Anmerkungen zum dritten Band.
1. Brief.

1 In der Macedonischen Landschaft, wo der Berg Athos liegt, zwischen zwei Meerbusen, hatten Griechen aus Chalkis in Euböa, wovon die ganze Landschaft den Namen erhielt, die Stadt Olynthus erbaut, welche zu einer so ansehnlichen Größe empor wuchs, daß die zehntausend Krieger, worunter tausend Reiter, ins Feld stellen konnte. Der Krieg, den das, nach dem Frieden des Antalcidas mehr als je stolze, Sparta mit Olympus führte, wurde die Veranlassung zu einer ganz neuen Umgestaltung der Dinge in Griechenland, wobei Theben, eben durch jenen Frieden zu einer Stadt zweiten Ranges herabgedrückt, sich siegreich und glänzend erhob.


2 Tyrann von Pherä in Thessalien, erhob gegen 380 v. Chr. seinen kleinen Staat zu einer solchen Macht, daß er ein Heer von 20,000 Fußvolk und 3000 Reitern, ohne die leichten Truppen, unterhielt. Er hatte den Plan, den späterhin Alexander ausführte, wurde aber, auf Anstiften seiner Brüder, gemeuchelmordet.


3 Anspielung auf die Stelle der Ilias 2, 204.


4 Göttin der Nothwendigkeit.


2. Brief.

5 Auch Eurybates, wie man sieht, gehört zu denen, welche den Platon mißverstehen.[352] Sein Urtheil über dessen Philosophie im Allgemeinen ist das Urtheil eines – Geschäftsmannes, und man darf sich nicht verwundern, wenn es über Gegenstände dieser Art ein wenig seicht und voreilig ist: weit mehr dürfte man sich verwundern, daß er nicht einmal für den Menon den richtigen Gesichtspunkt ausgefunden hat, auf welchen doch Anfang und Ende des Dialogs hinweisen. Indeß muß ihm auch dieß wohl zu Gute gehalten werden, da es vielen gelehrten Leuten nicht besser damit ergangen ist. Auch hier muß Schleiermachers Einleitung nachgesehen werden.


6 Parzen, Göttinnen des Schicksals.


7 Residenz der Könige von Macedonien.


3. Brief.


8 Da ihrer hier zum letztenmale gedacht wird, so ist eine Mittheilung von ihrem letzten Schicksal, nebst einigen Bemerkungen, wohl auch hier an ihrer rechten Stelle. In einer Lobrede auf die Liebe sagt Plutarch (nach der Uebersetzung von Jacobs a.a.O.): »Mit der Liebe ist so viel Enthaltsamkeit, Zucht und Redlichkeit verbunden, daß sie auch ein zügelloses Gemüth durch ihre Berührung von andern Liebschaften abziehen kann. Denn sie rottet die Frechheit in demselben aus, drückt den Uebermuth nieder, impft ihm Schamhaftigkeit, Stillschweigen und Ruhe ein, umhüllt es mit dem Gewande der Ehrbarkeit, und macht es Einem Liebhaber unterthan. Ihr habt ohne Zweifel von der Lais, jener berühmten und vielgeliebten Hetäre gehört, wie sie ganz Hellas mit Verlangen entzündete, ja, wie zwei Meere um sie gestritten haben. Als aber die Liebe zum Hippolochus, dem Thessalier, ihr Gemüth ergriff, verließ sie das


von den grünlichen Wellen bespülte Akrokorinthos,


entfloh heimlich der Schaar ihrer übrigen Liebhaber, und lebte ehrbar mit ihm. Aber dort in Thessalien lockten sie die Weiber, aus Neid und Eifersucht über ihre Schönheit, in den Tempel der Venus, steinigten und verstümmelten sie. Daher wird, wie es scheint, dieser Tempel auch noch jetzt der Tempel der mörderischen Aphrodite genennt.« Nach der Ermordung, am Feste der Aphrodite, wobei keine Männer gegenwärtig waren, heißt es anderwärts, brach eine Pest in Thessalien aus, die nur endete, als man jenen Tempel erbaut hatte. Der Lais wurde[353] an den Ufern des Peneus ein Grabmal errichtet, worauf folgende Inschrift stand:


Das mit Ruhm gekrönte, im Kampfe nimmer besiegte

Hellas beugte der Macht göttlicher Schönheit sein Haupt,

Lais Schönheit! die Tochter des Amor näherte Korinthos,

In Thessaliens Flur ruht der Entschlummerten Staub.


