Neuer Krieg mit Karthago und den Italioten

[156] Dionys hat versucht, mit den unteritalischen Städten dauernd zu einem guten Einvernehmen zu gelangen. Aber die republikanische Idee und mit ihr untrennbar verbunden die Idee des autonomen Partikularismus standen ihm entgegen; die Pythagoreer; die seit ihrer Rückberufung in den Städten wieder zu großem Einfluß gelangt waren, wurden die Führer der Opposition. So wurden seine Anerbietungen von Metapont und dem gesamten Italiotenbunde, dem jetzt offenbar auch Tarent beitrat, zurückgewiesen. Als dagegen Leptines, Dionys' Bruder, mit dem Herrscher zerfallen war und flüchten mußte (u. S. 169), fand er in Thurii offene Aufnahme269. Dionys ließ sich in seinen Bestrebungen nicht beirren; er berief Leptines zurück und vermählte ihm seine Tochter, ja er verzieh dem pythagoreischen Agitator Euphemos aus Parion, als er in seine Hände fiel – daran knüpft die, wie es scheint, älteste Version der Erzählung von der Bürgschaft des Freundes für den zum Tode verurteilten pythagoreischen Genossen270. Aber ans Ziel war er noch nicht gelangt, als im Jahre 383 der Krieg mit Karthago aufs neue ausbrach. Nach dem einzigen, äußerst ungenügenden Bericht, der uns erhalten ist, hätte Dionys ihn veranlaßt, indem er die noch unter karthagischer Herrschaft stehenden Städte zum Abfall bewog. Das klingt sehr unwahrscheinlich; und unmöglich wäre es nicht, daß vielmehr Karthago ihn herbeiführte, indem es, vielleicht gestützt auf eine andere Auslegung des Friedens von 392, die Rückgabe der in Dionys' Besitz befindlichen Städte forderte [157] und, als er das weigerte, den Krieg erklärte. Die Folge war, daß, wie zehn Jahre zuvor die griechischen Kleinstaaten mit Persien in ein Bündnis traten, um Spartas Macht zu brechen, so hier die Italioten sich mit Karthago gegen den neuen Einheitsstaat verbanden. Dionys scheint auch diesmal von Sparta Unterstützung oder wenigstens die Erlaubnis zu Werbungen im Peloponnes erhalten zu haben; wir erfahren, daß Leptines, als er auf der Rückfahrt nach Tarent kam, nur mit Mühe der Gefangennahme entging271. Die Karthager warfen ein starkes Heer unter Mago, der schon in den letzten Jahren des vorigen Krieges den Oberbefehl geführt hatte und jetzt zum Suffeten gewählt war, nach der Insel und sandten zugleich den Italioten Hilfe. Von dem Gange des Krieges haben wir nur ganz unzureichende Kunde. Einmal erfocht Dionys einen großen Sieg bei Kabala, in dem Mago fiel und das geschlagene Heer auf einem wasserlosen Felsen abgeschnitten wurde. Die Truppen begannen zu unterhandeln; Dionys, der jetzt am Ziel zu sein glaubte, forderte die Räumung der ganzen Insel. Die Führer des Heeres baten um Waffenstillstand, um die Weisungen der Regierung einholen zu können; und Dionys gewährte denselben gegen Leptines' Rat. Aber Magos Sohn – wahrscheinlich war es Hanno –, den die Truppen zum Feldherrn erhoben hatten, benutzte die Frist, um das Heer aus der Umklammerung herauszuziehen und wieder kampffähig zu machen. Dann brach er die Verhandlungen ab. Bei Kronion, vielleicht in der Nähe von Panormos, kam es zu einer zweiten Schlacht. Dionys drang anfangs siegreich vor: aber der andere Flügel unter Leptines wurde geworfen und, als Leptines tapfer kämpfend gefallen war, auch Dionys in die Niederlage verwickelt. Der Tag endete mit dem vollen Siege der Karthager; zu Haufen deckten die erschlagenen Feinde das Schlachtfeld. Dionys' Hoffnung, ganz Sizilien erobern zu können, war auch diesmal vereitelt272.

