12. Die Reihenfolge der nachbostanaïschen Exilarchen und ihre Bedeutung[437] 46.

Scherira, der uns mit der Diadoche der Schulhäupter bis auf Jahr und Monat ihrer Funktionen bekannt macht, hat, wie es scheint, geflissentlich einen Schleier über die Exilarchen geworfen. Sie waren bei ihm und den Mitgliedern der Lehrhäuser mißliebig. Wenn Scherira von sich rühmt, er stamme aus dem Exilarchenhause, so fügt er, wie um einen Makel abzuweisen, hinzu: »aber nicht von den Söhnen Bostanaïs: ןנברב ונניקז וליע יכה ימקמ אלא אנהנא יאנתסב ינבמ אלו אתביתמד. Daher mochte dieser Annalist den Exilarchen von der bostanaïschen Linie nicht die Ehre antun, ihre Reihenfolge anzugeben. Dieser Punkt ist daher in Dunkel gehüllt. Wir wollen versuchen, ihn durch gelegentliche Notizen bei Scherira und in anderweitigen Quellen ein wenig aufzuhellen, weil das geschichtliche Verständnis nicht selten davon abhängt. Es handelt sich zunächst um den unmittelbaren Nachfolger Bostanaïs, der, wie angegeben, mehrere legitime Söhne hinterlassen hat. Aber gerade sein Name und seine chronologische Stelle ist unbekannt geblieben.

1. Eine Quelle in Zacutos Jochasin (wahrscheinlich von Nathan, dem Babylonier, herrührend)47 und der Karäer Jefet ben Saïd nennen zwar Bostanaïs Nachfolger Chasdaï: המלש .יאדסח .יאנתסב (bei Jochasin); ןנע ונבל אוהו אישנה דוד 'רל אוהו יאדסח ונבל רסמ יאנתסב (Jefet). Aber diese Angabe ist entschieden falsch. Denn diesen Chasdaï nennt Scherira ebenfalls und zwar als Vater des Exilarchen Salomo. Dieser Salomo nun fungierte sicherlich im Jahre 733. Denn in diesem Jahre setzte er Marben Samuel zum Gaon von Sura ein. שיר אדסח רב המלש הילקש גלפמד איסחמב הוה אלד ןויכ איסחמב הינמו לאומש רב רמ 'ר רמל אתולג48. Dieser Marben Samuel wurde eingesetzt im Jahr 1044 Sel. = 733, nach der von mir korrigierten Chronologie der Gaonen in Frankels Monatsschrift, Jahrg. 1857, S. 383 und die Tafel dazu. Der Exilarch Salomo fungierte aber noch im Jahre 759; denn er setzte auch den Gaon R' Jehudaï ein, nach Scherira: ... ןואג יאדוהי רמ אוה ףא היתוכ ארוסב גילפמד ןאמ הוה אלו אתידבמופמ ימנ הוהו םתהל הינמו האישנ המלש הילקש ימנ (dieses geschah 1070 Sel. = 759; a.a.O.). Der Exilarch Salomo fungierte also jedenfalls 733-759, aber auch vorher, denn er war bereits Exilarch, als er Marben Samuel einsetzte. Nehmen wir an, daß er die Exilarchenwürde 730 übernahm, so fällt das Exilarchat seines Vaters um 700-730. Bostanaï fungierte aber (wie in der vorigen Note angegeben) bis um 660. Es bleibt also zwischen Bostanaï und Chasdaï eine Lücke von 40 Jahren für mindestens einen Exilarchen. Gerade um diese Zeit zwischen dem Todesjahre [437] Bostanaïs und dem Jahre 1000 Sel. = 689, d.h. in der unmittelbar nachbostanaïschen Zeit, während seines ersten Nachfolgers, fallen die Reibungen zwischen dem Exilarchen und dem Kollegium der suranischen Hochschule, von denen Scherira berichtet. Er gibt an: »Die Reihenfolge der suranischen Gaonen vor dem Jahre 1000 Sel. vermag ich nicht in Ordnung darzustellen, weil es unter ihnen Entartung und Haß gegeben, und die Exilarchen haben sie ein- und abgesetzt: erst vom Jahre 1000 an ist mir die Reihenfolge bekannt:« ןוהלכ ינש ןיליאבו תיאו רדסה לע ריפש והל אנריהנ אל איסחמ אתמב ווהד םינואג לבא ןוהל ןירדהמו ןוהמ ןורבעמ םיאישנד אתרוטנו אתפונח ןוהב ןוהב ןל םיק ךליאו ףלא תנש ןמ ...49. Die Streitigkeiten fallen demnach vor 689. Schwerlich übte Bostanaï selbst dies Willkürregiment; denn in diesem Falle würde R' Haï, der in dem oben (S. 433) zitierten Responsum von ihm referiert, nicht ermangelt haben, ihm etwas anzuhängen. Es ist demnach wahrscheinlich, daß erst Bostanaïs unmittelbarer Nachfolger ein strenges Regiment gegen die suranischen Schulhäupter handhabte. Man könnte sogar aus Scheriras Ausdruck: »ןוהל ןירבעמ םיאישנד« folgern, daß bis zum Jahre 1000 Sel. = 689 mehrere Exilarchen fungiert haben. Falsch ist es also jedenfalls, auf Bostanaï unmittelbar Chasdaï solgen zu lassen50. Wir müssen vielmehr annehmen: 1. Bostanaï; 2. eine Lücke von mindestens 40 Jahren für einen oder mehrere Exilarchen, Söhne oder auch Enkel Bostanaïs; 3. Chasdaï und 4. Salomo ben Chasdaï. War, wie die Karärer angeben, David, der Vater des karäischen Schismatikers Anan, ein Sohn Chasdaïs, so hatte dieser zwei Söhne: Salomo und David. Die Karäer lassen den Exilarchen Salomo weg, obwohl seine Exilarchatsfunktion durch Scherira am meisten bekundet ist, weil sie Anans Vater zum Exilarchen stempeln wollten.

Wir haben oben gesehen, daß der Exilarch Salomo noch im Jahre 759 fungiert hat. Wie viele Jahre er noch später in Funktion war, hängt von dem Datum ab, in welches das Schisma des Karäismus oder das Auftreten Anans zu setzen ist.