Die Lais nun, welche dieses Schicksal traf, hält Jacobs für die jüngere Lais, eine Tochter der Timandra; die ältere Lais, Aristipps Geliebte, scheint zu Korinth gestorben zu seyn, wo die Korinthier ihr ein Denkmal im Kraneion errichteten, – obgleich sie, wenn man den Epigrammendichtern, unter denen hier auch Platon mit seinem Epigramm auf den Spiegel der Lais genannt wird, trauen darf, ihre Reize überlebt hatte, womit sich freilich die ihr nachgesagte Art des Todes, den sie auch Heinse in seiner Laidion sterben läßt, nämlich – im Arm der Liebe, schwer will vereinigen lassen. Glaubte nun Wieland, auf alle diese Anekdoten nicht mehr Gewicht legen zu dürfen als auf die Ausfälle des Epikrates? Es scheint so, und man kann ihm darin wohl nicht ganz Unrecht geben. Mit mehr Grund als Heinse aus Pausanias und Hippolochus zwei Geliebten der Lais gemacht hatte, verschweigt Wieland den Unterschied zwischen der älteren und jüngeren Lais, den er sehr wohl kannte und behält nur eine einzige bei. Indem er aber aus dem Leben der älteren so viel wegschneidet, daß sie nicht zu dem Gemeinen, oder wie Aristipp sagt, zur Schmach einer gewöhnlichen Hetäre, herabsinkt, und lieber, mit Uebergehung der ganzen chronique scandaleuse aus dem Leben dieser älteren Lais, zu dem Zeitpunkte, wo nur eben die Vergänglichkeit des Jugendreizes sich vom weiten muthmaßen läßt, in die Lebensgeschichte der jüngeren einbiegt, raubt er dieser doch wieder, was sie nach Plutarchs Berichte vielleicht sehr vielen Lesern erst würde empfohlen haben. Was mag er also mit seiner Lais gewollt haben, da er, anstatt sie nun zuletzt mit Pausanias ein ehrbares Leben führen zu lassen, diesem Pausanias vielmehr, ohne irgend eine historische Verbürgung, einen solchen Charakter gegeben hat, der es unmöglich machte, daß Lais solch ein Leben mit ihm hätte führen können? Wie es scheint, hatte Wieland sich die doppelte Aufgabe gemacht, erst die vielen widersprechenden Nachrichten von Lais durch Auffindung ihres wahrscheinlichen Charakters und glaublicher Umstände in einen solchen Zusammenhang zu bringen, daß die Widersprüche gelöst würden, wobei[354] denn das ganz Unstatthafte stillschweigend verworfen werden mußte, und dann zu zeigen, von welcher Art eine Liebe habe seyn müssen, deren ein weibliches Wesen von diesem Charakter empfänglich war. Vor allen Dingen hat nun wohl Wieland darin Recht, daß er einer, nach allgemeinem Zeugniß, so schwer zugänglichen, geistreichen Frau wenig Temperament, und um ein gutes Theil mehr Kopf als Herz gab, so daß sie dessen, was man Liebe nennt, nicht sonderlich empfänglich seyn mußte. Gleichwohl wurde nun von ihr berichtet, daß sie einmal in ihrem Leben sogar eine leidenschaftliche Liebe gefühlt habe, denn auch von der ältern Lais erzählt man dieses. Es kam darauf an zu bestimmen, in welche Periode ihres Lebens diese Liebe mit Wahrscheinlichkeit zu setzen sey. Historisch wahrscheinlich fiele dieß bei der einen und der andern Lais freilich in ihre Blüthenzeit, allein daran glaubte Wieland sich nicht binden zu müssen, zumal da nur Anekdoten Bürgschaft leisteten, und größeren Unwahrscheinlichkeiten aus dem Wege zu gehen war, theils nämlich denen, welche das Alter der einen Lais zu Korinth, theils jenen, welche die Sage von der zweiten Lais in Thessalien betreffen. Er zog es daher vor, die Liebe seiner Lais so nahe an das Ende ihrer Blüthenzeit zu rücken, daß es einerseits eben so glaublich wird, verschmähte Liebhaber, beleidigter Stolz und Neid hätten wohlge wisse beißende Epigramme auf sie in Umlauf bringen können, als von der andern, daß eben jetzt in einer solchen Frau eine solche Liebe und – gerade zu einem solchen Manne entstehen konnte. Wer die Weiber kennt und nicht ohne Welterfahrungen ist, wird gestehen müssen, daß hier alles dem natürlichen Laufe der Dinge gemäß ist, und Wieland, dem Lais für seine Darstellung so viele Dienste geleistet hatte als nur irgend möglich war, that wohl, lieber dem natürlichen Laufe der Dinge als widersprechenden Sagen voller Unwahrscheinlichkeit zu folgen. Habe er nun weder in der einen noch der andern Lais die griechische dargestellt, so ist seine Lais doch ein in sich vollendetes Wesen, und die Zeichnung ihres Charakters, die Motivirung der Begebenheiten, und die Schilderung der Art von Liebe, zu welcher diese Lais allein kommen konnte, und die vielleicht nirgend so entwickelt ist als hier, sind ein dieses Meisters so würdiges Werk, daß man selbst dann über den Mangel an Aehnlichkeit mit dem Original hinwegsehen könnte, wenn er auch noch größer wäre als er es in der That doch nicht ist.


