Eroberung Syriens durch die Chetiter. Niedergang des Reichs Mitani, Vordringen der Assyrer

[368] Nach dem Eingreifen in Palaestina ist Chani in die nördlichen Gebiete gegangen, um auch hier Ordnung zu schaffen. An energisches Auftreten war hier, wo offenbar nur eine kleine Truppenmacht zur Verfügung stand714, noch weniger zu denken als in Palaestina; so versucht man es mit Güte. Genaueres erfahren wir nur über das Verhalten Azirus. Chani sendet ihm den Befehl des Königs, Simyra wieder aufzubauen und selbst an den Hof zu kommen, um sich zu rechtfertigen. Aber Aziru sitzt in Tunip und kommt nicht zu ihm. Chani selbst, der offenbar nur als vorübergehender Repräsentant des Königs entsandt war, ist inzwischen schon wieder nach Ägypten zurückgegangen; wie weit er sonst eingegriffen hat, wissen wir nicht. Auf die Vorwürfe des Königs, er habe zwar einen Gesandten des Chetiterkönigs verpflegt, aber nicht den seines Herrn, entschuldigt sich Aziru, er habe Chanis Ankunft zu spät erfahren und ihn nicht mehr erreichen können, ihm aber durch seine Brüder reiche Verpflegung gesandt und werde auch in Zukunft ebenso verfahren. Den Wiederaufbau von Simyra müsse er aufschieben, weil die Könige von Nuchasse ihn befehden. Daß er Byblos besetzt habe, erklärt er in einem anderen Schreiben, tue der ägyptischen Herrschaft keinen Abbruch: »Ich bin dein Diener so gut wie alle früheren Dynasten, die in seiner (Ribaddis) Stadt waren«; er werde dem König alles liefern, was diese gegeben haben. Indessen offene Widersetzlichkeit kann er umso weniger wagen, da er einen Angriff des Chetiterkönigs erwarten muß und dafür den Schutz der ägyptischen Armee braucht. So fügt er sich den Befehlen des von Chani zurückgelassenen Agenten Chatib, der die Könige von Nuchasse auffordert, ihm seine Ortschaften zu entreißen, ihm den Hauptteil seiner Metallschätze abnimmt, und dauernd bei ihm bleibt, [368] um ihn gefügig zu erhalten715. Er bittet, Chani nochmals zu entsenden; dann wolle er ihm alle Feinde des Königs übergeben.

Amenophis IV. hat in einem langen Schreiben geantwortet, von dem im Archiv von Amarna eine Abschrift erhalten ist. Er hält ihm seine Vergehungen vor, sein Verhalten gegen Ribaddi, seine Verbindung mit »dem Dynasten von Qadeš (Aitaqama), einem Manne, auf den der König zürnt«; seine Entschuldigungen seien unwahr, »es ist nicht alles richtig, was du sagst«. Wenn er in seiner Bosheit beharre, werde er mit seinem ganzen Geschlecht durch das Beil des Königs sterben; wenn er sich dienstwillig erweise, werde er leben: »Du weißt ja, daß der König in bezug auf das gesamte Land Kana'an nicht begehrt, es rauh zu behandeln.« Er solle sofort an den Hof kommen oder seinen Sohn schicken; »dann wirst du den König sehn, durch dessen Anblick alle Lande leben«. Er sendet den Chani mit einer Liste der Auszuliefernden, die er gefesselt nach Ägypten schicken soll. Aziru hat gehorcht. Seine Lage war inzwischen dadurch noch schwieriger geworden, daß Subbiluljuma in Nuchasse eingerückt ist; aber trotzdem entschließt er sich, mit Chatib nach Ägypten zu gehn, im Vertrauen auf die Zusicherung des Königs und »meines Herrn und Vaters« Dûdu, der am Hof zu seinen Gunsten wirkt716. Seinem Sohn machen die Könige von Nuchasse Vorwürfe, er habe seinen Vater für Gold nach Ägypten verkauft, dieser werde nie wieder zurückkehren, und die Beduinen (Sûtî) fallen über sein Land her, da er jetzt zum Werkzeug Ägyptens geworden sei717. Aber die Befürchtungen haben sich nicht erfüllt; Aziru ist in Gnaden aufgenommen und nach Amurru zurückgesandt worden, wohl in der Hoffnung, daß er hier dem Vordringen der Chetiter entgegentreten könne.

