Judas, S. (4)

[493] 4S. Judas wird am 19. Juni (III. 802) von dem Bollandisten Papebroch als »Apostel aus der Zahl der 72 Jünger« und als »Martyrer zu Arara in Armenien« bezeichnet. Er nimmt nämlich hier das Wort »Apostel« in einem weiteren Sinne, wornach es bei den Griechen und Orientalen nicht blos die eigentlichen 12 Apostel sammt den hhl. Aposteln Paulus und Barnabas, sondern überhaupt alle 72 »Jünger« (Discipuli) begriff. Dieser hl. »Apostel« Judas wäre also nach Papebroch einer der 72 Jünger, ein Bruder des hl. Jakobus11, des »Bruders des Herrn«, der Verfasser des kanonischen Briefes, gewartert zu Arara in Armenien, aber verschie, den von dem hl. Apostel Judas7 Thaddäus, den die Bollandisten mit dem Mart. Rom. am 28. Oct. behandeln wollen. Wie nämlich der Bollandist Henschenius am 1. Mai (I. 18 ff.) drei verschiedene Jakobus annahm, deren Väter Kleophas, Alphäus und Zebedäus gewesen (s. S. Jacobus11), so glaubt Papebroch drei Apostel Judas unterscheiden zu müssen, nämlich 1) den Judas, Sohn des Kleophas und Bruder des Jakobus, aber von einer anderen Mutter; 2) den Judas Thaddäus, vielleicht, wie er sagt, Sohn einer Maria und eines (ihm übrigens unbekannten) Jakobus, und 3) den Verräther Judas Ischkarioth, d.i. »Mann von Karioth« im Stammgebiete von Juda, nach Joh. 6, 72 Sohn eines gewissen Simon. Dabei beruft er sich (802. nr. 1–3) auf seine Paralipomena153 ad Conatum chronico-historicum de Pontificibus, wo er seine Meinung über das genealogische System der »Brüder des Herrn«, wenn auch nicht als gewiß, doch als »sehr wahrscheinlich« (non quidem ut certam, sed ut verosimilem valde), so erklärte, daß er einem älteren Kleophas, einem Bruder des hl. Nährvaters Joseph, der von dem mit Jesus nach Emmaus gehenden Kleophas verschieden wäre, zwei Frauen gibt, nämlich zuerst eine ungenannte, von welcher Simeon, der zweite Bischof von Jerusalem, und Judas, der Verfasser des kanonischen Briefes, geboren wurde, dann eine »Schwester« oder vielmehr Base (consobrina) der seligsten Jungfrau Maria, welche auch Maria hieß und die Mutter des Jakobus11, des ersten Bischofs von Jerusalem, und des Josephus18 Barsabas war. Diese beiden Brüder hätten den Beinamen Ἀδελφόϑεος (»Gottesbruder«), weil sie mit Christus nicht blos durch seinen Nährvater, sondern auch durch seine Mutter verwandt waren. Von obiger Maria sei aber verschieden ein andere Maria, [493] die Frau eines gewissen Jakobus und durch ihn Mutter des Apostels Judas Thaddäus, und vielleicht auch des Simon von Kana. Hiebei muß er jedoch (nr. 5) anerkennen, daß es leichter sei, zwei Jakobus (Söhne des Kleophas und des Alphäus) zu unterscheiden, als zwei Judas, indem für jene bei den Griechen auch verschiedene Acten sich finden, während sowohl die Griechen als auch die Lateiner außer dem Judas Ischkarioth nur Einen Apostel Judas anerkennen, blos mit dem Unterschiede, daß die Griechen denselben am 19. Juni in ihren Menäen als einen Martyrer in Armenien haben, während die Lateiner sagen, daß er mit dem hl. Apostel Simon am 28. Oct. in Persien gelitten. Deßungeachtet sucht er zwei Apostel Judas zu beweisen, wie er denn (nr. 4) dahin sich ausspricht, daß von den vier »Brüdern des Herrn«, welche bei Matth. 