[355] 4. Brief.


9 Der Hafen Piräeus bei Athen.


10 Diana bei den Thraciern, deren Fest, Bendideia, seit der 88sten Olympiade auch in Athen gefeiert wurde, wo ihr Tempel im Hafen, nicht weit von dem der Artemis Munychia stand.


11 Sind hier wohl bloß in dem Sinne von Regelwidrigkeiten genommen; gewöhnlich: Widerspruch eines Gesetzes mit dem andern.


12 Ein solcher, dessen Charakter Ironie ist.


13 Gyges, wurde, nach Platon, zufolge des Gebrauches eines magischen, unsichtbar machenden Ringes, zum König von Lydien (vergl. Cic. de offic. 3, 9.), nach Herodot aber (1, 8. fgg.) dadurch, daß der König Kandaules ihn genöthigt hatte, seine Gemahlin im Versteck entkleidet zu sehen, worüber diese, die den Gyges entdeckt hatte, entrüstet, ihm nur die Wahl zwischen dem eignen oder des Königs Tode ließ. Gyges brachte den König um, und erhielt mit dessen Gemahlin auch sein Reich.


5. Brief.


14 Buch 3, Cap. 6.


15 (Nodum in scirpo quaerere) sprüchwörtliche Redensart für: auch da Schwierigkeiten finden, wo keine sind; denn die Binsen haben keine Knoten.


16 Dogge. Die Landschaft Molossis in Epirus war wegen ihrer starken und muthigen Hunde, die auch zur Jagd trefflich zu gebrauchen waren, berühmt.


