Die Juden im Exil. Ezechiel

[164] Im Jahr 621, als die Skytheninvasion verlaufen war und die Macht der Assyrer sich zum Untergang neigte, war in Juda das Gesetzbuch eingeführt worden, welches die durch die Propheten verkündeten Forderungen Jahwes an sein Volk in feste Vorschriften umsetzte. Aber die Hoffnung, daß es möglich sein werde, dadurch Jahwes Gnade wiederzugewinnen und die Existenz des Staats dauernd zu sichern, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, gerade das Vertrauen auf das Gesetz und den Schutz der Gottheit hat den Staat vollends ins Verderben gestürzt; er konnte sich nicht entschließen, sich in die Vasallenrolle zu schicken, für die ihn die geographischen und politischen Verhältnisse nun einmal unweigerlich bestimmt hatten. Nur Jeremia hat im Gegensatz zu den populären Propheten die Unvermeidlichkeit der Katastrophe erkannt: das Trotzen auf Jahwe und das Gesetz statt der inneren Heiligung des Volks ist nur ein noch schlimmerer Frevel; die Chaldäer sind das Werkzeug, durch das Jahwe das Strafgericht an Juda wie an allen Völkern vollzieht. Im Jahr 597 hatte Nebukadnezar geglaubt, durch Wegführung des Königs Jojakin mit seinem Hofstaat und dem Adel des Landes, der Krieger, der Schmiede- und Schlosserzunft den Widerstand brechen zu können. Die neue Rebellion unter Ṣidqijah wurde durch die Zerstörung der Stadt und die Wegführung fast der gesamten Bevölkerung bestraft; nicht nur alle Grundbesitzer wurden damals nach Babylon abgeführt, sondern auch die besitzlose Masse aus Jerusalem vollständig, aus den Landorten zum großen Teil (586). An 10000 Männer sind im Jahr 597, mindestens etwa 30000, vielleicht aber 40-50000 im Jahr 586 fortgeführt. Nur einen Teil der Ärmsten hatte der König zur Bestellung der Äcker und Weinberge zurückgelassen und mit Land ausgestattet; aber auch diese waren nach Gedaljas Ermordung [164] mit den Resten des versprengten jüdischen Heers, die sich wieder zusammengefunden hatten, meist nach Ägypten entwichen. So war das Land vollkommen verödet, den Nachbarn zur Beute262. Von Süden drangen die Edomiter vor, ihrerseits wieder gedrängt von den Nabatäern (o. S. 132). Vor ihnen zogen sich die Reste der halbnomadischen Stämme des Südens, die sich Juda angegliedert hatten, wie Kaleb von Hebron und Jerachme'el, in das Gebiet von Bethlehem und Jerusalem hinüber. Hatten die Deportierten von 597 binnen kurzem eine Umwälzung der Weltverhältnisse bestimmt erwartet, so erwies sich das Chaldäerreich allen Gefahren gewachsen; auf eine baldige Rückkehr war nicht mehr zu hoffen, man mußte sich in der Fremde häuslich einrichten. Die Nation schien dauernd vernichtet.

Und doch war es undenkbar, daß Jahwe sein Volk auf ewig sollte verstoßen haben und daß mit dem Strafgericht seine Geschichte ans Endziel gelangt wäre. Das wäre ja der Triumph der Völker, welche durch eigene Kraft, durch ihre Götzen gesiegt zu haben wähnten, während sie doch nur Werkzeuge Jahwes waren. Auch über sie mußte das Strafgericht kommen, nach der stolzen Überhebung ein um so tieferer Sturz. Dann mußte der Kultus in Jerusalem wiederhergestellt, die versprengten Reste des Volks von Jahwe gesammelt und zurückgeführt werden und damit die ideale Zeit der Gottesherrschaft auf Erden beginnen. Eben weil man in dem politischen Untergang des Volks die Idee der Macht des Nationalgottes nur dadurch retten konnte, daß man ihn zum alleinigen Herrn des Himmels und der Erde