[158] Bessere Erfolge hatte Dionys in Italien. Zwar haben die Karthager im J. 379 Hipponion besetzt und die alten Einwohner zurückgeführt273. Auch mißglückte ein Versuch, Thurii zu erobern; die Angriffsflotte wurde durch Sturm zersprengt274. Dagegen hat Dionys Kroton nach langen Kämpfen und tapferer Gegenwehr im J. 379 genommen; die steile Burg fiel durch List in seine Gewalt. Das zu Kroton gehörige Heiligtum der Hera am Lacinischen Vorgebirge hat er ausgeplündert275. Ob daraus, daß er auch die Tempelschätze der Persephone in Lokri sich aneignete, zu folgern ist, daß auch diese Stadt sich einmal empört hat, ist dagegen sehr fraglich276; vermutlich ist sie wie im vorigen Kriege sein Hauptstützpunkt gewesen, das Geld aber, das er für seine Kriegsführung dringend brauchte, hat er wie früher (o. S. 97ff.) genommen, wo immer er es fand. Dagegen ist nicht zweifelhaft, daß er, wie er um diese Zeit mit den Kelten einen Vertrag schloß und aus ihnen Söldner für den Krieg mit Kroton warb (o. S. 155), so auch das Bündnis mit den Lukanern erneuert hat. Sie haben sich jetzt in Petelia, drei Meilen nördlich von Kroton, festgesetzt und von hier aus [159] Thurii befehdet; und auch sonst mögen sie jetzt noch weiter vorgedrungen sein und manche bisher von den Griechen behauptete Landorte besetzt haben277. Wie im Mutterlande kam auch im Westen der Hader zwischen den Griechen und die immer erneuerte Auflehnung gegen die einzige Macht, die sie schirmen konnte, nur den Nationalfeinden zugute278.

Die Niederlage bei Kronion hat Dionys nie wieder auszugleichen vermocht. Aber auch die Karthager haben den Sieg nicht ausnützen können. Wie in den früheren Kriegen brach auch diesmal eine verheerende Epidemie aus, und die Libyer benutzten die Gelegenheit zu einer neuen Empörung279; auch nach Sardinien griff der Aufruhr hinüber (vgl. o. S. 150). So begannen sie aufs neue Friedensverhandlungen. Dionys ging darauf ein; offenbar waren seine Kräfte erschöpft, und er sah, daß er weitere Erfolge nicht erzielen könne. Er trat den Karthagern Selinus und den westlichen Teil des Gebiets von Agrigent bis zum Fluß Halykos ab und östlich desselben noch Heraklea Minoa, ebenso im Norden das Gebiet von Himera mit Thermä – hier hat offenbar jetzt der Himerafluß die Grenze gebildet. Außerdem verpflichtete er sich, eine Kriegskontribution von 1000 Talenten zu zahlen, die in Jahresraten abgetragen wurde. Dafür gaben die Karthager Italien dem Dionys preis280. – Wann der Friede geschlossen ist, wissen wir nicht; vielleicht im J. 376, da mit diesem Jahre das Werk des Hermias[160] von Methymna über die Geschichte Siziliens abschloß281. – Die Karthager haben die Friedenszeit zur Bekämpfung der Aufstände in Afrika und auf Sardinien benutzt, die Hanno, zubenannt der Große, niederwarf282. Für Dionys aber begann jetzt, zum ersten Male nach fast 30jähriger Regierung, eine Epoche des Friedens. Auf Sizilien hatte er den Karthagern einen ansehnlichen Grenzdistrikt überlassen müssen, so daß ihnen jetzt nahezu ein Drittel der Insel untertan war. Aber das übrige hielt er noch immer fest in seiner Gewalt, und in Italien hatte er sein Reich durch die Eroberung von Kroton erweitert. Mit den Resten des Italiotischen Bundes erreichte er jetzt endlich gute Beziehungen. Derselbe war seit dem Falle Krotons auf Thurii, Metapont und Tarent beschränkt und die Führung auf Tarent übergegangen; in dem von diesem gegründeten und abhängigen Heraklea am Siris (Bd. IV 1, 678) wurde das Bundesfest gefeiert283. Der leitende Staatsmann von Tarent wurde der Pythagoreer Archytas, und er hat die Beziehungen zu dem mächtigen Tyrannen und seinem Nachfolger sorgfältig gepflegt284. Siebenmal stand er als Stratege an der Spitze des Staats und damit zugleich des Bundes; seiner umsichtigen und besonnenen Führung verdankt Tarent nicht zum wenigsten, daß es an Wohlstand und Macht stetig zunahm, während fast überall in Italien das Griechentum niederging285.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 156-161.
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