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[107] 1.
Es lobe was nur Athem hat/
Des Höchsten überreiche Güte:
Er höret was der Arme bat/
Neigt sein liebfreundlichstes Gemüthe/
Entschleust die Menge seiner Schätze
Damit er sein Geschöpff ergötze.
2.
Ihm stehn die Wolcken zu geboth/
Sein Seegen schwängert Land und Auen;
Der Himmel muß/ so bald es Noth
Die lechzend dürre Frucht betauen/
Er rufft die Wind'/ und heist sie fliehen
Läst jetzund Hitz/ jetzt Kält abziehen.
3.
Nichts/ nichts ist/ daß er nicht verseh'/
Auch offt durch ungemeine Weisen/
Wir wissen nicht wie es gescheh/
Und müssen nur sein Allmacht preisen/
Die/ wie es dort und dar zublicken
Hier muß das gantze Werck beschicken.
4.
Ach Vater segne dein Geschenck!
Gieb zu der Speise dein Gedeyen/
Bleib deiner Kinder eingedenck/
Versag uns nicht diß zu verleihen/
Was deinen Bund mit uns bestättigt/
Und die bemühte Seel ersättigt.
5.
Der Mensch lebt nicht allein vom Brodt/
Dein Wort ists/ Herr/ das uns ernehret/
Was Irrdisch/ wird durch Zeit und Noth
Samt diesen Gliedern ausgezehret;[107]
Dein Wort gibt Kräffte/ die nicht weichen
Ob wir des Grabes-Ziel erreichen.
6.
Doch hast du hier noch einen Tisch
Vor uns/ mein Heyland/ zu bereitet/
Krafft dessen man erquickt/ und frisch
Die Höll und Todes-Angst bestreitet!
Durch den man theilhafft deiner Wunden
Mit dir auf ewig wird verbunden.
7.
O seelig wer das Abendmahl
Wird in dem Reich des Höchsten essen!
O seelig/ die den Freuden-Saal
Des La is schon jezt nach Wunsch besessen/
Die schon von Ach und Leid entbunden
Sich zu der Hochzeit eingefunden.
8.
Daß höchste Freuden-Mahl der Welt;
Ist kaum ein Schatten jener Wonne/
Wenn hier vor Sünder diß bestellt.
Was wird die heil'ge Lebens-Sonne
Nicht Reinen dort vor Speiß aufsetzen
Die sie auf ewig wil ergötzen.
9.
Es lobe was nur Athem hat/
Des Höchsten überreiche Güte/
Er höret was der Arme bat/
Neigt sein höchstfreundliches Gemüthe/
Entschleust die Menge seiner Schätze:
Damit er sein Geschöpff ergötze.
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