13, 55 Jakobus, Joseph, Simon und Judas, bei Marc. 6,3 aber Jakobus, Joseph (Joses), Judas und Simon154 heißen, Keiner dem Collegium der12 Apostel angehört habe, eine Behauptung, welche auch der Bollandist Stilting bei Gelegenheit der Bearbeitung des Lebens des hl. Apostels Matthäus am 21. Sept. (VI. 194 ff.) aufstellt und in einer eigenen, dem 6. September-Bande (I.–XXII.) vorausgeschickten Abhandlung über die »Brüder des Herrn« zu begründen sucht. Die Abhandlung ist besonders gegen Tillemont gerichtet, welcher annimmt, daß Jakobus und Judas allerdings unter den 12 Aposteln gewesen seien. Es würde uns zu weit führen, wenn wir alle Gründe und Gegengründe angeben wollten. Nur die wesentlichsten Momente sollen hier bemerkt wer den. – Ein Hauptgrund, welchen Stilting für seine Behauptung anführt, ist genommen aus Johannes (7, 3–5), wo die, »Brüder des Herrn« Ihn zu bereden suchen, zum Lauberhüttenfeste nach Jerusalem zu gehen und sich dort öffentlich zu zeigen, und wo dann der Evangelist (V. 5) beisetzt: »Denn auch Seine Brüder glaubten nicht an Ihn.« Hier macht dann Stilting (pag. II. nr. 6) den Schluß: »Die damals bereits gewählten 12 Apostel glaubten, als die ›Brüders der Herrn‹ nicht glaubten; also waren diese nicht von der Zahl der 12 Apostel.« Dieses Argument wäre nun allerdings schlagend, wenn es gewiß wäre, daß alle 12 Apostel (mit Ausnahme des Judas Ischkarioth) damals schon wirklich fest und unerschütterlich an die göttliche Sendung Jesu etc. geglaubt und alle vier »Brüder des Herrn« gar nicht daran geglaubt hätten. Nun ist es aber nirgends ausgesprochen, daß damals alle Apostel geglaubt, sondern jedenfalls gewiß und durch viele Stellen der heil. Schrift nachzuweisen, daß vor der Auferstehung Jesu alle Apostel einen ziemlich schwankenden Glauben hatten, wie ja selbst Petrus, der doch Jesum früher (Matth. 16, 16) aus göttlicher Eingebung als den »Sohn des lebendigen Gottes« bekannt, später im Glauben so schwach wurde, daß er Ihn dreimal verläugnete etc. Ja sogar kurz vor der Himmelfahrt gab es noch Zweifler (Matth. 28, 17), wie ihnen denn auch Jesus ihren Unglauben verwies (Marc. 16,14), bis endlich der hl. Geist alle Zweifel entfernte. So kann man also wohl annehmen, daß auch die »Brüder Jesu«, oder einer und der andere von denselben, so viel glaubten als die übrigen Apostel, indem sie Ihn sonst wohl auch nicht aufgefordert hätten, Seine Werke öffentlich zu wirken etc.; nur daß ihr Glaube eben noch sehr irdisch gesinnt war, wie ja auch die übrigen Apostel selbst noch kurz vor der Himmelfahrt Jesu an ein irdisches Reich Israel dachten (Apstg. 1, 6). – Eine andere Stelle, auf welche Stilting ein großes Gewicht legt, ist jene, wo dem Herrn gesagt wird, daß Seine Mutter und Seine Brüder draußen stehen und Ihn suchen (Matth. 12, 46). Da man nun aber nicht beweisen kann, daß immer und namentlich auch in dem gegebenen Falle alle 12 Apostel mit Jesus gewesen und alle vier »Brüder Jesu« mit Seiner Mutter draußen gestanden seien, so kann auch diese Stelle die Annahme nicht hindern, daß die zwei »Brüder des Herrn« Jakobus11 und Judas7 Thaddäus155 zu den 12 Aposteln gehörten. Dieß gilt auch von der Stelle in der Apostelgeschichte (1, 13. 