(CLXXVII.)
Die getreuen Freunde.

[290] Ein neuer Freund sagt Sirach /1 ist ein neuer Wein / vergib einen alten Freund nicht / dann du weist nicht / ob du so viel an dem neuen kriegest. Dieses verstehen etliche von Gott / der unser ältster Freund / und uns geliebet / eh der Welt Grund geleget war.2 Hingegen sollen wir hassen / die neue Welt / und was in der Welt ist / dann wer die Welt liebet / in dem ist nicht die Liebe deß Vatters.3 Etliche verstehen es auch von den Menschensatzungen und Gebotten Gottes.

2. Es ist aber der eigentliche Verstand dieser Gleichniß / daß der neue Wein gleich seye einem neuen Freund / der noch auf der Heffen lieget / zwar süß und freundlich ist / wie gut und gesund er aber werden wird / das ist noch ungewiß. Hingegen ist der alte Wein rein und hell / der den Magen stärcket / das Hertz erfreuet / gutes Geblüt machet / darvon Christus4 saget: Niemand ist / der vom Alten trincket / und wolle bald deß Neuen / dann er spricht: Der alte ist milder; Also ist ein Alter / getreuer und vorträglicher Freund / für einen neuen und ungewissen / nicht zu verwerffen. Hiervon soll eine sondere Erzehlung folgen.

3. Deß Hertzogen von Urbino / Francisci Mariä Hof ist einer von den berühmsten gewesen / zu unsrer Vätter Zeiten / da die Friedens-Künste in ihrem Ehren-Thron Fürstlich erhaben und beharrlich gehandhabt worden. Er hat sich belustiget mit gelehrten / verständigen und höfligen Leuten / deren er viel reichlich begabet / und in seine Dienste genommen / unter welchen ihrer zween waren / deren einer von Modena / der andre von Urbino / die eine so getreue Freundschafft miteinander geschlossen / als etwann David und Jonathan / deren die H. Schrifft rühmlichst gedencket.

4. Diese beede raisen miteinander auf eine Hochzeit nach[291] Senogallia / deß Modenefers Befreunde zu Ehren / welcher sich keinen Unkosten dauren lassen / sein Ehrenfest mit Ringrennen / Dantzspielen und allerhand Kurtzweilen zu begehen. Optatian der Modeneser und Sindron der Urbiener erwiesen bey solcher Begegniß / daß sie Hof- und Rittersleute / deren wolständige Sitten / ohne Verwunderung nicht betrachtet werden konten. Diese Tugenden konten von den Senogallischen auch nicht ohne Neid durchgelassen werden / unnd die Nachteulen konten nicht in diese Sonnen / ohne Nachtheil ihres Augenglantzes schauen.

5. Die beede fremde Edelleute machten mit den Frauenzimmer zu Senogallia Kundschafft / und wie eine Blume in den Gärten uns besser gefält / als die andre; so wehlten diese zween / zu ihrem Unglücke zweyen von den vornemsten der Stadt / ihnen zu ihrer Kurtzweil / aufzuwarten / deren die eine Namens. Olympia / Crescentin einem Edelmann von Pesaro / die andre Orinetta einen andren Namens Orlino versprochen / und dieses vermehrte die Ursachen ihrer Feindschafft / in dem sich diese zwo stoltze Schönheiten noch vielmehr / als jemals erhaben / weil diese hochgeachte Fremden ihnen dienten. Was sie in den Ritterspielen gewonnen / verehrten sie ihren Fräulein.

6. Crescentin und Orlino sahen mit Italianischen Eifer die Fremdlinge an / welche ihnen die Schuhe außtretten wollten / und wolten die bereit verbindliche Ehehandlung wider zurucke nehmen / wann nit die Liebe stärcker bey ihnen gewesen / als der Zorn: Bedachten sich deßwegen die Steine deß Anstosses auß dem Wege zu raumen. An den Beyständen konte es ihnen nit ermanglen / weil sie nicht nur etliche unter ihren Dienern / sondern auch die gantze Senogallische Jugend auf ihrer Seiten / wie die einheimischen Hunde keinen Fremden ohne Beissen einkommen lassen.