17 Muskenkünste, mit Inbegriff aller der Wissenschaften, die zu einer wahrhaft menschlichen Bildung wesentlich gehören.


18 Der Timotheus, von welchem hier die Rede ist, war einer der berühmtesten Tonkünstler und musikalischen Dichter der Zeit, in welcher die sämmtlichen in diesen Briefen vorkommenden Personen gelebt haben. Er wurde, zum Dank daß er den Gesang und die Saitenmusik[356] seiner Zeit (nach unsrer gewöhnlichen Vorstellung) zu einer weit höhern Vollkommenheit gebracht als worin er beide gefunden, von den strengern Anhängern der alten, äußerst einfachen, an wenige Formen gebundenen, feierlich ernsten Musik für einen ihrer größten Verderber erklärt, und unter andern von dem komischen Dichter Pherecydes, seinem Zeitgenossen, in einem von Plutarch aufbehaltenen beträchtlichen Bruchstück seines Chirons, sehr übel mitgenommen. Indessen war nicht er, wie spätere Compilatoren sagen, sondern (laut des besagten Fragments) ein gewisser Melanippides derjenige, der die Saitenzahl der Lyra, welche schon sein Meister Phrynis, zum größten Aergerniß der Eiferer für die gute alte Sitte (S. die Anklagsrede des dikaios Logos in den Wolken des Aristophanes) bis auf sieben gebracht hatte, noch mit fünf neuen vermehrte. Wie dem aber seyn mochte, genug Timotheus war, wie es scheint, der erste, der mit einer eilf- oder zwölfsaitigen Magadis (einer Art von Cither, auf deren Saiten ohne Plektron mit den bloßen Fingern geklimpert wurde) zu Sparta erschien, und sich unter andern mit einem dithyrambischen Gesang über die bekannte Fabel von Jupiter und Semele hören ließ. Aber die Spartanische Regierung nahm diese sittenverderbliche Neuerung (wiewohl damals wenig mehr an ihren Sitten zu verderben war) so übel, daß sie ein Decret (welches uns Boëthius in seinem Buche de Musica aufbehalten hat) abfaßte, des Inhalts: »Demnach ein gewisser Timotheus (oder Timotheor, wie man in Sparta zu sprechen pflegte) von Milet in ihrer Stadt angekommen, und durch sein Spiel öffentlich bewiesen habe, daß er die alte Musik und die alte Lyra verachte, indem er die Zahl der Töne und der Saiten über alle Gebühr vermehrt, der alten einfachen Art zu singen eine viel zusammengesetztere chromatische untergeschoben, auch in seinem Gedicht über die Niederkunft der Semele die geziemende AnständigkeitA1 gröblich verletzt habe: als hätten die Könige und Ephoren, in Erwägung daß solche Neuerungen nicht anders als den guten Sitten sehr nachtheilig seyn könnten, und zu Verhütung der davon zu besorgenden Folgen, besagtem Timotheor einen öffentlichen Verweis gegeben, und befohlen, daß seine Lyra auf sieben Saiten zurückgesetzt und die übrigen ausgerissen werden sollten.« – Daß Athenäus (im 10. Kap. des XIV. B.) diese Anekdote nach[357] andern Autoren anders erzählt, beweiset eben so wenig gegen sie, als das Ansehen des edeln und für sein Zeitalter gelehrten Boëthius die Aechtheit des Decrets, nach Verfluß von 1000 Jahren, verbürgen kann. Ich kenne nicht eine einzige Griechische Anekdote dieser Art, die nicht von andern anders erzählt würde. Gewiß ist indessen, daß das Decret ganz im Geiste der Spartanischen Aristokratie, die in allem streng über die alten Formen hielt, und ihrem Geschmack in der Musik gemäß, abgefaßt ist. W.


19 Tempern ist ein wenig mehr üblicher Kunstausdruck der Maler, und bedeutet so viel als dämpfen, mildern.


20 Daß Plato durch dieses Vorgehen seinem Mährchen eine Art von Beglaubigung geben wolle, ist klar genug: aber worauf er die Phönicische Abkunft desselben gründet, und wer die Dichter sind, welche versichern, es habe sich an vielen Orten zugetragen, weiß ich nicht. Denn daß er auf die bewaffneten Männer anspiele, die aus der Erde hervorgesprungen seyn sollen, als der Phönicier Kadmus die Zähne des von ihm erlegten Castalischen Drachen in die Erde säete, oder auf die goldnen, silbernen, ehernen, heroischen und eisernen Menschen des Hesiodus, die nicht zugleich, sondern in aufeinander folgenden Generationen, nicht aus dem Schooß der Erde hervorsprangen, sondern von den Göttern gebildet und zum Theil gezeugt wurden, – ist mir nicht wahrscheinlich. Doch vielleicht will er mit dieser anscheinenden Beglaubigung seines in der That gar zu abgeschmackten Mährchens nicht mehr sagen, als mit dem etwas plattscherzhaften Zweifel seines Sokrates: »ob es sich künftig jemals wieder zutragen dürfte.« W.


21 Nach der alten Vorstellung der Griechen von der Erdscheibe war Delphi der Mittelpunkt derselben, und wurde darum der Nabel der Erde genannt. Apollon sollte gerade deßhalb sein Orakel daselbst gestiftet haben.


6. Brief.

22 Praxilla, eine zu ihrer Zeit berühmte Skoliendichterin aus Sicyon, hatte ein Lied verfertiget, worin Adonis, den sie so eben im Reich der Schatten anlangen läßt, auf die Frage: was von allem, so er auf der Oberwelt habe zurücklassen müssen, das Schönste sey? zur Antwort gibt: »Sonne, Mond, Gurken und[358] Aepfel.« Man fand diese Antwort so albern naiv, daß die Redensart, einfältiger als Praxillens Adonis, zum Sprüchwort wurde. W.


23 Daß Platon hiemit hinstrebte nach der Unterscheidung des Erkenntniß-, Begehrungs- und Gefühls-Vermögens, unterliegt so wenig einem Zweifel als das große Verdienst, welches er sich um Psychologie erworben hat. Am zweckmäßigsten wird man mit dieser Stelle vergleichen Carus Geschichte der Psychologie S. 301–306.