2. Wir müssen uns auch hier von Scheriras genauer Angabe leiten lassen. Er referiert: »Während die zwei Brüder Jehudaï (in Sura) und Dudaï (in Pumbadita) gleichzeitig fungierten, trat Anan auf: (יאדוהי) אוהו ןתואבו דחא קרפב אתביתמ ןיתרתב םינואג ויה (יאדוד) ויחאו ןנע קפנ םימיה. Nun fungierten diese zwei Brüder (der erste 1070-73, der andere 1072 bis 75 Sel.) nur in den zwei Jahren 1072-73 gleichzeitig = 761 oder 62. Demnach fiele Anans Auftreten in eines dieser Jahre. Die arabischen und karäischen Schriftsteller haben andere Data, welche zwar dem ermittelten [438] nahekommen, aber sich als nicht ganz genau ausweisen. Makrizi berichtet (aus einer alten Quelle) an einer Stelle: Anan sei im Jahre 140 der Heǵira vom Morgenlande nach Bagdad gekommen und habe das Schisma herbeigeführt (bei de Sacy, Chrestomathie arabe, 2me ed., I Text, p. 91 und Übers. 287): סאר ןאנאע םדק הרגהלא ןמ היאמו ןיעבראלא וחנ יפ קרשלא דאלב ןמ תולאגלא םאלסלא ראד ילא. Das mohammedanische Jahr 140 entspricht dem christlichen 758, also eine Differenz von 3-4 Jahren gegen Scheriras Datum. An einer andern Stelle gibt Makrizi ein anderes Datum an: Anan sei vom Morgenlande nach Irak im Kalifat des Abuǵafar Almansur gekommen, im Jahre 136 d.H.: ןאנאע םדקו רפעג יבא ןינמומלא רימא הפאלכ יפ קארעא ילא קרשלא ןמ הרגהלא ינס ןמ היאמו ןיתלתו תש הנס רוצנמלא (das. S. 100 und S. 294), d.h. im Jahre 754. Dieses Datum scheint von den Karäern zu stammen. Denn der erste karäische Annalist Jefet ben Said hat diese Zeitbestimmung (in הרותה תקתעה): ימיב (ןנע תקולח) רבדה הז היהו אריעז ןרקל ו"לק תנשב רוצנמלא רפעגובא. Die jüngeren Karäer haben dieses Datum in verstümmelter Gestalt tradiert; aus רפעגובא machten sie רעעזובא, und das Jahr der Heǵira 136 übertrugen sie auf das Jahr der Welt 4400. Diese Angabe darf also gar nicht in Betracht gezogen werden. Wir haben also nur drei differierende Data: das Jahr 761-62 (Scherira), das Jahr 758 (Makrizi) und das Jahr 754 (Karäer). Das letzte Datum beruht offenbar auf einer Konfusion. Weil es bekannt war, daß Anan unter dem Kalifen Abuǵafar Almansur aufgetreten ist, und dessen Regierung im Jahre 136 d.H. = 754 begann, haben die Karäer dieses Jahr auch für den Anfang des Schisma genommen. Das mittlere Datum 758 = 140 d.H. ist eine runde Zahl, die schon deswegen gegen eine präzisierte zurücktreten muß. Außerdem wissen wir, daß noch im Jahre 759 der Exilarch Salomo fungierte, folglich kann Anan nicht ein Jahr vorher aufgetreten sein. Wir nehmen daher Scheriras Datum 761-62 für das Jahr des karäischen Schisma als von allen Seiten gesichert an, und zwar in der Art, daß Salomo bis dahin als Exilarch fungiert hat. Erst mit seinem Tode begann die Rivalität um die erledigte Exilarchenwürde und infolgedessen die Spaltung.

3. Der nächste Nachfolger Salomos läßt sich schwer ermitteln51. Es herrscht nämlich Meinungsverschiedenheit zwischen Rabbaniten und karäischen Schriftstellern, ob Anan förmlich als Exilarch eingesetzt war oder nicht. Scherira schweigt über diesen Punkt hartnäckig. Abraham Ibn-Daûd, allerdings ein jüngerer und in betreff der Karäer nicht unparteiischer Annalist von rabbanitischer Seite, behauptet: Eben, weil Anan wegen seiner heterodoxen Richtung nicht zur Exilarchenwürde zugelassen wurde, habe er aus gekränktem Ehrgeize gegen den Talmudismus Opposition gemacht: היה םכח דימלתו היה (דוד 1.) רוצ תיבמ ןנע אל םגו ןואגל ךמסנ אל ןכ ינפמ לוספ ץמש וב וריכהו הליחתב ... ובלב התיהש אניטה ינפמו תולג שאר תויהל םימשה ןמ והועיס םימכח תלבק לעמ לארשי תא תיסהל דמע ... Dieselbe Behauptung, nur ausführlicher, teilt ein Karäer des dreizehnten Jahrhunderts, Elia ben Abraham, im Namen eines Rabbaniten, wahrscheinlich Saadias, mit in seinem Werke םינברו םיארק תקולח (Ms. zum Teil ausgezogen in Trigland, diatribe de secta Karaeorum, p. 242, vollständig abgedruckt in Pinskers Likkute Beilage Nr. XII). Es wird behauptet, Anan, obwohl gelehrt, sei seinem [439] jüngern und minder tüchtigen Bruder Anania nachgesetzt worden, weil seine Religiosität verdächtig war, und wegen dieser Zurücksetzung habe Anan, um der ihm von seiten des Kalifen drohenden Strafe zu entgehen, eine neue Sekte gestiftet. םכתד ןבלו ןנע יכ ויתורקש רופסב בותכו ... הלוגה ליכשמ ןנעל ףרח רשא ויחא היננחמ לודג היה ןנעו היננח ומשו ונממ ןטק חא ול היה ינפמ תולג שאר ודימעהל רודה ימכח וצר אלו םינשבו הרותב םושמ ויחא היננח לא םהינפ ומשו הארי ןורסחו תוצירפ רותיו שאר והודימעהו ול התיהש םימש תאריו תונשיבו הונע רותיו ... לעילבו ער שיא לכו אוה ןנע אנקתמ תעה ותואבו ... תולג רובעו רמאו חתפו ... תוכלמ דחפ םושמ רתסב תקולחמב ןוכתנו רובעו חריה תיאר לע יתדו תופוקת ןובשח לע יחא תד יכ (ךלמל) ביבאה. Dagegen behaupten die jüngern Karäer, Anan habe bereits mit Übereinstimmung des Volkes und durch Bestätigung des Kalifen die Exilarchenwürde inne gehabt, als er von den Gegnern seiner auf Reinigung des Glaubens gerichteten Bestrebung beim Kalifen als Empörer angeklagt wurde. Derselbe habe ihm zwar seine Gnade zugewendet, aber Anan habe auf seine Würde verzichtet, weil er seine Wirksamkeit verkannt und gehemmt sah (Simcha Luzki in חרא םיקידצ, aus einer älteren Quelle, S. 19): םצוע רובעב תיב לכ (ןנע) ותוא ורחב ותונתונעו ותודיסח תגלפהו ותמכח אישנ תויהל והונמו םישורפהו םיקודצה תותכה יתש לארשי ךלמ םוקמב ... םהילע אתולג שירלו ןיד תיב באל םכותב םיהלא וילע ומקו ... לאעמשי ךלמ תושרב תולגה ישנא לארשי לכ לע ןמ וארי רשאכו ותימהל ותוא וילע ולכנתיו םירוראה םידזה קוחב דרמש ךלמה לא והונישלהו והורסמו ולכה וגרהל ךלמה יניעב דסחלו ןהל והנתנ ךרבתי םשהו התימ בייחתנו תוכלמה ןנע 'רה – תוארכו םייחב ראשנו םדימ וליצהו וילע למחו ךלמה תונברב לחבו תושארב סאמ – ןכ אישנה52. Auch Makrizi hat diesen Zug – daß die Gegner nichts gegen Anan ausführen konnten, weil der Kalife Almansur ihm befreundet war und ihn ehrte – gewiß aus karäischen Quellen geschöpft: בירקת ןמ ... התבאצמ ילע אורדקי םלפ המארכאו הל הפילכלא (bei de Sacy, Chrestomathie arabe, I, Text, S. 108)

