Gimpelglück

[45] Postiglion der Lieb. XXIII.


Ich that einmal spazieren gehn,

Da hört ich also singen schön

Der Vöglein viel und mancherlei,

Ganz lieblich war ihr Melodei;

Da kam ich auch zu einem Nest,

Das war geziert aufs allerbest,

Konnt mich aber nicht richten drein,

Was doch dies für ein Nest möcht seyn.


Nahm mir drum also wohl der Weil,

Ei da sah ich im Nest ein Eul,

Dieselb erzeigt sich schön geziert,

Groß und klein Vögelein sie vexirt,

Des must ich mirs lachen in Still,

Dieweil deren warn vorhanden viel,

Und jeder wolt der Nächste seyn,

Und durft doch keiner ins Nest hinein.


Endlich gar bald ich einen ersah,

Der zu dem Nest gieng dreist und nah,

Und dieser flog geschwind hinein,[45]

Ich dacht bei mir: Wer mag dies seyn?

Daß es ohn Scheu der andern alle,

Der Eulen also wohl that gefallen,

An Federn ich ihn gleich erkannt,

Daß er der Gimpel ward genannt.


Wie ihr nun weiter hören werdt,

Vom Gimpel, der ist lobenswerth,

Drum will ich jezt verhalten nicht

Sein Lob in diesem kleinen Gedicht:

Der Gimpel ist ein Vogel schon,

Der nächste bei den Eulen dran;

Kein andrer darf sich nahen frey,

Hin zu dem Nest, wer es auch sey.


Du Gimpel aber magst nach Lust

Bei der Eule seyn ganz wohl bewußt;

Drum ich forthin werd haben keine Ruh,

Bis daß ich ein Gimpel werd wie du;

Kein schönern Gimpel sah ich nie,

Denn dich jezt gegenwärtig hie,

Von Art bist du ganz wohl geziert,

Gleichwie eim Gimpel sich gebührt.


Magst darum wohl ein Gimpel bleiben,

Denn dich wohl keiner wird vertreiben,

Dessen darfst dich doch fürchten nicht,

Denn dies wohl nimmermehr geschicht,

Ihr rechter Gimpel du bist allein,

Den sie vor andern liebt gemein,

Auch wegen deines süßen Gesangs,

Bleibst du ein Gimpel dein lebenlang.[46]


Drum billig bist du lobenswerth,

Du bleibst ein Gimpel wohl heur als sehr,

Wie gern wolt ich ein Gimpel seyn,

Damit ich dürft ins Nest hinein,

Ob dich schon vexirt jedermann,

So laß nur Red vor Ohren gehn,

Gedenk in deinem Sinn allzeit,

Wer dir nichts geit laß dich ung'heit. (ungeschoren.)


So bleibst du recht ein Gimpel allein,

Und fleugst mit ihr wohl aus und ein,

Bei deiner liebsten Eulen zart,

Ein rechter Gimpel bist von Art;

Wünsch dir hiermit viel guter Nacht,

Zu Ehre sey dir dies Lied gemacht;

Drum lieber Gimpel sey nur verliebt,

Ich bin nicht bös und nicht betrübt.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 3, Stuttgart u.a. 1979, S. 45-47.
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