7. Brief.

24 Sind ein Paar Zauberworte von denen, die bei den Griechen Ephesia grammata hießen, womit von Betrügern und abergläubischen Leuten allerlei Alfanzerei getrieben wurde, und über deren Abstammung und Bedeutung viel Vergebliches philologisirt worden ist. W.


25 Platon sagt im fünften Buche seiner Republik: welche manches schön finden, das Schöne selbst aber nicht sehen, noch zu dessen Anschauung sich zu erheben vermögend sind; welche im Einzelnen manches gerecht finden, das Gerechte selbst aber nicht begreifen: werden wir von solchen nicht sagen, daß sie nur meinen, nicht aber wahrhaft erkennen? Und wie, werden wir von solchen, die jegliches an sich anschauen, wie es ewig auf dieselbe Weise ist, nicht sagen, daß sie erkennen, nicht aber meinen? Und werden wir solchen nicht Liebe für das zuschreiben, was der Erkenntniß, den andern aber nur Liebe für das, was der Meinung angehört? Nicht mit Unrecht werden wir daher diese als Philodoxen, jene hergegen als Philosophen bezeichnen. Die nur, welche jedes in seinem Wesen, in seinem wahren Seyn umfassen, verdienen den Namen Philosophen.


26 Noësis und Dianoia, sind bei Platon eben so unterschieden wie bei uns Vernunft- und Verstandeserkenntniß.


8. Brief.

27 Des Tantalus Schicksal bereiten, dem ewig ein brennendes Verlangen erregt und nie befriedigt wurde.


28 Ist bei Platon in der hier beurtheilten[359] Stelle die philosphische überhaupt, und von der dialektischen Methode wird diesem gemäß behauptet, daß sie zur Erkenntniß des Wesens führe. Platon selbst nimmt anderwärts Dialektik nicht in dieser Bedeutung.


29 Aesthetisch steht hier, so wie späterhin, in seiner ursprünglichen Bedeutung für wahrnehmbar durch die Sinne.


30 Die sogenannte Platonische Zahl, wovon Aristipp hier mit einer Art von Unwillen spricht, der ihm zu gut zu halten ist, hat von alten Zeiten her vielen bene und male feriatis unter Philologen, Mathematikern und Philosophen, manche saure Stunde gemacht. Alle haben bisher bekennen müssen, daß ihnen die Auflösung dieses Räthsels, oder vielmehr die Bemühung Sinn in diesen anscheinenden Unsinn zu bringen, nicht habe gelingen wollen. Ich gestehe gern, daß ich den Versuch, eine auch nur den schwächsten Schein einer sichtbaren Dunkelheit von sich gebende Uebersetzung dieser berüchtigten Stelle, eben so wohl, wie der sehr geschickte und beinahe enthusiastisch für den göttlichen Plato eingenommene Französische Dolmetscher über meine Kräfte gefunden habe. Herr Kleuker – dem wir eine schwer zu lesende Uebersetzung der Werke Platons zu danken haben, die nicht ohne Verdienst ist und einem künftigen lesbaren Uebersetzer die herculische Arbeit nicht wenig erleichtern wird, – ist herzhafter gewesen als wir beide: und da seine Dolmetschung wohl den wenigsten Lesern dieser Briefe zur Hand seyn dürfte, so sehe ich mich zu Aristipps und meiner eigenen Rechtfertigung beinahe genöthiget, von seiner mühsamen Arbeit dankbaren Gebrauch zu machen, und seine wörtlich getreue Uebersetzung dieser Stelle, so wie sie die Platonische Zahl betrifft, hier abdrucken zu lassen. Sie lautet folgendermaßen:

»– Alles Lebende auf Erden hat seine Zeit der Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit, der Seele und dem Körper nach. Diese Zeit ist zu Ende, wenn die umkreisende Linie eines jeden Cirkels wieder auf den ersten Punkt seines Anfangs kommt. Die kleinen Umkreise haben ein kurzdaurendes, die entgegengesetzten ein entgegengesetztes Leben. Nun aber werden diejenigen, die ihr zu Regenten des Staats gebildet habt, wie weise sie auch seyn mögen, dennoch den Zeitpunkt der glücklichen Erzeugung und der Unfruchtbarkeit eines Geschlechts durch alles Nachdenken mit Hülfe der sinnlichen Erfahrung nicht treffen. Dieser Zeitpunkt[360] wird ihnen entwischen, und sie werden einmal Kinder zeugen, wenn sie nicht sollten. Der Umkreis der göttlichen Zeugungen hält eine vollkommene Zahl in sich: aber mit der Periode der menschlichen Zeugungen verhält es sich so:


