Trauschwur

[91] Nun wollen wir zur Andacht uns bereiten,

nun leg' in meine Deine Hand und höre

den Schwur der Treue, den ich heute schwöre,

Dir schwöre – vor dem Geist der Ewigkeiten!


Und was die Völker Heiligstes gesprochen,

zu meiner Sprache wird's in dieser Stunde

und wird ein neu Gesetz in meinem Munde

und jede alte Deutung sei zerbrochen!


Und also frevl' ich an der heil'gen Sage,

daß heil'ger noch ich meinen Ernst dir künde;

denn Ich bin größer jetzt als meine Sünde,

denn Schöpfer bin ich, während ich zerschlage!


Ich bin der Herr Dein Gott! – Du sollst mich ehren:

auf Meine Kraft dein ganzes Leben bauen,

in Glück und Not voll Demut Mir vertrauen,

nach Keiner Hilfe außer mir begehren!


Du sollst mir glauben! sollst vor den Gewalten,

die in mir kreisen, dich anbetend beugen,

von meiner Sanftmut selig allen zeugen,

vor meinem Zorne fromm die Hände falten!


Und sollst mir dienen, deinem Schicksalswalter:

mit deiner Klarheit meinen Geist erfüllen,

mit deiner Reinheit schmückend mich umhüllen,

der Ich dein Herr, dein Gott und dein Erhalter!


Denn Du bist meine Welt! – Dich will ich hüten,

will mit dir sein, will Eins sein deinen Bahnen, –

belauschen, stillen dein geheimstes Ahnen,

umkränzen dich mit meinen reichsten Blüten.
[92]

Und will dich heiligen! was Lautres, Reines

mit dunkler Macht ich immer fühle reifen,

Das will in Dir ich fassen und begreifen!

und all mein Wirken sei versenkt in Deines!


Und will michselber heiligen: meine Fehle

an Unserm Bund entsühnen und versöhnen,

mich mit dir, in dir immerfort verschönen:

Du Meine Welt, du Deines Gottes Seele!

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 91-93.
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