Fünftes Kapitel.

Germanicus und Arminius.

[95] Die Römer waren nicht imstande, die Niederlage im Teutoburger Walde sofort zu rächen. Zwar eilte Tiberius, der einzige Feldherr, dem Rom eine solche Aufgabe hätte anvertrauen können, an den Rhein, aber sich in einen vieljährigen Krieg zu stürzen, war er nicht in der Lage. Nur durch Adoption, unter Übergehung des leiblichen Enkels des Augustus, zur Thronfolge bestimmt, mußte er in Rom zur Stelle sein, wenn etwa der alte Kaiser die Augen zumachte. Tiberius beschränkte sich also darauf, die Rheingrenze zu sichern, die Armee zu ergänzen und das Vertrauen wieder herzustellen. Erst fünf Jahre später, auf die Nachricht vom Tode des Augustus und der Thronbesteigung des Tiberius, begann Germanicus, der Sohn des Drusus, Neffe und Adoptivsohn des Tiberius, den Rachekrieg mit dem Endziel der Wiederunterwerfung der germanischen Völkerschaften bis an die Elbe.

Über die Feldzüge des Germanicus sind wir ausschließlich auf den Bericht des Tacitus angewiesen; so eingehend dieser ist, so genügt er uns dennoch nicht, da außer der Rhetorik des Schriftstellers, die den sachlichen Zusammenhang vernachlässigt und verwischt, nun noch eine zweite störende Eigenschaft hinzukommt. So eingehend Tacitus sich mit den Germanen beschäftigt hat, so hat er doch offenbar von den geographischen Verhältnissen des Landes ganz unklare Vorstellungen gehabt. In der Germania läßt er die Chauken, die an der Mündung der Weser, an der Nordseeküste wohnten, an die Chatten in Hessen grenzen, obgleich neben andern,[95] weniger bekannten Völkerschaften keine geringeren als die Cherusker dazwischen liegen.41

Im Feldzuge des Jahres 15 gelangen römische Truppen, die von der Ems am Strande entlang an den Rhein zurückmarschieren, nach Tacitus an die Weser.

Im Jahre 16 landet Germanicus sein Heer an der Ems; unmittelbar daran schließt sich der Satz: während er sein Lager absteckt, wird ihm der Abfall der Angrivarier im Rücken gemeldet. Die Angrivarier wohnten aber auf beiden Ufern der Weser. Man hat dem offenbaren Fehler durch Änderung des Textes abzuhelfen gesucht und statt der Weser in dem ersten Beispiel einen kleinen Fluß in Holland, Unsingis (Hunse), eingesetzt oder statt der Angrivarier in dem zweiten Beispiel die Ampsivarier. Aber der sonstige Zusammenhang läßt diese Verbesserungen kaum zu und stürzt in andere unüberwindliche Schwierigkeiten. Es muß dabei bleiben, daß Tacitus tatsächlich diese Fehler gemacht hat, und sie sind psychologisch auch gar nicht so ganz unglaublich. Sie hängen mit seiner ganzen Denkweise zusammen. Die sachlich objektiven Zusammenhänge interessieren ihn nicht und es kommt ihm nicht darauf an, zuweilen die Namen von zwei germanischen Flüssen oder Völkerschaften zu verwechseln. Uns freilich stößt das vor den Kopf, und man hat an der ersten Stelle annehmen wollen, daß Tacitus unterlassen habe, zu erwähnen, daß im Jahre 15 die Römer vor der Rückkehr an den Rhein noch eine Rekognoszierung an der Wesermündung unternommen, und an der zweiten, aus dem Jahre 16, daß er unterlassen, den Marsch von der Ems zur Weser und zurück ausdrücklich zu erzählen, weil auf ihm keine Ereignisse vorgefallen. So ganz unmöglich mag diese Auskunft nicht sein, für die Brauchbarkeit Tacitus' als Quelle für die Kriegsgeschichte gibt diese Aushilfe aber keine bessere Gewähr als die Namensverwechselung; ja, sie ist noch schlimmer, denn statt momentaner Unaufmerksamkeit[96] haben wir eine grundsätzliche Vernachlässigung. Ein Marsch von der Ems zur Weser und zurück ist für ein großes Heer, auch wenn es keinerlei Gefecht unterwegs hat, immer ein sehr großes Ereignis, das ein Schriftsteller, dem es auf den strategischen Zusammenhang ankommt, niemals unterlassen kann zu erwähnen. Wie dem aber auch sei, wir müssen an die Behandlung dieser Feldzüge von vornherein herantreten mit dem Bewußtsein, daß wir trotz der ausführlichen Darstellung eines Historikers ersten Ranges doch eine verläßliche, sachliche Erzählung der Ereignisse nicht besitzen und, wenn überhaupt, ohne die stärksten Korrekturen zu genetischem Verständnis nicht gelangen werden.

