II.

[145] Über Hebels alemannische Gedichte


(An den Herausgeber der Zeitung für die elegante Welt. 1803.)


Eben habe ich zum fünften oder sechsten Male eine Sammlung Volklieder von einem Dichter gelesen, welche in der Herderschen stehen könnte, wenn man in einen Blumenstrauß wieder einen binden dürfte. Sie betitelt sich: »Alemannische Gedichte. Für Freunde ländlicher Natur und Sitten.« Größere Kunstrichter werden den Titel beurteilen und gegen den Sprachfehler »ländlicher Natur und Sitten« (entweder statt Sitte oder Naturen) ins Feld rücken mit Klammern und Fragzeichen; ich als Liebhaber schränke mich bloß auf die Gedichte ein und lobe sie früher öffentlich als irgendein Nachfolger. Ich wünschte, lieber Spazier, es wäre in der eleganten Welt, an die ich hier zugleich, wie aus dem Konzeptpapier zu sehen, mit geschrieben haben will, das Schwäbische nur halb so einheimisch als das Französische. Denn nur die Mundart jenes Landes, das sonst das Mutterland einer unvergleichlichen Dichtkunst war und das jetzt das Vaterland einiger großen Dichter ist, spricht das zarte spielende Musenkind; und mit der schwäbischen Mundart entzöge man ihm seine halbe Kindlichkeit und Anmut. Manchem Dichter wären die wohllauten schwäbischen Zusammenziehungen – z.B. Sagi'm statt: sage ich ihm – zu gönnen und das Ausmustern unserer engen n; das Eintauschen des i gegen das ewige deutsche e19; und die Verwandlung des harten Verkleinerung-chen in das süße-li; und am meisten der Reichtum an Diminutiven, den mit den Schwaben noch Schweizer, Östreicher und Letten teilen. In allen Sprachen verkleinert die[145] Liebe ihr Geliebtes, gleichsam um es zu verjüngen und zum Kinde zu machen, das ja der Amor selber ist. Und das Kleine, gleichsam als das Liebere, verkleinert man wieder, daher man öfter Lämmchen, Täubchen, Kindlein, Büchelchen (letzteres ist nach Voß dreimal verkleinert) sagt als Elefantchen, Fürstchen, Tyrannchen, Walfischchen. Manche Völker reden die ganze Natur mit diesen Liebewörtern an und ziehen sie, wie mit Zauberformeln, sich näher an die Brust; aber in solchen Ländern wohnet gern der Dichter. Daher kommen in den altdeutschen Dichtern die zahlreichen Verkleinerwörter; daher unsere guten Voreltern, welche statt der Philanthropie und des Kosmopolitismus Bruderliebe und Christenliebe besaßen und aus den Rosen der Liebe noch nicht den feinen Rosenessig der Selbsucht zogen, sogar in ihrer Prosa die lebendigen Wesen gern mit Verkleinerwörtern nannten, z.B. das Söhnlein und die Kindlein Luthers, bis zum Jesulein und Christkindchen. Was wir etwa noch jetzt verkleinern möchten in Zirkeln, dies suchen wir doch weniger zu vergrößern und zu lieben als fast zu hassen. Noch ist jetzt der falschen Ironie, als einer spöttischen Nachäffung der Liebe, das Verkleinerwort gewöhnlich. In meiner Vorschule der Ästhetik finden Sie Beispiele, und vorher überall.

Unser alemannische Dichter – denn ich sehe nicht ein, warum ich ihn über ihn vergesse – hat für alles Leben und alles Sein das offne Herz, die offnen Arme der Liebe, und jeder Stern und jede Blume wird ihm ein Mensch. Durch alle seine Gedichte greift dieses schöne Zueignen der Natur, deren allegorisierende Personifikation er oft bis zur Kühnheit der Laune steigert.20 Die Dichtkunst ist nur ein anderes Wort für höhere weitere Liebe; sie scheidet und erlöset die Natur vom dienstbaren Tode und beseelt wie ein Gott, um nur zu lieben, und schmückt wie eine Mutter, um noch mehr zu lieben. Freilich können wir den Bergen, Bäumen und Sternen, worein sonst die Griechen Götter zauberten, jetzo nur Seelen einblasen, und was jene vergötterten, nur beleben.

– Ich komme aber sehr aus dem einkleidenden Brieftone heraus, lieber Sp., vielleicht weil ich zu lebhaft an die Zeitung denke, deren Welt ich das Meinige von dem alemannischen Dichter sagen[146] wollte. Ich will also alles ohne weitere Mühe folgender Gestalt herauswerfen: er ist naiv – er ist von alter Kunst erhellt und von neuer erwärmt – er ist meistens christlich-elegisch – zuweilen romantisch-schauerlich21 – er ist ohne Phrasen-Triller – er ist zu lesen, wenn nicht einmal, doch zehnmal, wie alles Einfache. Mit andern, noch bessern Worten: Das Abendrot einer schönen friedlichen Seele liegt auf allen Höhen, die er vor uns sich hinziehen läßt – poetische Blumen ersetzt er durch die Poesie. – Das Schweizer Alpenhorn der jugendlichen Sehnsucht und Freude hat er am Munde, indes er mit der andern Hand auf das Abendblühen der hohen Gletscher zeigt und zu beten anfängt, wenn auf den Bergen die Betglocken schön herüberrufen. – Gleich Griechen und einigen Malern umschließet er seine Gemälde, aus Verachtung der Pointe, zuweilen mit Bildern, die sich in den Rahmen verlieren22, und so ist der Mann. Wahrlich eine liebliche Erscheinung, aber keine außer der Jahrzeit! Denn auf dem deutschen Musenberg, der eben unter einer stechenden Frühlingsonne zugleich blüht und dampft, kann jetzt alles auffahren: Gleicher-Blumen und nordisches Gestrippe und Gift und Duft.

Ich hätte gern meine Freude mit einigen Proben gerechtfertigt, wenn Schönheiten, die immer ein Ganzes bilden, so leicht einen Auszug vertrügen als Mängel, die eben darum eines stören. Auch gäb' ich am liebsten das längste Gedicht zur Probe, indes der Zeitungraum das kleinste vorzieht; und es bleibe Ihren Rück- und Einsichten überlassen, ob Sie eines als Postskript für den zweiten Druck hier wählen und geben wollen.

Doch bescheide ich mich gern, daß es immer Gedichte geben kann (worunter vielleicht die alemannischen zu rechnen), welche jedem Leser mißfallen, der gar keinen Sinn für Dichtkunst besitzt.

Einem solchen würd' ich freilich statt dieser alemannischen Drossel aus dem Schwarzwalde lieber eine da geschnitzte Guck Guck-Uhr oder irgendeinen da gedrechselten Viehstand im kleinen in die Hand zu geben raten. – P. P.23[147]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 145-148.
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