A. Juridische Differenzen.

[695] a) Das kompensatorische Verfahren bei Körperverletzungen. Die Sadducäer (Boëthusäer) nahmen die Bestimmung Aug' um Auge, Zahn um Zahn buchstäblich. Im Talmud wird diese Differenz nicht deutlich erwähnt, nur das Scholion zu M. T. c. 4 führt sie an: ונש םדא ליפה ןש תחת ןש ןיע תחת ןיע םירמוא םיסותייב ויהש 'וכו וניע תא אמס וריבח לש ונש תא ליפי וריבח לש. Allein die weitläufige Begründung der entgegengesetzten Ansicht, die der Talmud (Baba kamma 53b ff.) mit so viel Aufwand geltend macht, beweist ebenfalls, daß sie ihre Gegner hatte, und daß das erwähnte Scholion aus einer historischen Quelle schöpfte.

b) Das Strafverfahren bei Zeugen, die des Alibi überführt wurden. Nach den Sadducäern tritt die Todesstrafe für solche Zeugen nur ein, wenn durch sie ein Justizmord bereits vollzogen worden, nach den Pharisäern hingegen auch schon für die Intention: ןיא רע םירמוא ןיקודצה ירהש ןידה רמגיש רע ןיגרהנ ןיממוז םירעה שפנ תחת שפנ רמאנש גרהיש (Mischna Maccot I, 6). Die Tossefta Sanhedrin c. 6 hat anstatt םיקודצ die Lesart םיסותייב.

c) Erbrecht. Hinterläßt ein Erblasser nur eine Tochter, und ist außerdem auch eine Tochter von einem vor dem Tode des Erblassers verstorbenen Sohne ge blieben, so erbt nach der pharisäischen Ansicht die Enkelin mit Ausschluß der Tochter. Nach der sadducäischen Ansicht hingegen teilt die Erbin des Vaters in diesem Falle mit der Enkelin. שרית ןירמוא ןיקודצה ןבה תב םע תבה (Jerusch. Baba Batra 8, 1, Babli 115 b, Megillat Ta'anit V. 2). Auch hier hat die Tosefta (Jadaim Ende) םיסותייב. R. Simson (ש"ר) las aber םיקודצ im Kommentar zu Jadaim 4, 7.

d) Verantwortlichkeit des Herrn für die durch Sklaven herbeigeführte Beschädigung nach Ansicht der Sadducäer. דבע ... םישורפ םכילע ונא םילבוק םיקודצ ורמא ןקזנב בייח אהאש ןיד וניא תוצמ ןהב בייח ינאש המאו (Jadaim 4, 7). – Das Scholion zu Megillat Ta'anit stellt auch eine Differenz auf in Betreff der Beweisführung bei einer Anklage gegen eine Neuvermählte über Abwesenheit der Symptome der Jungfräulichkeit (Deuteronomium 22, 13-19). Nach den Sadducäern sollte der Ausdruck: הלמשה ושרפו wörtlich zu nehmen sein, nach den Pharisäern hingegen eine figürliche Bedeutung haben (c. 4) םירבד הלמשה ושרפו ןירמוא ןיסותייב ויהש ןבתככ. Indessen ist diese Angabe wohl unrichtig; denn auch ein Tannaïte, R. Eliëser ben Jacob, faßt diese Beweisführung in wörtlichem Sinne: ןבתככ םירבדה שממ הלמש (Siphre No. 237; Ketubbot 46; Jerusch. das. [695] p. 28 c.), ohne daß diese Deutung als sadducäisch perhorresziert wird. Eben so falsch ist wohl die andere Angabe desselben Scholion, daß die Sadducäer das Ausspeien der Schwägerin, welcher der Levir die vorgeschriebene Ehe versagt, buchstäblich »ins Gesicht speien« genommen wissen wollten (das.). Weder im Siphre, noch im Talmud (Jebamot 106 b) wird berührt, daß die Sadducäer in diesem Punkte eine differierende Ansicht gehabt hätten101.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1906, Band 3.2, S. 695-696.
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