Wie ein fahrender Hornist sich ein Land erblies

[188] Ein Spielmann aus Welschland kam,

Der blies das Horn so süß,

Daß er 'nem jeden, der's vernahm,

Das Herz aus dem Leibe blies.

Vor Kaiser Karl und seinem Gesind',

Da ließ er sein Horn erschallen,

Er blies so laut, er blies so lind,

Das tät dem Kaiser gefallen:


»Mein Spielemann, mein Spielemann,

Dein Horn hat hellen Ton,

Und was das Horn erreichen kann,

Das sei des Hornes Lohn.

Auf hohem Berg, in weiter Au',

Da sollst Du's blasen am Rheine,

Soweit man's hört im ganzen Gau,

Sei alles Land das Deine!«


Der Spielmann auf dem Berge stand,

Ringsum viel Rebenhügel,

Und blaues Gebirg' und grünes Land

Und blitzender Ströme Spiegel.

Er setzte das Horn wohl an den Mund,

Sich selber auf den Rasen,

Weit in die Rund', aus Herzensgrund,

Da tät er blasen und blasen.


Es war zuerst ein schwimmender Hall,

Und dann ein hallend Geschmetter,

Der Westwind schwieg und der Wasserfall,

Es schwieg das Rauschen der Blätter.

Die Bergeskuppen, die Schlösser drauf,

Die neigten sich horchend hinüber,

Den Flug, den hielten die Adler auf,

Und schwammen lautlos darüber.
[189]

Und lustiger blies der Spielemann,

Er blies zum wirbelnden Tanze,

Die Eichen faßten einander an

Und walzten am Bergeskranze.

Die Schnitter warfen die Sensen fort,

Die Dirnen mußten sie schwingen;

Der alte Rhein im felsigen Bord

Wie ein Knäblein wollt' er springen.


Der Spielmann nahm das Horn vom Mund,

War freudig aus der Maßen,

Durch Dorf und Weiler in der Rund',

Da schritt er seine Straßen.

»Hast Du das Horn gehört?« fragt' er,

Tät sich ein Bauer zeigen,

Und scholl ein »Ja« zur Antwort her,

Rief er: »Du bist mein eigen!«


Ich wollt', ich wär' ein Spielemann

Mit solcher Klanggewalt,

Daß alles käm' in meinen Bann,

So weit mein Lied erschallt.

Nicht Land und Leut', nicht Burg und Wald,

Die sollten vor mir sich neigen;

Ich wollte nur, wo es widerhallt,

Wär' jedes Herz mein eigen.

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 188-190.
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