4. Mag nun Anan gestürzt oder beseitigt worden sein, jedenfalls ist im Laufe der Jahre 761-62 ein Exilarch an seiner Stelle ernannt worden. Die oben zitierte Quelle nennt ihn Chananja, Anans Bruder53. Der Karäer Elia, welcher diese rabbanitische Behauptung namhaft macht und sie als lügenhaft erklärt, gibt selbst zu, daß Chananja an dessen Stelle trat: ושע הז ןנעל דדושל ידכ ךלמה תריזגמ ויחא היננח תא וכילמהו ןנע ימיב םהמ םיקנאנח םיחנאנה תד תיבשהלו. Dieser Chananja ist vielleicht [440] identisch mit Achunaï = יאנוחא, dessen Sohn bald darauf Exilarch wurde. Dieser Punkt bedarf aber der kritischen Präzisierung. Im Laufe der Jahre 1082-84 = 771-73 brach nämlich wieder eine Rivalität um das Exilarchat zwischen Sakkaï ben Achunaï und Natronaï ben Chabibaï aus. Bei der Erwähnung des Schulhauptes Malka ben Acha bemerkt Scherira: Derselbe hat den Natronaï ben Chabibaï abgesetzt, als er die Würde usurpieren wollte gegen Sakkaï ben Achunaï, der bereits einige Jahre vorher Exilarch war. Beide Lehrhäuser vereinigten sich mit Sakkaï, setzten Natronaï ab, und er mußte nach Maghreb fliehen54.

היתחא אוהו ב'פ ףלא תנשב אחא רב אכלמ 'ר רמ הירתב55 יאנוחא רמ רב יאכז לע אתגולפב אישנ יאביבח רב יאנורטנל יאכז םע אתביתמ יתרת ןפנכיאו ןינש ימכ ןיכה ימק אישנ הוהד ףלא תנשב) ןדע ןגל אכלמ בר רטפאו יאנורטנל יהורבעו אישנה ברעמל לזא יאנורטנו (ד'פ56. Wir haben hier also zwei feste Punkte. a) R' Malka fungierte 1082-84 (771-73), und innerhalb dieser zwei Jahre drang er darauf, unter Beteiligung beider Lehrhäuser, den Usurpator Natronaï abzusetzen; b) der Exilarch Sakkaï ben Achunaï war bereits einige Jahre Exilarch, als Natronaï ihn verdrängt hat. Mit dem Zusammenstellen von R' Malkas Tod (1084) und mit Natronaïs Auswanderung nach Maghreb wollte Scherira viel leicht andeuten, daß beide Fakta in demselben Jahre stattgefunden haben. Nehmen wir an, daß der Streit um das Exilarchat 772-73 entstand. Die »einige Jahre« (ןינש המכ), welche Scherira Sakkaï vor dem Streit fungieren läßt, fallen demnach mindestens innerhalb 770-73. Folglich hat der Exilarch, welcher an Anans Stelle trat, sei es Chananja oder Achunaï, Sakkaïs Vater, höchstens zwischen 762-70 fungiert. – Der Streit um das Exilarchat scheint übrigens keinen schismatischen Hintergrund gehabt zu haben. Denn Natronaï ben Chabibaï wird anderweitig als Talmudanhänger und Jünger R' Jehudaïs namhaft gemacht (Pardes, S. 28a): שיר ןואג יאדוהי 'ר הרמא אתלימ הדהו רב יאנורטנ 'ר רמו יאניכח 'ר רמ הימק יבתי ווה דכ אתביתמ אביבח. Der Ausdruck הימק יבתי bedeutet bei Scherira und überhaupt in der gaonäischen Schulsprache: eine dem Schulhaupte gegenüber untergeordnete Stellung einnehmen. Die Bezeichnung »Natronaï ging nach Maghreb«, will sagen, er wurde aus Irak verbannt, wie wir es bei dem Exilarchen Ukba finden.