erhob, zum Weltregenten und Herrscher gerade auch über die Völker, welche seinen Namen nicht kannten und scheinbar ihn bekämpften, war eine zukünftige Restauration unentbehrlich, durch die sich Jahwe aller Welt als der alleinige Gott manifestierte. Diesen Ge danken haben [165] denn auch die Propheten wieder und wieder ausgesprochen, zuletzt Jeremia, um so energischer, je unerbittlicher er zunächst die bevorstehende Vernichtung verkünden mußte. Diese Erwartung machte es möglich, daß das Volk die politische Vernichtung und die Losreißung vom heimatlichen Boden überleben konnte, daß die jüdischen Deportierten nicht wie all die anderen, die vorher das gleiche Schicksal ereilt hatte, in dem Völkergemisch sich verloren, sondern ihre Selbständigkeit bewahrten. Gerade weil die Verkündung des Strafgerichts sich buchstäblich erfüllt hatte, konnte man mit voller Sicherheit auch die Erfüllung der Heilsverheißung erwarten. So ist der Glaube an Jahwe, und zwar an den Jahwe des Gesetzbuchs und der Propheten, durch die Katastrophe nicht erschüttert, sondern gekräftigt worden. Die Elemente, welche, wie die nach Ägypten abziehenden Reste der Bevölkerung, den Grund des Verderbens darin sahen, daß man das Gesetz eingeführt hatte und von der Weise, in der die Väter Jahwe und die übrigen Götter verehrten, abgefallen war, kommen für die weitere Entwicklung bereits nicht mehr in Betracht; in Babylonien werden sie wenig zahlreich gewesen und bald ganz zu fremden Kulten übergegangen sein. Opfern freilich konnte man Jahwe in der Fremde nicht; das war nach dem Gesetz nur auf dem Tempelberg von Jerusalem gestattet. Um so peinlicher beobachtete man seine sonstigen Satzungen: die starre Heilighaltung des Sabbats und die Beschneidung sind im Exil die »Zeichen« des Volkes Jahwes geworden. So erhielt sich das Volkstum zunächst lediglich als Religion; aber diese gab die Verheißung, daß dereinst das Volk glänzender als je zuvor wiederhergestellt, daß wieder ein Sohn Davids als »Gesalbter Jahwes«, als Messias in dem neuen Jerusalem über Juda und Israel herrschen solle. Daß nach Nebukadnezars Tod sein Sohn Amilmarduk den im Jahr 597 ins Exil geführten König Jojakin aus dem Gefängnis befreite und als König behandelte (Frühjahr 561), galt als erstes Zeichen der Wiederkehr der Gnade Jahwes; dadurch war der Fortbestand des Hauses gesichert, auf dem die Verheißung ruhte, und zugleich die Juden trotz der Losreißung von ihrer Heimat als Volk mit einem legitimen Oberhaupt anerkannt. – Die äußere Lage der Exulanten scheint, nachdem [166] die ersten Schwierigkeiten der Einrichtung überwunden waren, nicht ungünstig gewesen zu sein. Sie hatten in den Ortschaften, in denen sie angesiedelt waren, eine selbständige Organisation unter Ältesten, sie hatten ihr bares Vermögen mitgebracht und konnten Häuser und Grundbesitz erwerben, Felder bestellen und ihren Geschäften nachgehen (Jerem. 29, 4ff.). Gegen rebellische Bewegungen freilich, gegen Propheten, welche eine baldige Rückkehr und den Sturz des Chaldäerreichs verkündeten, schritt die Regierung unnachsichtig ein (Jerem. 29, 21ff.), und so mußte man sich vorsehen. Um so eifriger spähte man nach den Zeichen der Katastrophe, die man von Medien oder von Elam aus erwartete, und erging sich im geheimen in Ausmalungen des Strafgerichts über das übermächtige Babel, das an Furchtbarkeit das Schicksal Jerusalems noch weit übertreffen sollte (Jes. 13. 14. 21, Jerem. 50f.).

