Am achtzehnten Sonntage nach Pfingsten

[671] Ev.: Vom Wassersüchtigen.

Und sieh! es war ein wassersüchtiger Mensch vor ihm; da antwortete Jesus, und sagte zu den Gesetzkundigen und Pharisäern: »Ist es erlaubt am Sabbat gesund zu machen?« Sie aber schwiegen; er aber griff ihn an, machte ihn gesund, und ließ ihn gehen. – Wer sich erhöhet, der wird erniedriget, und wer sich erniedriget, der wird erhöhet werden.


Sechs Tage sollst du tun

Dein Werk mit aller Treue;

Und sollst am siebten ruhn,

Er trägt des Herren Weihe.

So ward es uns gesetzet

Und also folgen wir,

Recht wie den Schnabel wetzet

Das lüstern stumpfe Tier.


Der feiert bei dem Spiel,

Und jener bei der Flasche,

Sinnt jeder lang und viel,

Wie er sich Lust erhasche.

Was nicht den Herrn mag loben,

Und was den Sinn betört,

Wem wird es aufgehoben?

Dem heil'gen Sonntag wert.


Ja, wenn man häufen mag

Der ganzen Woche Sünden

Gen was an diesem Tag

Muß seine Ernte finden,

So wird, o Schmach! es zollen

Wie gen gehäuftes Maß,

Von dem die Körner rollen,

Zwei Ähren, so man las.


Stehn denn die Kirchen leer,

Flieht seinen Herrn der Sünder?[671]

O wenn dem also wär'!

Der Frevel drückte minder,

Doch aus dem Weihrauchwallen,

Das unsern Gott umfließt,

Zu des Verderbens Hallen

Man wie ein Geier schießt.


In alten Bundes Pflicht,

Als keimend noch die Gnade

Und dämmernd nur das Licht

Fiel auf der Menschen Pfade:

Da trug der Sünde Flecken

Noch nicht der Sabbat, doch

Mußt' er den Gläub'gen schrecken,

Ach, wie ein eisern Joch.


Wohl mag es töricht sein,

Dem höchsten Gott zu Ehren

Zu liegen wie ein Stein,

Und jeder Regung wehren;

Doch eitlen Lüsten fügen

Der Sinne kirren Bund –

O besser zehnfach liegen

Wie eine Scholl' am Grund.


So hat der Heiland nicht

Den alten Bund gehoben:

Durch Taten wie das Licht

Sollst du den Höchsten loben!

Sei mit der milden Spende

Der Arme dir gegrüßt:

Nicht unrein sind die Hände,

Aus denen Segen fließt.


Und wer gering und klein

Im Schmerzenslager rücket,

Wo schlimmer als die Pein

Verlassenheit ihn drücket,[672]

Verbinde dessen Wunden

Und lächle ihm dazu;

Dann hast du sie gefunden

Die echte Sabbatsruh!


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 671-673.
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