5. Während wir aus den vier Jahrzehnten von 733-773 die Namen von drei Exilarchen kennen: Salomo, Chananja und Sakkaï ben Achunaï, sind wir bezüglich ihrer Nachfolger in den folgenden vier Jahrzehnten ganz im Dunkeln57. Scherira berichtet zwar, daß ein Exilarch im Jahre 1097 = [441] 786 das pumbaditanische Schulhaupt Chaninaï abgesetzt hat: ךלמ הירתבו תנשב) אישנ הירבעו ג"צ תנשב םהרבא רמ רב אנהכ יאנינח רמ (ו'צ. Aber wer damals Exilarch war, läßt sich nicht nachweisen. Möglich, daß es noch Sakkaï war, der damals noch fungiert haben konnte. Carmoly vermutet, daß es der Exilarch Samuel war, von dem wir aber nur eine höchstdunkle Kunde haben. Ein Kabbalist gibt nämlich an, ein R' Aaron, Sohn des Exilarchen Samuel, der aus Babylonien wegen eines unbekannten Vorfalls auswandern mußte, habe die Geheimnisse des Gebetes dem R' Mose Saken mitgeteilt, welchen Kaiser Karl von Lucca mit andern nach Mainz versetzt hat (Eleasar von Worms Rokeach Ms. mitgeteilt in Mazref la Chochmah): דוס םידיסחה ולבקו לש ונב ןורהא ויבא דע ברמ בר תודוס ראשו תולפתה ןוקת ךליל ךרצוהו היהש השעמ םושמ לבבמ הלע רשא אישנה לאומש םשו אקול המשש תחא ריעב אידרבמול ץראב אבו ץראב דנו ענ אוה אידרבמולמ אציש ןושארה היה אוה ... השמ 'ר תא אצמ ומע ולרק ךלמה םאיבה םיבושח םישנא ראשו סומינולק 'רו וינבו אצנגמב םבישוהו אידרבמול ץראמ. Die Zeit dieser Auswanderung von Lucca nach Mainz setzt Carmoly (nach einem handschriftl. Machsor ins Jahr 719 der Tempelzerstörung, d.h. 787, was wohl richtig sein mag, da auch Josua Kohen (Emek ha-Bacha) die Auswanderung unter Karl den Großen setzt58. Dennoch kann der betreffende Exilarchensohn nicht dieser Zeit angehören. Der Bericht des Eleasar von Worms, auf dem Carmolys Kombination beruht, leidet ohnehin an Dunkelheiten. Was soll dann der Ausdruck bedeuten: ןורהא ויבא דע? Man hat daraus emendieren wollen: ובא ןורהא! Aber dagegen spricht eine Notiz, die ich bald mitteilen werde. Ferner ist die Nachricht, daß dieser Aaron oder Abu-Aaron das kabbalistische Geheimnis der Gebete tradiert hätte, jedenfalls ein Anachronismus. Denn die alte Mystik kannte damals noch nicht solche Geheimnisse. In einer Notiz (aus einem alten Gebetbuche, Ms. des 14. Jahrhunderts in der Bibliothèque impériale, Nr. 174) wird dieser R' Aaron, Sohn des Exilarchen Samuel, ebenfalls mit R' Mose aus Lucca in Verbindung gebracht, aber sie hat da eine viel reinere Gestalt. Die Stelle lautet (wie sie mir der verstorbene Ehrlich aus Paris kopiert hat): םשל ימיבו ארזע רפסמ ךליאו ןאכמו םימיה ירבדמ ןאכ דע :ךתראפת חילשה היה (ךתראפת םשל) ןאכ דע םיעיגמ ויהשכ םינומדקה אקולמ השמ 'ר ןואגה אבשכו .חבתשי רתלאל ליחתמו דמע רובצ גיהנמ היה אצניגמ תנידמל אלרק ךלמה ימיב סומינולק וניבר ןב היה רודה לודג יכ .דחא ומשו דע ךליאו ןאכמ רמול ורוד ינב תא תבורק דסיש ןקזה השמ אנבר אוה .ונממ םלענ רבד לכ ןיאו ונב תודמה לכ יבא ןורהא לש ודימלת היה אוהו ךיתוארונ תמיא הכרבל שודקו קידצ רכז לבבמ אישנה לאומש אנבר לש. Hier ist also nicht von kabbalistischen Geheimnissen des Gebetes, sondern einfach von Gebetstücken die Rede, die R' Aaron tradiert und R' Mose in der Rheingegend eingeführt hat. Soll diese Notiz verbunden mit der im Rokeach, als historisch genommen werden, so würde der chronologische Punkt noch dunkler werden59. Denn, wenn die Einwanderung der [442] Kalonymiden von Lucca nach Mainz im Jahre 787 stattgefunden hat, so muß R' Aaron mehrere Jahre vorher ihr Lehrer gewesen sein, also mindestens um 780. Sein Vater, der Exilarch Samuel, muß also damals nicht mehr fungiert haben, wenn man nicht annehmen will, daß der Vater selbst den Sohn ins Exil geschickt hätte. Von 780 rückwärts bleibt aber kein Raum für das Exilarchat eines Samuel, denn für diese Zeit haben wir, nach Scheriras authentischem Berichte, den Exilarch Sakkaï ben Achunaï. Es bleiben also nur zwei mögliche Fälle, entweder, daß der Exilarch Samuel vor dem ananitischen Schisma und auch vor dem Exilarchen Salomo fungiert hat, was gar nicht angeht, oder er hat nach der Einwanderung der Kalonymiden, nach 787 fungiert. Im letzten Falle ist entweder die Verbindung der Kalonymiden mit R' Aaron unhistorisch oder sie hat nicht in Lucca, sondern in Mainz stattgefunden. Scherira nennt aber einen bedeutenden talmudischen Gelehrten Mar-Aaron, der im Jahre 814 bei Besetzung des pumbaditanischen Gaonats gegen einen unbedeutenden, aber der Mystik ergebenen Mann zurückgesetzt wurde: רב ףסוי 'ר רמ (יאמיבא 'ר רתב) הירתבו אוהד הימק ןורהא רמ הוהד היתכוד תוה אלו ה"כק תנשב אבא הורבדא םולח ידי לע והימ הינמ יפט ףידעו רימג יוהו ןיד תיב בא יתא הוהד רמתאו דואמ ןקזו אבוט דיסח הוהד ןואג ףסוי 'ר רמל היליד אתביתמב ביתיו ל"ז והילא (Scheriras Text habe ich hier nach den Andeutungen der beiden Rezensionen korrigiert). Möglich nun, daß dieser Mar-Aaron wegen erfahrener Zurücksetzung aus Babylonien ausgewandert, wie R' Achaï aus Schabcha ein halbes Jahrhundert vorher, und nach Europa gekommen ist. Er mag in Mainz bei den Kalonymiden nach 814 gelebt und gelehrt haben. Weil diese aber ihren Ursitz in Lucca hatten, mögen die Tradenten ihn dorthin, statt nach Mainz, versetzt haben. Aber dieser dunkle und verwickelte Punkt bedarf noch der Aufhellung durch authentischere Notizen60.