Cäsar hatte die Empörung der Gallier, nachdem er sich zuerst auch halb friedlich bei ihnen niedergelassen, niedergeworfen, indem er sie mit der Übermacht seines fest zusammengehaltenen großen Heeres im offenen Felde besiegte und ihre Städte eroberte. Das wohlangebaute Land, in dem immer einige Völkerschaften zu den Römern hielten, war imstande, die römischen Truppenmassen auf dem Hin- und Hermarsche zu ernähren.

In Germanien war die Aufgabe eine ganz andere. Die Germanen hatten keine Städte, durch deren Wegnahme und Zerstörung man sie hätte mürbe machen können. Hatte Cäsar schon den Vercingetorix nicht direkt zur Schlacht zwingen können, so war es den Germanen in ihren Urwäldern und Mooren noch viel leichter, sich dem Angriff der Römer zu entziehen. Ganz unmöglich aber war es den Römern, wie wir nun von neuem aufs stärkste betonen müssen, ein großes Heer aus dem Lande selber zu verpflegen. Die Bevölkerung war sehr dünn und lebte hauptsächlich von den Herden, nur in geringerem Maße vom Ackerbau. Größere Getreidevorräte also gab es in Germanien nicht, die man hätte sei es requirieren, sei es ankaufen können. Stellten sich die Germanen nicht zur Schlacht, so blieb nichts übrig, als ihre Dörfer aufzusuchen und niederzubrennen. Aber ein solcher Verlust traf die Germanen, die ja ohnehin ihre Wohnstätten öfter verlegten, nicht gerade schwer, wenn sie nur Zeit behielten, ihren Hausrat vorher fortzuschaffen. Am schwersten wurde ein Gau getroffen, wenn der Feind ihm seine Heerde abfing. Aber das war nicht so leicht. Die Römer konnten sich nicht etwa in kleine Abteilungen[97] auflösen, um die Wälder abzusuchen und die Verstecke der Germanen und ihres Eigentums aufzuspüren. Jede kleinere detachierte Abteilung mußte gewärtig sein, in einen germanischen Hinterhalt zu fallen. Selbst Abteilungen von einigen tausend Mann konnten auf Übermacht stoßen und waren dann in dem unübersichtlichen Gelände verloren. Den Römern war also hier eine strategische Aufgabe ganz eigentümlicher Art gestellt, wie wir ihr in unserem Gange durch die Geschichte der Kriege bisher noch nicht begegnet sind.

Noch im Herbst des Jahres 14 machte Germanicus einen Verwüstungszug durch das Land südlich der Lippe, wo die Marser wohnten. Da sie völlig unvorbereitet überfallen wurden, so wagte Germanicus sein Heer in vier Abteilungen zu zerlegen und vermochte infolgedessen einen Raum von zehn Meilen, wie es zu verstehen sein wird, in der Breite zu durchziehen und auszurauben. Auf dem Rückweg wurde das römische Heer von Bructerern, Tubanten und Usipetern, die den Marsern zu Hilfe gekommen waren, angefallen, schlug aber den Angriff, gut geordnet und auf alles vorbereitet, wie es war, siegreich zurück, obgleich die vier Legionen zusammen nur 12000 Mann stark waren, denen 26 Kohorten Bundesgenossen und acht Alen Reiter sekundierten. Schlagen wir die Bundesgenossen auf 8000 bis 10000, die Reiter auf 1000 bis 1500 Mann an, so mag das ganze Heer etwas über 20000 Mann stark gewesen sein.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 95-98.
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