14), wo es heißt, daß nach der Himmelfahrt Jesu die 11 Apostel »einmüthig im Gebete [494] verharrten, sammt den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und sammt Seinen Brüdern«, indem unter diesen Letzteren jedenfalls Simon und Joseph, und vielleicht auch noch andere Verwandte, verstanden werden können. – Wenn dann Stilting weiter (pag. V. nr. 16) zwischen einem Jakobus, Sohn des Alphäus, und einem Jakobus, Sohn des Kleophas, unterscheidet, so haben wir schon bei S. Jacobus11 bemerkt, daß nach neueren Forschungen Alphaeus und Cleophas identisch sind, somit dieses Hauptargument, welches Stilting für sich anführt, ganz wegfällt. Wenn endlich bei Luk. 6, 16 und Apstg. 1, 13 der Apostel Judas mit Judas Jacobi bezeichnet wird, so ist es nicht, wie Stilting (nr. 17 ff.) meint, nothwendig, daß man dieses als »Sohn (filius) des Jakobus« nehmen müsse, sondern es kann nach dem griech. Sprachgebrauche156 gerade so gut heißen »Bruder des Jakobus«, wie er im Briefe des hl. Judas (1,1) in Wirklichkeit so heißt und auch z.B. in Allioli's Uebersetzung der heil. Schrift an beiden Stellen so bezeichnet wird, und wie schon die Exegeten zu Papebroch's Zeiten, dann Cornelius a Lapide, Hug, Aberle bei W.W. (II. 180, vgl. V. 882) u. viele Andere das Wort »Bruder« suppliren.157 Jedenfalls war dieser hl. Jakobus11, welchen der hl. Paulus (Gal. 2, 9) »eine Säule der Kirche« nennt, als erster Bischof von Jerusalem eine so allbekannte Persönlichkeit, daß sein Bruder Judas sich ganz gut nach ihm benennen konnte, während Stilting einen ganz unbekannten Jakobus als Vater des Judas annehmen muß. In diesem Sinne spricht auch Dr. Döllingerin seiner Schrift »Christenthum und Kirche etc.« (S. 109. Note 1), nachdem er schon vorher (S. 104) sich entschieden dafür erklärt hat, daß es keinen dritten Jakobus gegeben, und die älteste, am besten beglaubigte Ueberlieferung der Kirche nur von zwei Jakobus wisse, nämlich dem Zebedäiden und dem Alphäiden. Uebrigens meint er noch (S. 103), der Nährvater Joseph habe nach dem Tode des Klopas (Alphäus) die Wittwe, seine Schwägerin, mit ihren Kindern in sein Haus aufgenommen, so daß die zwei Familien zu Einem Hauswesen verschmolzen, und – auch abgesehen von dem hebr. Sprachgebrauche – die Vettern und Basen Jesu um so mehr als seine Brüder und Schwestern gelten konnten. – Wie wir also früher bei S. Jacobus11 mit Baronius und dem Mart. Rom., so wie mit der großen Mehrzahl der älteren, namentlich aber der neueren kath. Exegeten die von den Bollandisten getrennten zwei Jakobus für Einen genommen haben, so müssen wir mit eben denselben hier auch für Einen Apostel Judas uns aussprechen und annehmen, daß der von dem Bollandisten Papebroch am 19. Juni (III. 802–809) aufgeführte hl. Apostel Judas kein anderer sei, als der hl. Apostel Judas Thaddäus, den nur unter S. Judas7 geben werden. Wenn ihn Papebroch auch noch als »Martyrer zu Arara (Ararach) in Armenien« bezeichnet, so wäre es möglich, daß diese Bezeichnung dem hl. Judas2 Barsabas zukäme, von welchem wir ohnehin nichts Näheres wissen. Uebrigens meinen Einige, der Apostel Judas Thaddäus sei zu Arara gemartert worden. S. S. Judas7. †


Quelle:
Vollständiges Heiligen-Lexikon, Band 3. Augsburg 1869, S. 493-495.
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