6. Zwischen den Jahren 1127 und 1139 Sel. (816-827) brach abermals ein heftiger Streit um die Exilarchenwürde zwischen Daniel und David ben Jehuda aus. Es ist befremdend, aber für Scherira bezeichnend, daß er diesen Streit mit einem sehr ernsten Hintergrunde durch einige nichtssagende Worte, andeutet, und ohne eine externe Quelle würde man seine Tragweite gar nicht kennen. Scherira berichtet nämlich ganz trocken: »Abraham ben Scherira (ein Mystiker) wurde im Jahre 1127 Sel. Schulhaupt von Pumbadita und fungierte 12 Jahre, der zweite nach ihm war Joseph ben Chija. Infolge des Streites zwischen dem Exilarchen Daniel und David ben Jehuda wurde R' Joseph mit der Gaonwürde bekleidet, und zuletzt einigten sich die Parteien dahin, daß beide den Titel führen sollten usw. תנשב ארירש 'ר רב םהרבא רמ ןיד תיב בא אייח רב ףסוי רמ הוהו םינש ב"י ךלמ ז"כק תונואגב ףסוי רמ ירקיא םיאישנ הדוהי ןב דודו לאינדד אתגולפבו םינואג ינש ורקימד םהרבא רמל היליד ןיב יואתכ וסייפ ףוסלו רמ ביתיו םהרבא רמ ינתמ אתכוד דחב והיוורת ןיפנכמ דכ והימ הימק ףסוי61. [443] (Die Lesart ist korrigiert nach den zwei Rezensionen.) Nach diesen dürren Worten muß man den Streit kleinlich finden, angefacht von Ehrgeiz und begleitet von willkürlicher Absetzung. Abulfaraǵ Barhebräus beleuchtet aber durch eine interessante Notiz diesen Streit, wodurch auch das Sinken des Exilarchats erst recht verständlich wird. Auch das Datum dieses Streits wird dadurch präzisiert. In seiner Chronik der jakobitischen Patriarchen (Ms. und in lateinischer Übersetzung bruchweise mitgeteilt in Assemani, bibliotheca orientalis, T. II, pars 1, S. 346) berichtet Abulfaraǵ bei Gelegenheit des Streites in der jakobitischen Kirche zwischen dem Patriarchen Dionysius von Telmahar und Abraham folgendes: »Auch die Juden hatten einen Streit um das Prinzipat. Denn die Tiberienser hatten einen gewissen David an die Spitze gestellt, die Babylonier dagegen Daniel von der Sekte der Ananiten (Karäer). Ihre Streitsache wurde vor den Kalifen Mamun gebracht, und derselbe erließ ein Edikt, daß es zehn Männern, wenn sie sich ein geistliches Oberhaupt wählen wollen, seien es Christen oder Juden oder Magier, gestattet sei, es zu tun: Judaei quoque de primatu altercati sunt. Nam Tiberiadenses62 quidem Davidem quendam sibi praefecerunt, Babyloniï [444] vero Danielem ex Ananitarum (איננע) secta (qui sabbatum solventes, feriam quartam ejus loco observant). Eorum causa ad Mamonem Chalifam delata, is lege lata sanxit, si decem cujuscumque religionis viri in unum congregati antistitem sibi creare vellent, sive Christiani sint, sive Judaei, vel Magi, id ipsis fas esse. Wenn auch Abulfaraǵ oder sein Gewährsmann etwas Unrichtiges in den Bericht einfließen läßt, daß die Ananiten oder Karäer den Mittwoch als Sabbat feiern, so wird der Hauptbericht dadurch nicht alteriert. Auch die Zeitangabe stimmt mit dem von Scherira für diese Tatsache angesetzten Datum. Sie wird bei Abulfaraǵ Barhebräus zum Jahre 1136 Sel. mitgeteilt, bei Scherira zwischen 1127-1139. Der Streit zwischen David und Daniel um das Exilarchat war also ein Kampf zwischen Rabbaniten und Karäern. Die Anbarener (nach der Korrektur) oder Pumbaditaner, waren für den rabbanitisch gesinnten David (ben Jehuda), die Babylonier dagegen für den Anhänger des Karäismus Daniel. Was unter »den Babyloniern« hier zu verstehen sei, ist zweifelhaft. Es können damit die Bagdadenser gemeint sein, denn in der gaonäischen Epoche nannten die Juden wenigstens Bagdad לבב (an vielen Stellen vgl. weiter Note 13 Anmerkung). Es kann aber auch das zur suranischen Hochschule gehörende Gebiet darunter verstanden sein. Denn, weil Sura in der Nähe des alten Babylon lag, nannte man es auch Babel (vgl. Responsum R' Haï in der Sammlung Taam Sekenim 56): ויה ארוס תבישיבו ינב) ונאו לבב תנידמל םיבורק םה יכ םבור ולא םירבד םשמ םיקוחר (אתידבמופ. Nicht anders ist auch der Ausdruck לבבל דרי בר zu verstehen: er ging nach dem bei Babylon liegenden Sura. – Es gab also damals, im Anfang des neunten Jahrhunderts, ein halbes Jahrhundert nach dem karäischen Schisma in dem jüdischen Babylonien oder in Irak, an dem Sitze der Hochschulen, so viel Karäer, daß sie Einfluß auf die Wahl des Exilarchen nehmen konnten: eine höchst überraschende Tatsache.