Wenn die Rückkehr und die Wiederherstellung unzweifelhaft bevorstand, so galt es, sich für dieselbe vorzubereiten. Das ist die Aufgabe, die gleich nach Beginn des Exils der Priester Ezechiel aus Jerusalem in Angriff genommen hat. In einer umfangreichen, wahrscheinlich im Jahr 568 zum Abschluß gekommenen Schrift hat er seine Gedanken niedergelegt263. Wenn er im ersten Teil [167] erzählt, er sei zuerst im Jahr 593 als Prophet aufgetreten, um den ungläubigen Exulanten die bevorstehende Vernichtung Jerusalems zu verkünden, dann aber habe ihm Jahwe das Reden verboten, bis die Kunde von der Erfüllung eintraf, so mag dem etwas Tatsächliches zugrunde liegen; aber für sein Werk ist das lediglich literarische Einkleidung so gut wie die Visionen, die symbolischen Handlungen, die Orakel an die Ältesten der Verbannten, die er mitteilt. Der prophetische Apparat ist zur äußeren Form herabgesunken: Ezechiel ist ein schriftstellernder Grübler, er wirkt nicht durch das lebendige Wort, das sich einem Jesaja oder Jeremia aus tiefster Seele herausrang, mochten sie wollen oder nicht, sondern er gibt das Buch wieder von sich, das er in einer seiner Visionen verschlungen haben will. Der Wandel war natürlich und unvermeidlich. Große politische Bewegungen, in die das Volk hätte eingreifen können, folgenschwere Entschlüsse, bei denen das Für und das Wider mit all ihren furchtbaren Konsequenzen dargelegt werden mußten, gab es nicht mehr; die Gemeinde der Exulanten war auf die Zuschauerrolle beschränkt. Sie konnte wohl wünschen und politisieren, aber nicht mehr politisch handeln. Da war kein Platz mehr für den Volksredner, sondern nur noch für den Pamphletisten. Was die alten Propheten gefordert hatten, sich dem Willen Jahwes zu unterwerfen, den Selbständigkeitsdünkel aufzugeben, die Fremdherrschaft als von Gott verhängte Strafe auf sich zu nehmen, war jetzt selbstverständlich geworden. Die Frage war nur noch, ob der Prophet oder ob die Masse die kommenden Ereignisse richtig beurteilte; in sie eingreifen konnte keine der beiden Parteien. Nur den Mahnruf zur Umkehr, zur Vorbereitung auf die kommende Erlösung, zur Frömmigkeit und Gerechtigkeit und zum Abtun alles dessen, was als Götzendienst galt, mußte Ezechiel erheben so gut wie seine Vorgänger. Seit es sich nicht mehr um die politisch organisierte Nation handelte, sondern um den Rest, aus dem das neue Volk hergestellt werden sollte, konnte die Frage aufgeworfen werden, ob nicht die Haupttätigkeit des Propheten sich der Seelsorge, der Gewinnung des Einzelnen für das Gottesreich, zuwenden müsse. Ezechiel hat das empfunden, aber sofort auch die Unmöglichkeit eingesehen, zum Ziel zu gelangen: [168] allerdings soll er jeden Gottlosen verwarnen, doch damit hat er seine Pflicht getan, seine Schuld trägt ein jeder für sich (3, 16ff. 33, 1ff.). In der Tat war er zum Seelsorger völlig ungeeignet; allein auch eine mächtigere und tiefer empfindende Persönlichkeit hätte wohl einen Kreis enthusiastischer Jünger um sich sammeln, aber nicht eine Gemeinde von 40000 erwachsenen Männern aus den irdischen Verhältnissen losreißen können, mochten sie die Heimsuchung des Schicksals noch so sehr empfinden.

Im Bewußtsein, daß gerade sie sich ernstlich bemüht haben, Jahwes Forderungen zu erfüllen, daß sie im Jahr 621 das Gesetz auf sich genommen haben, sagen die Exulanten: die Väter aßen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf; wir büßen für die Vergehungen unserer Vorfahren. Das kann Ezechiel nicht dulden; das ethische Postulat, die Forderung, daß die Gottheit die Welt gerecht regiert, daß der äußere Schein trügt, macht sich übermächtig geltend und zwingt ihn, die ganze Geschichte des Volkes danach umzugestalten. Sie ist nichts als Abfall und Götzendienst oder Unzucht gewesen, wie er mit dem bis zum Ekel wiederholten und breit ausgemalten Bilde Hoseas sagt; auch die gegenwärtige Generation ist ebenso schuldig wie ihre Väter. Nie hat Jahwe einen Unschuldigen bestraft, nur der Gerechtigkeit den Lauf gelassen; aber das Alte mußte vollständig vernichtet werden, weil