[268] Es weidet dort im grünen Thal
Ein Hirt von hoher Art.
Die Schäflein, die er weidet, all'
Sind weiß und fromm und zart.
Jüngst that nach einem irren Lamm
Er ängstlich suchen gehn
Und stieg auf hohen Baumes Stamm,
Sich weit herum zu sehn.
Er ist dem Lämmlein gar so gut,
Drum ruft und klagt er laut;
Denn – ach! – er kennt des Wolfes Wuth,
Der gierig längst geschaut.
»Und kommst du nicht, geliebtes Lamm,
Und fühlst nicht meine Noth,
So steig' ich nicht von diesem Stamm
Und härme mich zu Tod.«
[269]
Dann bricht er Rosen von dem Baum
Und wirft sie, krank und matt,
Hernieder auf den grünen Raum,
Dem Lamm zur Lagerstatt:
»Und bin ich nun im Tode bleich,
Und kommt mein Lämmlein spät,
So ruht es doch auf Rosen weich,
Die meine Hand gesä't. –
Ich habe dich so treu geliebt,
So milde führt' ich dich;
Du hast mich in den Tod betrübt:
Die Liebe tödtet mich.
Fahr' wohl, du undankbares Lamm!
Fahr' wohl, du treulos Herz!
Und kommst du einst zu diesem Stamm,
So denk' an meinen Schmerz.« –
Nun brach so trüb und lebenssatt
Des treusten Hirten Blick;
Da kam aus ferner Wüste matt
Das irre Lamm zurück.
[270]
Und als es seinen Hirten sah,
Bereut' es seine Flucht,
Und nimmer hat es fern noch nah
Mehr Weid' und Trank gesucht.
Es nährt sich von des Baumes Laub,
Daran sein Hirt erblich;
Es wählt gewelkter Rosen Staub
Zum sanften Lager sich.
Es scheut nicht Dorn, nicht Stein noch Kluft,
Nicht Gluth noch rauhes Wehn,
Bis einst der Hirt zur Weide ruft,
Wo treue Lämmlein gehn.
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