Noch wichtiger ist die Nachricht, daß bei diesem Streite zwischen David ben Jehuda und Daniel der Kalife Almamun die offizielle Bestätigung des Exilarchen, so wie des christlichen Primas, abgelehnt und entschieden hat, »daß es je zehn Personen freisteht, sich einen geistlichen Obern zu wählen.« Es folgt daraus, daß bis dahin eine solche Anarchie nicht gestattet war, daß also die Ernennung des Exilarchen, wie die des nestorianischen Katholikos, unter staatlicher Kontrolle stand. Dann finden wir in diesem Nichtinterventionsedikt des Kalifen den Schlüssel zu einer historischen Bemerkung bei Scherira. Der letzte berichtet nämlich, in der Zeit des Exilarchen David ben Jehuda sei diese Würde machtlos geworden, so daß das pumbaditanische Kollegium das Joch des Exilarchats abschütteln konnte, und sich herausnehmen durfte, nicht mehr wie früher zur Huldigung vor dem Exilarchen zu erscheinen: דוד ימיב םילעמשי ינש עצמאבו אתוכלמד אתונטלש ןמ (םיאישנה) וליפתשא אישנה הדוהי ןב אחינ דכ אלא ילגירל ןוהירתב אתידבמופד אתאושר ןילזא אלו ןיעבקו םתהל ןיתא אתידבמופב ילגיר ןוהל יוהמל םיאישנל והל (ed. Goldberg p. 37). Man geht wohl nicht fehl, wenn man das Sinken des Exilarchats mit dem Erlaß des Kalifen Almamun gerade infolge der Streitigkeiten zwischen David ben Jehuda und seinem Rivalen in pragmatischen Zusammenhang setzt. Weil der Exilarch nicht mehr von dem Kalifen als Primas der Juden anerkannt war, sank sein Ansehen, das nicht mehr [445] auf Macht gestützt war, und die Gaonen beeilten sich, ihre Rechte auf Kosten des Exilarchats auszudehnen. Der Streit zwischen David und Daniel ist daher als Wendepunkt für die Geschichte des Exilarchats anzusehen. Dieser Streit brach aus, nach Abulfaraǵ Barhebräus, im Jahre 1136 Sel. = 825. Infolge desselben wurde der Gaon Abraham ben Scherira abgesetzt und Joseph ben Chija an seiner Stelle ernannt, nach Scheriras Bericht. Von welchem der zwei miteinander rivalisierenden Exilarchen diese Absetzung eines mystischen, frommen, aber nicht durch Gelehrsamkeit ausgezeichneten Mannes ausgegangen ist, darüber läßt uns Scherira im Dunkeln. Auch wissen wir nicht, wodurch die Versöhnung der streitenden Parteien (יואתכ וסייפ ףוסלו) herbeigeführt wurde. Nur aus einer andern Notiz ersehen wir, daß David über seinen Rivalen gesiegt hat, indem er im Jahre 1144 Sel. (833), also 8 Jahr nach dem Ausbrechen des Streites noch Exilarch war und R' Isaak ben Chija zum Gaon von Pumbadita ernannte; Scherira: הירתבו ... אייח רב קחצי 'ר ךלמ ד'לק תנשב (אייח 'רב ףסוי 'ר רתב) קחצי 'ר רמל אישנ הדוהי ןב דוד היכמס דכו (p. 41). Was aus Daniel und seinen karäischen Anhängern geworden ist, wissen wir nicht. Um dieselbe Zeit fällt auch eine Streitigkeit in Sura, die Scherira nur dunkel andeutet: Nach ישא רב יומיק (dessen Gaonat nach der von mir korrigierten Tafel 1135-38 Sel. also bis 827 dauerte) heißt es: ןוהילע ךמסמל אכילד אתגולפ ןייוהו.

7. In dem Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert nach David ben Jehuda wird kein einziger Exilarch namhaft gemacht63. Der erste Name, auf den wir stoßen, ist Ukba, einer der letzten Exilarchen, der von dem pumbaditanischen Gaon Kohen-Zedek ben Joseph verfolgt, abgesetzt und ins Exil getrieben wurde. Den Bericht über diesen Exilarchen und seinen Streit mit Kohen-Zedek verdanken wir einem Zeitgenossen, Nathan ben Isaak, dem Babylonier, der um 950 von Babylonien ausgewandert sein. muß (vgl. Note 21, II). הממ ילבבה קחצי רב ןהכה ןתנ 'ר רמא רשאו נהנו אקירפאל אבש דוד עדזמ אוהש אבקוע תולג לע הארש הבישי שאר היהו םרפסמב דמע אלש תובר םינש לבבב הררש םינש 'מ אתידבמופב ףסוי רב קרצ ןהכ בר רמ וימיב. Ich betone diese Zeitgenossenschaft und gewissermaßen Augenzeugenschaft Nathans (הארש הממ), um seinem Bericht mehr historische Glaubwürdigkeit zu vindizieren, wenn er im Widerspruch mit Scherira steht, der ein jüngerer Berichterstatter war und die Vorgänge nicht aus Autopsie kannte. Der Widerspruch in betreff Kohen-Zedeks Funktionsdauer, welche von Nathan auf 40 Jahre ausgedehnt, von Scherira aber genauer auf 19 Jahre angesetzt wird, von 1228 bis 1247 Sel., läßt sich zwar ausgleichen, indem man das Zahlzeichen מ für eine Korruptel statt כ halten und diese Zahl für eine runde nehmen kann64. Allein es bestehen noch [446] andere chronologische und faktische Widersprüche zwischen Nathans und Scheriras Bericht in betreff der Vorgänge während Kohen-Zedeks Gaonat.

Nathan tradiert nämlich folgendes über den Streit zwischen dem Exilarchen Ukba und dem Gaon Kohen-Zedek. Er sei ausgebrochen wegen der Einkünfte von den Gemeinden Chorasans, die Ukba für sich in Anspruch nehmen wollte. Kohen-Zedek mit einigen angesehenen Juden Bagdads haben es durchgesetzt, daß Ukba aus Bagdad verbannt wurde. Er begab sich nach Karmisin (ןיסימרק = Kerman-Schah), weilte dort ein volles Jahr, dichtete Loblieder auf den Kalifen, der in der Nähe von Karmisin einen paradiesischen Aufenthaltsort in Safran hatte. Infolgedessen wurde er vom Kalifen wieder in seine Würde eingesetzt, bald darauf aber wieder von seinen Gegnern gestürzt und aus dem östlichen Kalifat verbannt. Er begab sich darauf nach Maghreb-Afrika. Über den letzten Punkt haben wir auch ein anderweitiges Zeugnis, daß nämlich die Gemeinde von Kairuan dem zu ihr geflüchteten Exilarchen Ukba in der Synagoge eine Art Thron neben dem Gesetzesschrein errichtet und ihn überhaupt als Fürsten behandelt hat (Ibn-Jarchi im Manhig, ed. Berlin, p. 32a): ןאוריקב היה גהנמ תיבב דובכ לש (אסכ 1.) אהכ ול ןיניכמ ויהש האישנ אבקוע רמל ול ןידירומ ויה יולו ןהכ הרותב וארקש רחאלו ןוראה דצמ תסנכה הרותה. Um das Datum des Streites und der Absetzung Ukbas zu fixieren, müssen wir in Nathans Referat weiter hinabsteigen. Nach demselben blieb das Exilarchat 4-5 Jahre erledigt. Das Volk verlangte aber die Wiederbesetzung und ernannte dazu Ukbas Verwandten David ben Sakkaï. Der suranische Gaon erkannte ihn auch an, aber Kohen-Zedek verweigerte drei Jahre die Huldigung. Ein blinder Gelehrter Nissi Naharwani vermittelte indessen die Versöhnung zwischen David und Kohen-Zedek. Fünf Jahre nachher starb dieser Gaon von Sura (bei Nathan המלש ןב םרמע genannt)65. An seiner Stelle wurde ein anderer רב יאה ימויק erwählt, der zwei Jahr fungierte, und nach sei nem Tode berief David den berühmten Saadia aus Fajum zum Gaon von Sura. Von diesem chronologischen Punkte müssen wir ausgehen, um die Data aufwärts zu fixieren. Saadias Berufung geschah 1239 Sel. = 928, also fungierte sein Vorgänger Haï (2 Jahre nach Nathan) 1237-39. Fünf Jahre vorher geschah die Versöhnung, also 1232 oder 33. Dieses Datum stimmt mit Scherira überein, der ebenfalls angibt, die Versöhnung der Parteien fand statt 1233 im Elul: תוהו רשבמ םע האישנ דוד אמלש ודבעו ג"לר תנש לולא דע אתגולפ ןואג. Weiter hinauf beginnt aber die chronologische Differenz. Nach Nathan versagte Kohen-Zedek David die Anerkennung 3 Jahre; David wäre demnach gewählt worden 1231, 4 oder 5 Jahre Vakanz des Exilarchats 1228-27. Mehr als ein Jahr vorher fällt Ukbas Amtsentsetzung, Aufenthalt in Karmisin und zweite Absetzung, also 1227-26.