daß die Vermehrungen der Grundzahl, nämlich drei potenziirende und potenziirte Fortrückungen zur Vollendung, welche vier unterschiedene Bestimmungen des Aehnlichen und des Unähnlichen, des Wachsenden und des Abnehmenden annehmen, alles in gegenseitigen Beziehungen und ausgedruckten Verhältnissen darstellen. Die Grundzahl dieser Verhältnisse, nämlich die Einsdrei mit der Fünfe verbunden, gibt nach dreifacher Vermehrung eine zwiefache Harmonie; eine gleiche ins Gevierte, als Hundert in der Länge und Hundert in der Breite; eine andere, die zwar von gleicher Länge ist, aber mit Verlängerung der einen Seite, so daß zwar auch Hundert an der Zahl, nach dem diametrischen Ausdruck der Fünfen darin liegen, wovon aber jede dieser Fünfen noch eine bedarf und zwei Seiten unausgedruckt sind: Hundert aber folgen aus den Kuben der Dreiheit. Diese ganze Zahl ist nun geometrisch, und regiert über die vollkommnern oder unvollkommnern menschlichen Zeugungen. u.s.f.«


Herr Kleuker hat uns in einer Anmerkung zu dieser Platonischen Offenbarung, welche ihm vielleicht doch erklärbar scheint, einen künftig nähern Aufschluß darüber hoffen lassen; ob und wo er diese Hoffnung erfüllt habe, ist mir unbekannt. W.


31 Von diesem wird erzählt, er habe seine Pferde mit Menschenfleisch gefüttert, und zu diesem Behuf die Fremden, die in seine Gewalt geriethen, ermordet.


Zu Brief 4–8.

Wollte der Herausgeber dem, wozu der verewigte Wieland ihn mehrmals aufforderte, Genüge leisten, diese seine Beurtheilung der sogenannten Platonischen Republik wieder zu beurtheilen, so müßte er besorgen, in den Fall Aristipps zu kommen, über das beurtheilte Buch ein wenigstens eben so dickes Buch zu schreiben. Gesetzt nun auch, daß es[361] Leser gäbe, die ihm dieß danken würden, so wäre doch hier schwerlich der Ort dazu. Um jedoch der Aufforderung einigermaßen zu genügen, will der Herausgeber wenigstens einige Bemerkungen mittheilen, die vielleicht zu einer weiteren Vergleichung mit der Aristippischen Beurtheilung einladen. Im Betreff des Hauptzwecks dieses Dialogen und des Zusammenhanges der Episoden mit demselben würde es Unrecht seyn, eine Schrift nicht zu berücksichtigen, welche Wieland, ungeachtet sie vier Jahre vor dem Aristipp nicht erschienen war, doch nicht gekannt zu haben scheint, Morgensterns de Platonis Republica Commentatio prima: de proposito atque argumento operis. Halle l794. Hiemit sind zu vergleichen die Bemerkungen Garve's sowohl in seiner Darstellung der verschiedenen Moralsysteme (S. 32 fgg.) als in den Anhängen zu seiner Uebersetzung der Politik des Aristoteles (Bd. 2. S. 184 fgg.). Auf Tiedemann, Tennemann und Buhle erst noch besonders zu verweisen, würde wohl unnöthig seyn.