Inzwischen war über das Mitanireich die Katastrophe hereingebrochen.

[369] Schon seit geraumer Zeit hatte der Niedergang der Mitanimacht dem Fürsten von Assur die Möglichkeit geboten, dessen Oberhoheit abzuschütteln. Bereits um 1390 hat, etwa gleichzeitig mit Dušrattas Regierungsantritt, Assurnadinache die Beziehungen zu Ägypten wieder aufgenommen und ebenso wie »der chanigalbataeische König« von Amenophis III. zwanzig Talente Gold erhalten. Jetzt schreibt sein zweiter Nachfolger Assuruballiţ718 an Amenophis IV., natürlich mit der Bitte um viel Gold. Den Königen von Karduniaš war diese Anerkennung der von ihnen als Vasallen betrachteten Fürsten als »Brüder« des Pharao nicht erfreulich; Burnaburiaš (seit ca. 1390) weist Amenophis IV. auf das loyale Verhalten seines Vaters Kurigalzu bei dem Anerbieten der Kana'anaeer (S. 154) hin und fährt fort: »Die Assyrer, meine Untertanen, habe ich dir nicht geschickt. Warum sind sie nach ihrem Gutdünken in dein Land gekommen? Wenn du mich lieb hast, laß sie keinerlei Geschäfte machen, sondern mit leeren Händen abziehn«719. Aber gegen Assyrien vorzugehn war er nicht imstande; alsbald hat, sei es er selbst, sei es sein Nachfolger Karaindaš II. eine Tochter Assuruballiţs geheiratet720, und dieser hat später entscheidend in die Geschicke Babyloniens eingegriffen. Jetzt bot sich ihm die Gelegenheit zum Vorgehn gegen Mitani.

Während Dušratta in Syrien stand und in Nuchasse eingriff721, hat Subbiluljuma in den Gebirgslanden zu beiden [370] Seiten des Euphrat im Norden von Mitani operiert. Die Berichte, die er über seine Unternehmungen in den Einleitungen zu seinen auf Grund derselben geschlossenen Verträgen mit Mitani, Nuch asse und Kizwatna gibt, sind äußerst unbeholfen abgefaßt – dabei wirkt mit, daß er oder seine Kanzlisten die akkadische Sprache, in der sie verfaßt sind, nur unzureichend beherrschte – und geben jedesmal nur einen Teil der Ereignisse, während anderes verschwiegen oder nur kurz angedeutet wird. Die Verbindung der einzelnen Nachrichten ermöglicht, ein allgemeines Bild der Hergänge zu gewinnen722.

[371] Subbiluljuma war zunächst beschäftigt, die chetitische Herrschaft im Osten Kleinasiens und den Gebirgsländern am [372] Euphrat, über Isuwa und die Gaue, die sich ihm angeschlossen hatten (o. S. 158), wiederherzustellen; dadurch wird sich erklären, daß sein erster Eingriff in Nordsyrien (o. S. 355) ohne dauernde Wirkung geblieben ist. Er ist in Isuwa eingedrungen, hat die ausgewanderten Stämme in sein Reich zurückgeführt, und Sunassura, den König von Kizwatna, wieder zum Anschluß an das Chetiterreich gewonnen. Nach seiner Darstellung war dieser froh, fortan nicht mehr »Knecht« der Charrier, sondern ein freier König zu sein. Der Vertrag nimmt scharf Stellung gegen die Charrier von Mitani und bindet Kizwatna und seinen Herrscher eng und dauernd an das Chetiterreich; diese unauflösliche Verbindung findet auch darin ihren Ausdruck, daß der Chetiterkönig in allen Verträgen, die er fortan mit anderen Staaten schließt, im Anschluß an die chetitischen Götter immer auch die von Kizwatna als Zeugen anruft.

Im Mitanireich selbst war Subbiluljuma mit einem Prätendenten Artatama in Verbindung getreten und hatte ihn als [373] »König von Charri« anerkannt723. Von der anderen Seite gingen die Assyrer unter Assuruballiţ gegen Mitani vor. So hatte Subbiluljuma, nachdem er auf einem zweiten Feldzug Isuwa völlig unterworfen hatte, leichtes Spiel. Der Fürst von Alzi im Bereich des oberen Tigris schloß sich ihm an724, er konnte Wassuganni, die Hauptstadt des Mitanireichs, besetzen und ausplündern, Dušratta war nicht mehr imstande, ihm entgegenzutreten. Dann zog er über den Euphrat nach Syrien. Aleppo unterwarf sich, ebenso der König Takuwa von Nî; dessen Bruder Akitešub, der an der Spitze der Marjanni zusammen mit dem Fürsten Akija von Arachti Widerstand versuchte, wurde überwältigt, die Rebellen gefangen fortgeführt725. Auch Qaţna erging es nicht besser; die Befürchtungen, die sein Herrscher Akizzi schon vor Jahren ausgesprochen hatte (S. 355), erfüllten sich. Dann rückte, eben um die Zeit, da Aziru seine Hilfsgesuche aus Tunip an den Pharao richtete und dann selbst an den Hof ging, Subbiluljuma in Nuchasse[374] ein, führte die Familie des Sarrupsa, dem er früher Schutz zugesagt hatte, der dann aber umgekommen zu sein scheint726, gefangen fort, und setzte Tette als König ein. So wenig wie Dušratta scheinen auch die Ägypter irgendwelchen Widerstand versucht zu haben; offenbar hat die schwache ägyptische Besatzung die noch behaupteten Plätze, wie z.B. Tunip, ohne Gegenwehr geräumt. In Subbiluljumas Berichten werden sie überhaupt nicht erwähnt, offiziell bestand offenbar trotz allem noch immer der Friedenszustand zwischen beiden Reichen. So mußte auch Aziru sich den Tatsachen fügen; er ist nach seiner Rückkehr aus Ägypten von diesem abgefallen und wieder in das Vasallenverhältnis zum Chetiterkönig zurückgetreten, an dem er fortan dauernd, festgehalten hat727. Subbiluljuma hat die Grenzen des Landes Amurru festgestellt und ihm einen Jahrestribut von 300 Sekel reinen Goldes auferlegt.

Dagegen hat Aitaqama von Kinza versucht, seine Unabhängigkeit zu behaupten; aber er wurde besiegt und mit seiner Familie und seinen Marjanni gefangen fortgeführt, ebenso wie der wohl von ihm abhängige Dynast des Landes Abina, des Abi oder Opa der Ägypter und der Amarnabriefe, der Ebene von Damaskus728. Aitaqama muß dann aber begnadigt [375] und wieder eingesetzt sein, da er sich nachher in Kinza gegen Mursil II. empört und von diesem in seinem 9. Jahre besiegt wird729.

So hatte Subbiluljuma das ganze Land vom Euphrat bis zum Libanon in éinem Jahre aufs neue unterworfen Alle dortigen Kleinstaaten werden durch gleichlautende Verträge – erhalten sind solche ganz oder teilweise mit Nuchasse, Amurru und (aus späterer Zeit) mit Tunip – ganz an den Chetiterkönig gefesselt und zur Heeresfolge gegen jeden Feind und jeden Aufstand im Innern verpflichtet; dafür sagt auch er ihnen im Kriegsfalle seine Hilfe zu. In Aleppo dagegen und in Karkemiš hat er seine Söhne Telibinus und Bijassil zu Königen eingesetzt; doch dauerte es noch geraume Zeit, ehe Karkemiš wirklich bezwungen wurde730.

Währenddessen waren der von Subbiluljuma anerkannte Prätendent Artatama und sein Sohn Sutarna in Mesopotamien eingebrochen und hatten zusammen mit den Königen von Assur und von Alse das Land und seine Hauptstadt gründlich ausgeplündert. Sutarna, der hier die Herrschaft übernommen zu haben scheint, zerstörte den Palast Dušrattas in Wassuganni, gab die ehemals von Saussatar aus Assur entführte goldene Tür (o. S. 133) dem Assyrerkönig zurück und erkannte [376] ihn damit als selbständigen Herrscher an. Andere Kostbarkeiten verschenkte er nach Alse. Dušratta war einer Verschwörung erlegen; »Mitani ging völlig zugrunde«. Unter der charrischen Bevölkerung wurde ein großes Blutbad angerichtet, die Häuser niedergerissen, die Magnaten an Assur und Alse zur Pfählung ausgeliefert731. Dušrattas Sohn Mattiwaza suchte zunächst Zuflucht in Babylonien; indessen der Kossaeerkönig wollte offenbar auch im trüben fischen und trachtete ihm nach dem Leben. Da blieb ihm, als er glücklich entkommen war, nichts übrig, als sich dem Subbiluljuma zu Füßen zu werfen.

Diesem konnte das Schalten Sutarnas in Mitani nicht genehm sein, durch das das Land jenseits des Euphrat tatsächlich wieder in die Hand der Assyrer überging. So nahm er Mattiwaza gnädig auf und versprach, ihn nach Mitani zurückzuführen732. Er vermählte ihn mit seiner Tochter und übertrug die Rückführung seinem Sohne Bijassil von Karkemiš. Beide zusammen haben die Truppen Sutarnas bei Irrite im westlichen Mesopotamien besiegt; die Stadt Charrân ergab sich, die Assyrer wurden zurückgeschlagen, die Stadt [377] Wassuganni erobert733. In dem Vertrage mit Subbiluljuma werden sowohl Mattiwaza wie seine Untertanen, die Charrier, die ihn beschwören müssen, durch die feierlichsten Fluchformeln zur Treue und Hilfeleistung verpflichtet. Nebenfrauen darf Mattiwaza nehmen, aber rechtmäßige Königin ist allein die chetitische Prinzessin. Als Grenze der beiden Länder wird der Euphrat bestimmt – damit ist der Verzicht Mitanis auf Syrien ausgesprochen; – aber beide Euphratufer bis über Tirqa südlich von der Chaborasmündung hinab (das Land Astata), werden dem Bijassil von Karkemiš abgetreten734, mit dem Mattiwaza zu enger Freundschaft verpflichtet wird, und dadurch Mitani noch weiter von Syrien abgeschnitten.

Wie weit inzwischen die Ägypter ihre Herrschaft über die phoenikische Küste wieder hergestellt haben, läßt sich nicht erkennen. Simyra und Byblos werden im Besitz Azirus geblieben sein – auch der Pharao selbst hatte sein Vorgehn zwar hier getadelt, aber nicht rückgängig zu machen gesucht; – auch ob Sidon sich ernstlich wieder unterworfen hat, erscheint recht fraglich. Tyros dagegen werden sie behauptet haben, und vielleicht auch Berytos. Außerdem stand das Hinterland Coelesyrien ('Amq) noch unter ihrer Herrschaft. Von hier aus haben sie, während Subbiluljuma vor Karkemiš lag, versucht, Kinza (also Aitaqama) wieder auf ihre Seite zu bringen735. Da hat Subbiluljuma seinen Feldherrn Lupakku nebst einem Genossen gegen sie gesandt; in zwei Kriegszügen wurde das 'Amq ausgeplündert. Damit hatte er, was er bisher vermieden hatte, offen mit Ägypten gebrochen und den Kriegszustand herbeigeführt736.

[378] Die Nachricht von dem Einfall des chetitischen Heeres unter Lupakku in 'Amq bringt der jüngste der Briefe des Archivs von Amarna737. Das Ergebnis der Regierung Amenophis' IV. für die Stellung Ägyptens in Asien faßt ein Erlaß seines Nachfolgers Tut'anch-amon mit den Worten zusammen: »Wenn man ›Truppen‹ nach Phoenikien (Ẕahi) schickte, um die Grenzen Ägyptens zu erweitern, so konnten sie nichts ausrichten.« Aber unmittelbar nach dem chetitischen Angriff ist in Ägypten die Krise eingetreten, welche die gesamte bisherige Politik des Reichs wie im Innern so nach außen von Grund aus umgewandelt hat.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 368-380.
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