Bei diesem Punkte tritt die Differenz zwischen Nathans und Scheriras Bericht scharf hervor: 1. Nach dem ersten war Kohen-Zedek mindestens bereits im Jahr 1226-27 Gaon, nach dem letzteren wurde er es erst im Jahre 1228. – 2. Nach Nathan war Kohen-Zedek bereits Gaon als [447] David ben Sakkaï zum Exilarchen ernannt wurde, und jener versagte diesem drei Jahre die Anerkennung; nach Scherira war David vorher Exilarch, und er ernannte Kohen-Zedek zum Gaon. 3. Nach Nathan waren Kohen-Zedek und David Gegner, nach Scherira dagegen waren sie Freunde, so daß dieser jenen zum Gaon ernannte, während eine Gegenpartei in R' Mebasser einen Gegengaon aufstellte. Um die Widersprüche augenfällig zu machen, stelle ich beide Texte einander gegenüber.


ארירש

ןנברד אישנה דודו אתביתמד ןנבר ןיב אתגולפ תוהו .ח"כר תנש ןואג אנהכ (? רשבמ) רשכמ בר רמל והוירקו ופנכיא אתביתמד דע ןוהיניב אתגולפ תוהו קדצ ןהכ 'ר רמל היירק האישנ דודו ןואג רשבמ 'ר רמ םע האישנ דוד אמלש ודבעו ג"לר תנש לולא הידהב ווה ןנברד םירחבומו םדבל היליד ןנברו רשבמ 'ר ביתיו 'ר ביכש ולסכב ז"לר תנשבו םדבל היליד ןנברו קדצ ןהכ רמו .קדצ ןהכ תול היליד ןנבר ותאו רשכמ


ילבבה ןתנ

אלב םינש 'ה וא 'ד 'ומכ (אבקוע תולג ירחא) הררשה הראשנו ןב דוד לע ורבדו לארשי לע דואמ רבדה השק היהש דע שאר שאר ותוא ושעיש רבעש אישנ אבקוע לש ודוד ןב אוהש יאכז דוד תוררשב הצר אלש רבדה וילע השק ... קדצ ןהכ היהו תולג תבישי שאר לבא רבעש ג"ר אבקוע לש ובורק היהש יפל יאכז ןב קדצ ןהכ ןאממ היה הז לכ םעו ... ומצע לע ותוא גיהנה אריס .םינש 'ג דע רבדב הצור וניאו

(Hier ist der Schulamsche Text korrekter als der Goldbergsche.)


Um die Widersprüche auszugleichen, glaube ich, daß Nathan als Zeitgenosse und Augenzeuge für das Faktische, Scherira dagegen als exakter Annalist für das Chronologische ein glaubwürdigerer Gewährsmann ist66. Demnach würde sich die Aufeinanderfolge der Tatsachen folgendermaßen gestalten. Im Jahre 1228 = 917 wurde Kohen-Zedek Gaon (nach Scherira). Damals war aber noch nicht David ben Sakkaï Exilarch (wie Scherira angibt), sondern Ukba fungierte noch (nach Nathan). Kohen-Zedek, der auch der suranischen Hochschule Einnahmen entzog, geriet mit Ukba sogleich in Streit wegen der Einkünfte von Chorasan und bewirkte dessen Absetzung und Verbannung; dies alles geschah noch im Jahre 1228. Ukba lebte in der Verbannung ein volles Jahr (nach Nathan), also 1229. Darauf wurde er vom Kalifen (Almuktadir Billah') wieder eingesetzt, um bald darauf durch die Intrigen seiner Gegner abermals gestürzt zu werden. Wir können das alles noch ins Jahr 1229 setzen. Dann trat eine Vakanz ein, die aber nicht vier oder fünf Jahr dauerte (nach Nathan), sondern nur zwei bis drei Jahre 1229-31. Darauf wurde David ben Sakkaï zum Exilarchen ernannt 1231. Da ihm Kohen-Zedek die Anerkennung versagte, so ernannte wohl David den Gegen-Gaon Mebasser (oder Mekasser). Der Streit zwischen David und Kohen-Zedek (nach Nathan) und innerhalb der pumbaditanischen [448] Hochschule (nach Scherira) dauerte drei Jahre 1231-1233. Im Elul des Jahres 1233 geschah die Aussöhnung zwischen Kohen-Zedek und David durch die Vermittlung des Nissi Naharwani (Datum nach Scherira, Faktum nach Nathan). In der pumbaditanischen Hochschule dauerte aber die Parteiung noch fort, indem der Anhang Mebassers nicht von ihm lassen mochte, bis zu dessen im Kislew 1237 erfolgenden Tode. Auf diese Weise läßt sich die Differenz ausgleichen, und man braucht nur da von Nathans Angaben abzugehen, wo er selbst schwankt, nämlich in betreff der Dauer der Vakanz zwischen Ukbas Exil und Davids Wahl. Demnach fiel Ukbas Exil ins Jahr 1229 = 918, und da er, wie Nathan bezeugt, viele Jahre fungiert hat, so wäre seine Funktionsdauer anzusetzen um 900-918. Die Lücke zwischen David ben Jehuda, der wohl bis 840 fungiert hat, und Ukba, beträgt demnach 60 Jahre, innerhalb welcher kein einziger Exilarch namhaft gemacht wird.