es vollständig verderbt war. Nicht um des gottlosen und abtrünnigen Volkes willen bereitet Jahwe die Wiederherstellung vor, sondern um seines Namens willen, um den übrigen »Völkern«, d.i., wie wir jetzt schon übersetzen müssen, den »Heiden«, zu zeigen, daß er der wahre Gott ist. Deshalb wird er das vernichtete Volk wieder erwecken, die Trümmer von Juda und Israel aus der Zerstreuung sammeln und unter einem Fürsten aus Davids Haus in sein Land zurückführen, sie von aller Unreinheit reinigen, ihnen einen neuen Geist des Gehorsams und der Frömmigkeit verleihen. Nur durch ein Wunder kann wie die physische Wiederherstellung so die unumgängliche geistige Umwandlung herbeigeführt werden. Jahwe selbst wird alsdann in dem wiederhergestellten Tempel auf seinem heiligen Berg aufs neue seinen Wohnsitz nehmen. Dann wird auch das Strafgericht die Völker ereilen, die sich über [169] Jerusalems Fall gefreut oder gar nach seinem Besitz getrachtet haben, wie Edom, Ammon, Moab. Binnen kurzem, nach 40 Jahren (4, 6. 29, 13), erwartet Ezechiel die Umwälzung, die den Fall der Chaldäermacht zur Voraussetzung hat – es ist für die Situation der Exulanten bezeichnend, daß er denselben niemals direkt ausspricht –; dann wird zum Schluß nochmals ein großes Heer der Nordvölker unter Führung des Gog, ähnlich der Skytheninvasion von 626, die Erde überschwemmen, aber auf den Bergen Israels seinen Untergang finden. Dadurch wird Jahwe sich »groß und heilig erweisen und sich kundmachen vor den Augen vieler Völker, damit sie erkennen, daß ich Jahwe bin«. – Von den Einrichtungen dieses neuen Israels entwirft Ezechiel ein ausführliches Bild, damit, wenn die Zeit gekommen ist, genau nach den Forderungen des religiösen Ideals verfahren werden kann. Streng schematisch wird das Landgebiet in parallelen Streifen unter die zwölf Stämme verteilt; die im Land ansässige, nichtisraelitische Bevölkerung wird zu gleichen Rechten bei der Ackerverteilung zugelassen. In der Mitte liegt der Tempel, umgeben von dem Landgebiet der Priester aus dem Hause Sadoqs, d.h. der ehemaligen Priester von Jerusalem, und der übrigen zu Tempeldienern degradierten Lewiten, d.h. der ehemaligen Priester der Heiligtümer in den Landorten (der »Höhen«). Aller profane Besitz, auch die Stadt Jerusalem selbst, ist durch einen weiten Abstand von dem Heiligtum getrennt. Daß die Natur des Landes sich so ändern wird, daß es sich dem Schema bequem fügt, ist dabei die selbstverständliche Voraussetzung und durch ein Wunder leicht zu erreichen. Durchweg steht die Idee der Heiligkeit, d.h. der äußeren Reinheit und Unnahbarkeit der Gottheit und ihrer Wohnstätte im Vordergrund; eine Fülle von Ritualvorschriften wird daher für die Priester erlassen, damit sie von jeder Befleckung frei sind, wenn sie im Tempel amtieren. Schließlich wird für den wiederhergestellten Kultus eine detaillierte Opfer- und Festordnung entworfen.

Ezechiel ist keine erfreuliche Erscheinung in der hebräischen Literatur: engherzig, borniert, ohne Schwung und Kraft, ohne jegliche Phantasie und daher von unerträglicher Pedanterie und Monotonie in den Strafreden wie in den Zukunftsschilderungen [170] und nun gar in seinen Gleichnissen und in der breiten Ausmalung seiner Visionen. Daß er es wagt, sich als Prophet auszustaffieren und dadurch den Vergleich mit einem Jesaja oder Jeremia herauszufordern, läßt die Dürftigkeit seines Geistes um so stärker empfinden. Aber seine geschichtliche Bedeutung kann kaum hoch genug angeschlagen werden. Seine Ideen haben die gesamte weitere Entwicklung beherrscht: er ist der Vater des Judentums und sein typisches Vorbild; bis auf den heutigen Tag trägt es seine Züge. Er leitet hinüber von dem stürmisch erregten, aber tief empfundenen religiösen Leben der alten Zeit zu der Geist und Gemüt und Religion ertötenden Enge starrer Gesetzlichkeit. Die alten Propheten haben nichts energischer bekämpft als das Gewicht, welches man auf Opfer und Feste, Bußtage und Kasteiungen, kurz auf alle Äußerlichkeiten des Kultus legte. Das war Verkennung des Wesens Jahwes; nicht