99.

Gut Gewissen

[627] Ohne Leben lebt der Welt,

Wer nicht gut Gewissen hält;[627]

Gut Gewissen in der Zeit

Hebt schon an die Ewigkeit.

Gut Gewissen traut auff GOTT,

Trit für Augen aller Noth,

Ist verschildwacht allezeit

Mit der freyen Freudigkeit.

Gut Gewissen wird nicht blaß

Für Verhöhnung, Schmach und Haß,

Steht im Bündnüß allezeit

Mit der weissen Redligkeit.

Gut Gewissen achtet nicht,

Was Verleumdung ticht und richt;

Warheit steht ihm an der Hand,

Macht sein Unschuld noch bekant.

Gut Gewissen wancket nie,

Beuget auch kein knechtisch Knie

Für der runden Menschen-Gunst,

Die man kaufft durch Schmeichel-Kunst.

Gut Gewissen segelt fort

Immer auff den rechten Port,

Ob ihm gleich parteyisch sind

Welle, Klippe, Strudel, Wind.

Drum wer stets vergnügt wil seyn,

Lad ihm gut Gewissen ein:

Welt hat keine beßre Lust

Als den reinen Wolbewust.

Quelle:
Friedrich von Logau: Sämmtliche Sinngedichte, Tübingen 1872, S. 627-628.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sinngedichte
Die tapfere Wahrheit. Sinngedichte. Insel-Bücherei Nr. 614
Sinngedichte / Von Logau, Friedrich (German Edition)