Brückenbrüder und Brückenkapellen

[86] Brückenbrüder und Brückenkapellen. Schon bei den Griechen und noch im höhern Masse bei den Römern galt Anlage und Erbauung von Brücken als ein religiös besonders verdienstvolles Werk, das dem frommen Beter erst den Gang zum Tempel ermöglichte. Auf der Brücke, welche in Rom die beiden Tiberufer verband, wurden Opfer vollzogen, der Weg zu den heiligen Orten jenseits des Tiber ging darüber; ob von den heiligen Gebräuchen, welche sich an ihre Erhaltung und Reparatur knüpften, der Name des Kollegiums der pontifices herrührt, ist freilich nicht ausgemacht. Auch bei den Germanen galt die Brückenbaukunst als eine heilige und geistliche. Auf nordischen Runensteinen wird mehrfach überliefert, dass der Verstorbene bei seinen Lebzeiten für das Heil seiner Seele eine Brücke bauen liess. Früh vereinigten sich in Italien, Spanien, Schweden, Dänemark und Deutschland fromme Christen, Herbergen zu errichten, Flösse zu halten und Brücken zu bauen. Päpstliche und bischöfliche Ablässe wurden dazu bewilligt. Auch daraus erhellt die Heiligkeit des Brückenbaues, dass auf Brücken feierliche Friedensschlüsse gefestet, Gefangene ausgewechselt, Bündnisse geschlossen wurden. Lange blieb das Amt eines Brückenbauers ein geistliches Vorrecht, und Päpste, Bischöfe, Priester und Mönche sind daher seit den ältesten Zeiten der christlichen Kirche entweder vorzugsweise die ersten Gründer und Bauherrn von Brücken oder selbst sachverständige Künstler und leitende Architekten beim Brückenbaue gewesen. Karl d. Gr. verlangte zur Ausführung der Wege und Brücken von der Geistlichkeit, welche sonst von allen Lasten befreit war, Beisteuern. Der berühmte Erzbischof Willigis von Mainz liess im 10. Jahrhundert die Brücken von Aschaffenburg über den Main und von Bingen über die Nahe bauen. In Frankreich, dessen Brücken sich im Mittelalter durch ihre Grösse, Kühnheit, Einrichtung und Schönheit vor denjenigen aller übrigen Völker auszeichneten, bildete sich zur Beförderung des Brückenbaues eine eigene geistliche Genossenschaft, der Orden der Brückenbrüder, fratres pontis, pontificales, factores pontium, frères du pont; ihr Stifter soll Benezet (der kleine Benedikt), ein Hirte aus Hautvilar in Vivarais um d.J. 1177 gewesen sein; Clemens III. bestätigte 1189 ihre Organisation. Als Symbol trugen sie einen Spitzhammer auf der Brust. Von ihnen wurden erbaut die Brücke über die Dürance unter der Karthause von Bonpas, sodann die Brücke über die Rhone bei Avignon, die beiden ersten grossen Brücken in Frankreich nach dem Untergange des weströmischen Reiches, und letztere einst die grösste Brücke in Europa, erbaut unter der Leitung des hl. Benezet von Avila 1177–1188, endlich die hl. Geist-Brücke über die Rhone bei Lyon, 1285–1305.

Der mittelalt.-christliche Brückenbau dokumentiert sich auch durch den Bau besonderer Hospitäler, namentlich Heiliggeist-Spitäler und Herbergen, sowie durch kleinere oder grössere zu den Brücken gehörige Bethäuser, sog. Heiligenhäuschen und Kapellen, beide wohl nur durch die Grösse und den Besitz eines geweihten Altars unterschieden. Unmittelbar waren sie teils an, auf, über, in einzelnen Fällen unter der Brücke angebracht;[86] gewöhnlich wohl der Stadt gegenüber, am Ende oder auf der Mitte, auf einem aufgemauerten Pfeiler, selten über einem Brückenbogen, im Anschluss an andere Gebäulichkeiten, z.B. an einen Brückenturm. Nach von Oven und Becker, die Kapelle der hl. Kathrina auf der Mainbrücke zu Frankfurt mit gleichartigen Stiftungen des christl. Mittelalters zusammengestellt. Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und Altertumsk. zu Frankfurt a.M. 1880.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 86-87.
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