äußere, sondern innere Reinheit forderte er, nicht Zeremonien und Opferrauch, sondern unbedingte Hingabe des Volks an seinen Willen, nicht beschnittene Leiber, sondern beschnittene Herzen. All diese Wendungen wiederholt auch Ezechiel; aber die Durchführung der inneren Reinheit, der sittlichen Hebung und Heiligung des Volks kann er sich gar nicht anders vorstellen als in der peinlichen Beobachtung unzähliger Riten, im krassesten Formalismus. Seine Auffassung ist herrschend geworden; sie entsprach der gedrückten Stimmung des Exils, welche sich nicht genug tun konnte, um Jahwes Gnade wiederzugewinnen. – Schon während des Exils hat man, zum Teil im Anschluß an die älteren Kultusbräuche, eine große Zahl von Opfer-und Reinheitsvorschriften und die Festordnung in der Form eines Mose am Sinai offenbarten Gesetzbuches fixiert (Levit. 17 bis 26). Der Situation des Exils entspricht es, daß hier mit den theoretischen Forderungen rücksichtslos Ernst gemacht wird, auch wo sie praktisch undurchführbar sind. So wird, während das Deuteronomium der Schlachtung den Opfercharakter nahm und sie überall freigab, in diesem Gesetzbuch jedes Schlachten eines Tiers an anderer Stätte als an der Tür des Offenbarungszelts – der Projektion des Tempels in den Wüstenaufenthalt der mosaischen Zeit – als Götzendienst verboten. So wird die Brache des [171] ganzen Landes nicht nur wie in alter Zeit für jedes siebente (Sabbat-) Jahr, sondern nach dem neunundvierzigsten auch für das fünfzigste (Jubel-) Jahr verlangt; in diesem soll zugleich »jeder wieder zu seinem Besitz kommen«, alle Kaufgeschäfte rückgängig gemacht, alle israelitischen Sklaven freigelassen werden (- in diesem Punkt wird die deuteronomische Forderung Bd. III2 S. 158 also gemildert, da das auch für die Exulanten praktische Bedeutung hatte). Als Priester gelten dem Sinaigesetz wie Ezechiel nur die Lewiten von Jerusalem, »die Söhne Aharons« der mosaischen Zeit264. Besonders bezeichnend aber ist, daß alle für die Israeliten geltenden Bestimmungen auch auf »die Metöken (gêrîm), die sich unter ihnen niedergelassen haben«, ausgedehnt werden; »eine Satzung gilt für euch, für den Metöken wie für den Stammesgenossen«. Mit anderen Worten, die Religion beginnt sich vom Volkstum loszulösen, die neue Gemeinde ist nicht mehr eine nationale, sondern eine religiöse Genossenschaft, die Propaganda macht und unter den Stammfremden Anhänger wirbt. Die Ausländer, die aus ihrer Heimat ausgewandert waren und innerhalb des israelitischen Volks als Schutzbefohlene fortzukommen suchten, werden jetzt zu »Fremden, die sich an Jahwe anschließen«, zu Proselyten. – In derselben Zeit ist die historische Literatur auf Grund des Gesetzes von 621 überarbeitet und mit diesem zu einem einheitlichen Werke, dem deuteronomistischen Geschichtswerk, zusammengefaßt worden. Auch hier herrscht der Geist Ezechiels: die Vergangenheit wird auf Grund des Gesetzes beurteilt und schlechthin verworfen, ein religiöser Pragmatismus überall an Stelle des geschichtlichen Zusammenhangs gesetzt. Israel ist die Gemeinde, die Jahwe aus den Völkern erwählt hat, in der er selbst durch seine übernatürlichen Werkzeuge regiert und überall durch Wunder eingreift. Das Königtum war ein Abfall von Jahwes Regierung, weil es Ungerechtigkeit und weltliche Gesichtspunkte – womöglich sogar politische Ideen – hineinträgt. So kann in der historischen Zeit alles nicht schwarz genug gemalt werden. Um so mehr schwelgen die Verfasser in der Zeit, da unter Josua Jahwes Gnade noch voll auf dem Volke ruhte. Hier findet man Ersatz für die Not [172] der Gegenwart; hier kann sich der Haß und die Verachtung gegen die Heiden in Ausmalung der Großtaten des Volks und seines Gottes völlig frei ergehen. Die Schilderungen tragen einen widerwärtigen und dabei gemeinsinnlichen Charakter; nicht der Kriegsmut eines freien kampfesfrohen Volks hat sie erzeugt, sondern der ohnmächtige Groll einer geknechteten und verachteten Sekte.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 164-173.
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