Morgenstern unterscheidet in diesem Dialog den Hauptzweck und mehrere Nebenzwecke. Daß der Hauptzweck nicht die Aufstellung einer idealen Staatsverfassung sey, ungeachtet der Dialog den Namen davon trägt, und ein sehr großer Theil desselben sich damit beschäftigt, sondern Untersuchung über Dikäosyne, darin stimmen alle unbefangenen Leser mit einander überein, und Wieland läßt seinen Aristipp austrücklich sagen »ihm scheine die vornehmste Absicht dahin zu gehen, der in mancherlei Rücksicht äußerst nachtheiligen Dunkelheit, Verworrenheit und Unhaltbarkeit der vulgaren Begriffe und herrschenden Vorurtheile über den Grund und die Natur dessen, was Recht und Unrecht ist, durch eine scharfe Untersuchung auf immer abzuhelfen.« Hiebei kommt nun aber bald ein Anstoß an dein Worte Dikäosyne, welches man gewöhnlich durch Gerechtigkeit übersetzt. Platon gebraucht allerdings dieses Wort auch in dem gewöhnlichen, in den bei weitem meisten Stellen dieses Dialogs aber in einem von dem Sprachgebrauche ganz abweichenden Sinne, nach Morgensterns Ausdruck »beinahe für Tugend überhaupt.« Wielands Aristipp hat dieß auch nicht unbemerkt gelassen, denn er sagt: »da ein Wort doch weiter nichts als ein Zeichen einer Sache, oder vielmehr der Vorstellung, die wir von ihr haben, ist, so kann es dem Wort Gerechtigkeit allerdings gleichviel seyn, was Plato damit zu bezeichnen beliebt; aber der Sprache ist dieß nicht gleichgültig, und ich sehe nicht, mit welchem Recht ein einzelner Mann, Philosoph oder Schuster, sich anmaßen könne, Worte, denen der Sprachgebrauch eine gewisse Bedeutung gegeben[362] hat, etwas anders heißen zu lassen als sie bisher immer geheißen haben. Was Plato unter verschiedenen Formeln Gerechtigkeit nennt, ist bald die innere Wahrheit und Güte eines Dinges, die ihm eben dadurch, daß es recht ist, oder daß es ist was es seyn soll, zukommt; bald die Ordnung, die daraus entsteht, wenn viele verschiedene mit einander zu einem gewissen Zweck in Verbindung stehende Dinge das, was sie vermöge dieser Verbindung seyn sollen, immer sind; bald die Harmonie, die eine natürliche Wirkung dieser Ordnung ist.« An einer andern Stelle sagt er: »Hätte sich Plato auf das reichlich Genugsame einschränken wollen, so stand es nur bei ihm, die Aufgabe, so wie er sie gestellt hatte, geradezu zu fassen; und da es ihm, kraft seiner philosophischen Machtgewalt, beliebt hatte, den gemeinen und zum Gebrauch im Leben völlig zureichenden Begriff der Gerechtigkeit zu verlassen, und die Idee der höchsten Richtigkeit und Vollkommenheit der menschlichen Natur an seine Stelle zu setzen, so bedurfte es, meines Bedünkens, keiner so weitläufigen und künstlichen Vorrichtung, um ausfindig zu machen, worin diese Vollkommenheit bestehe.«

Unbezweifelt liegt hierin der Grundirrthum von Aristipps Beurtheilung des Ganzen, und man muß sagen, daß er zwar bis zu dem Punkte vorgedrungen, wo er den richtigen Gesichtspunkt hätte fassen können, ihn aber nicht gefaßt hat, und daß deßhalb gegen Platon nicht gerecht und billig verfahren wird. Nach Morgenstern und Garve ist der Hauptzweck dieses Dialogs die Entwickelung des Platonischen Moralsystems, welches, dem Erstgenannten zufolge, auf diesen Grundsätzen beruht: 1) daß der menschlichen Natur eine eigenthümliche Tugend und Würde zukomme, die sich dadurch beweise, daß jedes menschliche Vermögen das thue, was ihm zukomme, daß die Vernunft befehle, die übrigen aber gehorchen, 2) daß diese Tugend ein Gut an sich sey, Götter und Menschen mögen darum wissen oder nicht, 3) daß sie aber gleichwohl die Quelle der reinsten, wahrhaftesten und dauerhaftesten Glückseligkeit sey, und 4) daß man deßhalb aus zwiefachem Grunde nach ihr als dem höchstem Gute streben, das Laster hergegen als das höchste Uebel fliehen müsse. Man sieht leicht, daß Platon die Selbstgesetzgebung der Vernunft im Auge hat, aus welcher er die Tugend ableiten will, und daß er nach etwas Höherem strebt als dem, was man bürgerliche Tugend nennen kann, nach einer rein menschlichen Tugend, die auch aus der Befolgung anderer als der bürgerlichen Gesetze entspringt. Nur hier konnte er Grund und Natur dessen, was Recht und Unrecht,[363] und zwar nicht bloß heute und morgen oder hier und da, sondern dessen, was allgemein und ewig Recht und Unrecht ist, finden; nur wenn er die Untersuchung bis auf diesen Punkt zurückführte, konnte er den vulgaren Begriffen darüber auf immer abhelfen. Auf jeden Fall aber war es zweckmäßig, daß er, um auch andern seine Ueberzeugung mitzutheilen, von den vulgaren Begriffen ausging. Dieß that er, und dadurch wurde einerseits der ganze Gang seiner Untersuchung, er aber anderseits selbst bestimmt, den gemeinen und zum Gebrauch im Leben völlig zureichenden Begriff der Gerechtigkeit zu verlassen, und die Idee der höchsten Richtigkeit und Vollkommenheit der menschlichen Natur an seine Stelle zu setzen, welches mit andern Worten nichts anders heißt als: die Gerechtigkeit zur Tugend an sich zu erheben, wozu er mehr Grund und Recht hatte, als Wielands Aristipp ihm zugestehen will. Um aber bis auf diesen Punkt zu kommen, bedurfte es in der That aller der weitläufigen und künstlichen Vorrichtung, die Platon gemacht hat, und Aristipp hat hierin Unrecht.