8. Der Exilarch David ben Sakkaï, war, wie Nathan berichtet, ein Verwandter Ukbas, sein Neffe (ודוד ןב). Er wurde, wie oben angegeben, 1231 = 920 von dem pumbaditanischen Kollegium ernannt, und erst drei Jahr später von Kohen-Zedek anerkannt. Im Jahre 1239 = 928 berief er Saadia aus Ägypten zum Gaon von Sura. David hatte einen Bruder, Josiah-Hassan, der von Saadias Partei als Gegen-Exilarch aufgestellt wurde. Er hatte auch einen Sohn Jehuda (Nathans Fragmente). Dieser sollte nach Davids Tod (vor Saadias Tod, also vor 942) Nachfolger werden, starb aber 7 Monate nach seinem Vater. Aus Nathans Worten ist es nicht klar, ob Jehuda mit der Würde bekleidet worden ist oder nicht: ונב גיהנהל ושקבו (דוד) תולג שאר רטפנ רטפנו דבלב םישדח 'ז אלא ויבא לש וירחא דמע אלו ומוקמב. Jehuda hinterließ einen zwölfjährigen Sohn, bei dem Saadia Vaterstelle vertrat. Inzwischen sollte ein entferntes Glied des Exilarchenhauses von den Bene-Heman aus Nisibis gewissermaßen als Vikar fungieren, wurde aber vor der Ernennung wegen Lästerung Mohammeds erschlagen. Dies alles geschah noch vor Saadias Tod (vor 942), wie aus Nathans Fragment hervorgeht. Ob nun der von Saadia erzogene Knabe, der Sohn Jehudas und Enkel Davids, zur Exilarchenwürde gelangte, bedarf der kritischen Untersuchung. Denn, als Scherira sein historisches Responsum erließ, 987, war das Exilarchat bereits erloschen. Aber ein Sprößling des erlauchten Hauses war noch vorhanden, wie Scherira berichtet: רייתשא אל אתשהו קיני דח אלא האישנ יבד ןוהלכמ (Schulams Rezension). Nach dem Goldbergschen Text soll zwar nicht einmal ein Sprößling geblieben sein: ןמ רייתשא אל אתשהו אקיני דח וליפא אלו איסחמ אתמב האישנ תיבד ןוהלוכ (S. 37). Allein diese Lesart ist entschieden falsch. Denn aus Abraham Ibn-Daûds Bericht erfahren wir, daß das Kollegium der Hochschule von Pumbadita nach R' Haïs Tod (1038) einen Nachkommen von David ben Sakkaï mit Namen Chiskijah zum Schulhaupte ernannt hat. ונב ןב תולג שאר היקזח ומיקה יאה 'ר תבישי ינב יאה 'ר אסכ לע והובישוהו יאכז ןב דוד לש. Dieser Chiskijah war nach R' Haïs Tod 1038 schon Vater von zwei erwachsenen Söhnen, stand also damals in Mannesalter, und kann demnach im Jahr 987, zu Scheriras Zeit, ein Kind gewesen sein. Chiskijah war also wahrscheinlich ein. Sohn dessen, den Saadia erzogen hatte, also ein Enkel Jehudas und ein Urenkel Davids ben Sakkaï. Chiskijahs Vater, der zwischen Saadia und[449] Scherira blühte (940-980), scheint nun der letzte Exilarch gewesen zu sein67. Dafür spricht eine Notiz bei Ibn-Verga. Dieser hat nämlich in sein Werk über die Verfolgungen (Schebet Jehuda Nr. 42) einen Bericht über die Exilarchen aufgenommen. Zuletzt tradiert er aus einer unbekannten Quelle, die mohammedanischen Großen hätten den Glanz des Exilarchats beneidet und beschlossen, den Exilsfürsten auf seiner Fahrt zu erschlagen, und mit ihm die Angesehenen des jüdischen Volkes. Der Kalife hätte zwar dem bedrohten Exilarchen Hilfe geschickt, konnte aber seine Ermordung nicht hindern. Man beschloß hierauf jüdischerseits das Exilarchat eingehen zu lassen: רשאכ (בר) ןמזל ורמא ץראה םע םגו םירשה ואנק אישנה תלודג לבב ישנא ואר ... דוד ערז רזע םע ומיקי רחמו לודגו ךלוה לארשי ינב םע הנה םידוהיה ישאר וירחאו והוגרהי אישנה רובעישכ יכ ומיכסהו גרהנ רבכ אישנה לבא ורזעל ואצי ךלמה תיב עמשנ רשאכו תואישנה לטבל ורמא הז ואר לארשישכו .םעה ראש תא וליצהו אל לבא וערזמ אב ךיא בתכ דוד ערזל ול היהו האלהו םויה ןמ לארשי לע הררש םוש. Da nun Jehuda, Davids Sohn, eines natürlichen Todes starb, sein Enkel Chiskija auch im Mannesalter nicht mehr als Resch-Galuta fungierte, so kann diese Verfolgung nur Jehudas Sohn und Chiskijas Vater getroffen haben, und unter ihm ist wohl das Exilarchat erloschen. Die Reihenfolge der Exilsfürsten aus dem Bostanaïschen Hause wäre demnach folgendermaßen aufzustellen: 1. Bostanaï (um 600-660); 2. Sohn und Enkel anonym; 3. Chasdaï (um 700-730); 4. Salomo (730 bis 761-2). 5. Anan, der Stifter des Karäismus, und sein Bruder Chananja, Achunaï? (761-2 bis 770); 6. Sakkaï ben Achunaï (770 bis 800); 7. Samuel? (800-816); 8. David ben Jehuda–sein Gegenexilarch Daniel – (816-840); 9. Eine Lücke (840-900)68; 10. Ukba (900 bis 918); 11. David ben Sakkaï (920-940); 12. Jehuda ben David 7 Monate; 13. Jehudas Sohn (um 950-80). – Sein Sohn Chiskija wurde als Schulhaupt erschlagen 1040. Seine beiden Söhne entflohen nach Spanien; deren letzter Sproß, der Dichter Chija Ibn-Aldaudi, starb in Kastilien 1154 (nach Ibn-Daûd).


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1909, Band 5, S. 437-450.
Lizenz:
Faksimiles:
437 | 438 | 439 | 440 | 441 | 442 | 443 | 444 | 445 | 446 | 447 | 448 | 449 | 450
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon