Die assyrische Kunst unter Assurnaṣirpal

[403] Von epochemachender Bedeutung ist Assurnaṣirpal für die Gestaltung der assyrischen Kunst gewesen. Er hat den Baustil des Westens, dessen Ausbreitung in Mesopotamien wir schon kennengelernt haben (o. S. 395), auf seine Bauten übernommen. Entscheidend gewesen ist, daß die Ziegelwände jetzt am Sockel mit hohen Alabasterplatten verkleidet werden, die in derselben Weise wie dort mit Reliefs geschmückt werden. Dazu kommen als Laibungen der Portale, wie in den chetitischen Bauten und in 'Arabân, die den Eingang bewachenden und schirmenden Dämonen (lamassu), die durchweg als Stiere oder Löwen mit Menschenkopf und Götterkrone, meist auch mit Flügeln, gestaltet sind. An diesen Aufgaben hat sich, weit hinausgehend über die früheren dürftigen Ansätze, eine assyrische Kunst entwickeln können. Geschaffen ist sie deutlich von den aus den westlichen Gebieten eingeführten geschulten Handwerkern und Künstlern, die die ihnen vom König gestellten Forderungen ausführten; so erklärt es sich, daß sie uns sogleich in Inhalt und Form fertig entgegentritt und den folgenden Generationen nur eine langsam fortschreitende Verfeinerung geblieben ist.

Etwas innerlich Neues hat die assyrische Baukunst nicht geschaffen. Grundlegend für die Anlage der Räume blieb der babylonische Ziegelbau, nur daß in den Tempeln, mit denen der Terrassenturm (zikurrat) verbunden ist, an Stelle des breit gelegten Kultraums nach westlichem Vorbild ein Längsraum trat898. Selbst die im Westen verwendete Säule, sei es aus Holz, Stein oder Ziegeln, hat man zwar gekannt, aber für die Bauten nicht verwendet; die Räume konnten nicht breiter angelegt werden, als die aus dem Amanos und Libanon geholten Deckbalken gestatteten; daraus ergibt sich in den großen Sälen ein Mißverhältnis zwischen Länge und Breite.

In den Palasträumen konnte sich der Prunk des Eroberers [404] entfalten. Assurnaṣirpal rühmt, wie schon Tiglatpileser I., die Verwendung kostbarer Hölzer, die in kupfernen Angeln aufgehängten Türflügel aus Zedernholz; »an den Toren stellte ich wilde Tiere des Gebirges und der See aus weißem Kalkstein und Alabaster auf«; die Räume waren gefüllt mit Prunksesseln, mit Metall ausgelegten Elfenbeintischen, mit den Beutestücken und Tributgaben aus den Feldzügen, zu denen nach seinem syrischen Feldzug und später unter seinen Nachfolgern auch phoenikische Waren in Edelmetall, Kupfer und Elfenbein kamen (o. S. 403).

Der Stil der Reliefs sucht die Kraftfülle der Herrscher und ihrer Krieger zu wirkungsvollem Ausdruck zu bringen. Daher die überladene Fülle der Muskulatur und die scharfe Betonung der Anspannung der Sehnen und Muskeln. In seltsamem Kontrast dazu steht die mit peinlicher Sorgfalt ausgeführte, ganz unnatürliche Frisur der langen Bärte und des auf die Schultern herabfallenden Haupthaars. Dem entspricht die Darstellung des reichen Prunkgewandes des Königs. Der Versuch dagegen, seine Porträtzüge wiederzugeben, der die ägyptische Kunst von Anfang an beherrscht, wird niemals gemacht; alle Königsbilder sehn daher völlig gleichartig aus und sind durch ihre Züge nicht zu unterscheiden. Ebensowenig gelangen die Formen und Bewegungen des Körpers unter der Hülle der Gewandung zum Ausdruck. Deutlich tritt hervor, daß wir es mit einer angelernten Kunst zu tun haben, nicht mit einer aus dem inneren Empfinden des Volkstums erwachsenen.

Die Themata der Reliefs sind die üblichen: der König mit seinem Hof, Kulthandlungen wie vor allem die Befruchtung der durch ein symbolisches Pflanzengeschlinge dargestellten Dattelpalme, schirmende Dämonen, Löwenjagden und besonders Kampfszenen aus den Feldzügen nebst Überbringung von Tributen, Fortführung von Gefangenen sowie den Martern, mit denen sie hingerichtet werden. Gleichartig sind auch die Bilder auf den emaillierten Ziegeln, mit denen der obere Teil der Wände verkleidet wird, umrahmt von Rosetten und Flechtbändern. Königsstatuen und Steinpfeiler mit seinem Bilde, wesentlich [405] fortgeschritten über die primitiven Reliefs seiner Vorgänger (o. S. 385), hat Assurnaṣirpal wie im Palast so an den Stätten seiner Kämpfe vielfach aufgestellt, bedeckt mit Siegesinschriften. Solche Siegesinschriften sind in den Reliefs überall über die Figuren weggeschrieben, ein drastischer Beweis für die innere Roheit des Kunstempfindens; außerdem bedecken die Annalen im Palast auch die Platten des Fußbodens sowie einen großen Steinblock aus dem Tempel Ninurtas in Kalach und einen anderen bei Kurkh, südlich von Diârbekr. Alle diese Inschriften wiederholen immer wieder in kürzeren oder längeren Auszügen denselben Text, der in den Annalen ausführlich vorliegt und in entsetzlicher Monotonie ein Gemetzel an das andere reiht.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 403-406.
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