7. Diese zween Freunde versahen sich keines meuchelmörderischen Uberfalls / sondern giengen bey Nachts in den Sommer / nach deß Ortes Gebrauch spatzieren / und liessen das Gesang samt den musicalischen Instrumenten erschallen. Nun ist bekant / daß bey den hellen Nächten die Wercke der Finsternis[292] getrieben werden / und die kühle Lufft die brennende Liebe nit außleschen kan. In dem diese Fremde also sicher daher ziehen / werden sie von etlichen Unbekanten angetastet / welche einander mit den Wort / stich nider / schlag tod / würg / etc. aufrichten / unn diese beede bezwangen / daß sie sich unter eine Thüre stellen / und alle möglichste Gegenwehr für schůtzen mussten.

8. In diesem Gefecht werden etliche verwundet / und einer von den Vornemsten ermordet; darüber kommet die Wacht darzwischen / daß Sindron sich mit der Flucht rettet / Optatian aber / welcher verwundet / wurde in die Gefängnis gesetzet / als der Thäter gefundenen Ableibs / da er doch unschuldig / und nit er / sondern Sindron solchen nieder gesetzet / in deme er sich ritterlich / und in allen Rechten zulässig verheidiget.

9. Zu allem Unheil aber war der durchstochene deß Stadthalters alldar einiger Sohn / welcher sich freywillig zu seinen Landsleuten gesellet / und als der erste und forderst auf dem Platz geblieben; deßwegen man dann dem Optatian sein Urtheil machte / daß er wiederum das Leben verlieren solte: ungeacht er die That nit bekennet / und sich seiner Haut zu wehren / und sein Leben zu vertheidigen nothsachlich gezwungen worden: doch tröstete er sich / daß er für seinen getreuen Freund sterben solte / und verhoffte also durch seinen Tod ihme das Leben zu retten.

10. Es ist keine grössere Liebe / als wann man das Leben lässet für seinen Freund / und die guten Hirten wagen sich allein in Todesgefahr für ihre Schäflein: dieses ist die Prob der treuen und vollkommenen Freundschafft / weil wir auf dieser Erden nichts wehrters haben als das Leben; und mit demselben höret alles zeitliche Gut endlich auf. In dem nun Optatian sich zu dem Tod bereitet / und seine Unschuld beschuldigte / jedoch daß man wegen Sindron ferner nicht nachforschen solte / würde ihn der Gerichtstag angesetzet.

11. Sindron hingegen wuste wol den Thäter (wann anderst die Vertheidigung seines Lebens sträfflich ist) und wolte nicht geschehen lassen / daß sein so getreuer und wehrter Freund / ohne Schuld für ihn sterben solte. Als man ihn nun[293] auf den Richtplatz führen wil / meldet sich Sindron an / und bittet mit Hinrichtung Optatians zu rucke zu halten / weil er / und kein andrer den Mord / besagter massen / begangen / und gebührliche Straffe außzustehen erbietig seye.

12. Dem Richter ist allezeit der verdächtig / welcher sich zu sterben anmeldet / und befihlet deßwegen / daß man sie beede in verhafft führen solte. Der Handel kommet für den Hertzogen von Urbino / welcher diese beede für sich erfordern lässet / und höret selbsten ihren freundlichen Streit / welcher für den andern sterben solte / an; verwundert sich über ihre Treue / und begnadigt sie endlich beede / als edle Gemüter / die eine Probe warhaffter Tugendfreundschafft würcklich geleistet.

1

c. 9/14. 13.

2

Ephes. 1/4.

3

1. Joh. 2/15.

4

Luc. 5/39.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 290-294.
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