Verbrecherische Betätigung in Polen und den Niederlanden

Verbrecherische Betätigung

in Polen und den Niederlanden.

[371] Seyß-Inquart wurde im September 1939 zum Chef der Zivilverwaltung von Südpolen ernannt. Am 12. Oktober 1939 wurde er Stellvertreter des Generalgouverneurs in dem Frank unterstehenden General-Gouvernement. Seyß-Inquart wurde am 18. Mai 1940 Reichsstatthalter für die besetzten Niederlande. Damit übernahm er die Verantwortung für die Verwaltung von Gebieten, die durch Angriffskriege besetzt worden waren und deren Verwaltung eine Lebensfrage für den deutschen Angriffskrieg war.

Als Stellvertreter des Generalgouverneurs des polnischen General-Gouvernements unterstützte Seyß-Inquart die harten Besatzungsmaßnahmen, die in Kraft gesetzt wurden. Im Verlauf einer Inspektionsreise durch das General-Gouvernement stellte er im November 1939 fest, daß Polen so zu verwalten sei, daß seine [371] Wirtschaftsvorräte zugunsten Deutschlands ausgebeutet würden. Seyß-Inquart setzte sich auch für die Verfolgung der Juden ein, und war über den Beginn der AB-Aktion unterrichtet, die die Ermordung vieler polnischer Intellektueller zum Gegenstand hatte.

Als Reichsstatthalter für die besetzten Niederlande übte Seyß-Inquart unbarmherzigen Terror zur Unterdrückung allen Widerstandes gegen die deutsche Besetzung aus, ein Programm, das er selbst als »Vernichtung« der Gegner bezeichnete. In Zusammenarbeit mit den örtlichen höheren SS- und Polizeiführern hatte er mit der Erschießung der Geiseln zu tun, die wegen Angriffen gegen die Besatzungsbehörden festgenommen waren, und ferner mit der Einweisung in. Konzentrationslager all derer, darunter Geistliche und Erzieher, die einer feindlichen Haltung gegen die Besatzungsmethoden verdächtig waren. Viele holländische Polizisten wurden durch Androhung von Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Familien zur Beteiligung an diesen Aktionen gezwungen; auch holländische Gerichtshöfe wurden zur Teilnahme an diesen Programmen genötigt. Als sie aber zu verstehen gaben, daß sie zögerten, Freiheitsstrafen zu verhängen, weil tatsächlich so viele Gefangene getötet wurden, wurde in erheblichem Maße von Polizei-Schnellgerichten Gebrauch gemacht.

Die wirtschaftliche Verwaltung der Niederlande führte Seyß-Inquart durch, ohne die Regeln der Haager Konvention, die er als veraltet bezeichnete, zu beachten. Statt dessen wurde eine Politik der größtmöglichen Ausnutzung der Wirtschaftskraft der Niederlande angenommen und durchgeführt, ohne sich viel um ihre Auswirkung auf die Bevölkerung zu kümmern. Öffentlicher und privater Besitz wurde in großem Stil geplündert, und solchen Maßnahmen wurde der Anschein der Legalität durch Anordnungen Seyß-Inquarts verliehen; sie wurden unterstützt durch die Machenschaften der Finanzinstitute der Niederlande, die seiner Kontrolle unterstanden.

Sofort, nachdem Seyß-Inquart Reichsstatthalter für die Niederlande geworden war, begann er Sklavenarbeiter nach Deutschland zu schicken. Bis 1942 war die Arbeit in Deutschland theoretisch eine freiwillige, wurde aber tatsächlich durch starken wirtschaftlichen und staatlichen Druck erzwungen. Im Jahre 1942 ordnete Seyß-Inquart formell den Zwangsarbeitsdienst an und machte von den Diensten der Sicherheitspolizei und des SD Gebrauch, um eine Umgehung dieses Befehls zu verhindern. Während der Besetzung wurden 500000 Menschen von den Niederlanden nach dem Reiche als Arbeiter gesandt und nur ein ganz geringer Bruchteil davon waren tatsächlich Freiwillige.

Eine der ersten Maßnahmen, die Seyß-Inquart als Reichsstatthalter der Niederlande ergriff, war der Erlaß einer Reihe von Gesetzen, die die wirtschaftliche Schlechterstellung der Juden [372] erzwangen. Darauf folgten Verordnungen, die ihnen auferlegten, sich registrieren zu lassen, Verordnungen, die sie zwangen, in Ghettos zu wohnen und den Davidstern zu tragen, sporadische Verhaftungen und Einsperrungen in Konzentrationslager, und schließlich, auf Vorschlag Hey drichs, die Massenverschleppung von fast 120000 der 140000 Juden Hollands nach Auschwitz und zur »Endlösung«. Seyß-Inquart gibt zu, daß er wußte, daß sie nach Auschwitz kamen, behauptet aber, daß er von Leuten, die in Auschwitz gewesen waren, gehört hätte, daß es den Juden dort verhältnismäßig gut gehe, und daß er gedacht habe, daß man sie dort für die Neuansiedlung nach dem Kriege festhalte. Auf Grund des Beweismaterials und in Ansehung seiner Amtsstellung ist es unmöglich, diesen Behauptungen Glauben zu schenken. Seyß-Inquart behauptet ferner, daß er nicht verantwortlich sei für viele der Verbrechen, die während der Besetzung der Niederlande begangen wurden, da sie entweder vom Reich angeordnet waren, und von der Armee, die nicht seiner Kontrolle unterstand, ausgeführt wurden, oder von dem deutschen Höheren SS- und Polizeiführer, welcher, wie er behauptet, unmittelbar an Himmler berichtete. Es trifft zu, daß für einige der Ausschreitungen die Armee verantwortlich war, und daß der Höhere SS-und Polizeiführer, obschon er Seyß-Inquart zur Verfügung stand, stets direkt an Himmler berichten konnte. Es ist ebenfalls wahr, daß in gewissen Fällen Seyß-Inquart gegen besonders scharfe Maßnahmen, die von anderen Dienststellen getroffen wurden, protestierte, wie zum Beispiel, als er die Armee erfolgreich daran hinderte, die Politik der verbrannten Erde zur Anwendung zu bringen, und ferner, daß er beim Höheren SS-und Polizeiführer darauf drang, die Zahl der zu erschießenden Geiseln herabzusetzen. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß Seyß-Inquart ein wissender und freiwilliger Teilnehmer an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit war, die während der Besetzung der Niederlande begangen wurden.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 371-373.
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