheit göttliche Pflanze.

Bilde Schönes, du streust Keime der göttlichen aus.

***

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,

Und würd' er in Ketten geboren. –

Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall.-

Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,

Wie auch der menschliche wanke;

Hoch über der Zeit und dem Raume webt

Lebendig der höchste Gedanke,

Und ob alles in ewigem Wechsel kreist,

Es beharrt im Wechsel ein ruhiger Geist.

***

Des Gesetzes strenge Fessel bindet

Nur den Sklavensinn, der es verschmäht;

Mit des Menschen Widerstand verschwindet

Auch des Gottes Majestät.

***

Aber in den heiteren Regionen,

Wo die reinen Formen wohnen;...

***

Es ist dennoch das Schöne, das Wahre!

Es ist nicht draußen, da sucht es der Tor;

Es ist in dir, du bringst es ewig hervor.

Schriften (philosophisch-ästhetische): Philos. Briefe, 1786. – Über den Grund unseres Vergnügens an tragischen Gegenständen, 1792. – Über die tragische Kunst, 1792, – Über Anmut und Würde, 1793. – Über naive und sentimentalische Dichtung, 1796. – Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts, 1795. – Vom Erhabenen. Werke, hrsg. von Goedecke, 1867-76. – Philos. Schriften, hrsg. von Kühnemann (Philos. Bibl.), 2. A. 1910. – Vgl. K. FISCHER, Schiller als Philosoph, 1858; 2. A. 1892. Schiller-Schriften, 2. A. 1891-92. – R. TOMASCHEK, Sch. und Kant, 1857. – UEBERWEG, Sch. als Historiker u. Philosoph, 1884. – K. BERGER, Die Entwicklung der Sch.schen Ästhetik, 1893. – GEYER, Sch.s ästhetisch-sittliche Weltanschauung, 1898. – KÜHNEMANN, Kants und Sch.s Begründung der Ästhetik, 1895. – P. FRIEDRICH, Sch. und der Neuidealismus, 1909. – Vgl. Sch. als Philosoph und seine Beziehungen zu Kant, hrsg. von Vaihinger und Bauch, 1905.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 635-637.
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