Man muß wohl bedenken, daß Platon ja noch keineswegs die volle Wahrheit schon in den Händen hatte, sondern sie erst suchte, daß ihm zwar das Ziel hell und klar vor Augen war, daß er aber den Weg dahin noch nicht kennen konnte, und daß es einen gewissen Punkt gab, von dem er ausgehen mußte, der Punkt nämlich, auf den ihn selbst seine zwei größten Vorgänger gestellt hatten. Alles müßte mich trügen, oder Platon hatte zunächst den Sokrates vor Augen, der in Ansehung dessen, was Recht sey, noch ziemlich befangen war, denn er blieb meist bei dem stehen, was die Staatsgesetze gebieten, wobei aber dem Platon nothwendig die Bedenklichkeit aufstoßen mußte, ob denn alles, was die Staatsgesetze gebieten, auch Recht sey. Da mußte er nach einer andern Ableitung dessen, was Recht sey, sich umsehen, und zu erforschen suchen, was Recht an sich sey. Da stieß er auf die Pythagoräer, die ihn zur rechten Quelle leiteten, zu dem Grunde in der menschlichen Natur selbst. Hier fand er die vier Cardinal- oder Haupt-Tugenden, die Weisheit als die Tugend des Verstandes, Mäßigung und männlichen Muth (Tapferkeit) als Tugenden des Begehrungsvermögens, und endlich die Gerechtigkeit, die alle Tugenden zu Einer Tugend macht, die ganze Seele zu Harmonie stimmt, aber die keinem besondern Vermögen zugehörte. Platon bestimmte diesem gemäß den Begriff der Gerechtigkeit und konnte ihn ohne große Schwierigkeit auf seine Weise bestimmen, ohne der Sprache große Gewalt anzuthun, wie wir es in unserer Sprache mit[364] dem Worte Gerechtigkeit leicht auch können würden. Sie erschien ihm als die Beschaffenheit der menschlichen Natur, wie diese ihrem moralischen Vermögen zufolge seyn soll, als moralische Vollkommenheit.

Wenn nun Wielands Aristipp äußert, diese sey viel leichter ausfindig zu machen gewesen als auf Platons Wege, so übersieht er den Vortheil, den in den ersten Büchern Platon sich dadurch schaffte, daß er gleich alles zusammenfaßte, was beseitigt werden mußte, wenn seine Ideen Eingang finden sollten, – und dieß war nichts Geringeres als die Erfahrung des wirklichen Lebens, die Art der Erziehung und die Gegenstände des Unterrichts, der Einfluß der Sophisten und Redner, der Dichter und der Priester, – und daß er in dem Nachfolgenden auf Schwierigkeiten stoßen mußte, die, wenn sie uns leichter zu heben sind, es doch nicht für Platon seyn konnten. Er hatte seine Angabe zu erweisen aus der menschlichen Natur selbst, allein dazu fehlten ihm die Vorarbeiten der Psychologie und Anthropologie, zweier Wissenschaften, die er selbst erst, man kann wohl sagen neu zu schaffen hatte, und um die er sich, bei allem Einzelnen worin er irrte und irren mußte, im Ganzen so große Verdienste erwarb, daß ich noch jetzt für die dereinstige Vollendung dieser Wissenschaften keinen andern Weg weiß als den er einschlug. Was als Ahnung der Wahrheit in der Tiefe seiner Seele lag, war wohl kaum auf geradem Wege mitzutheilen möglich, und er schlägt daher einen Weg ein, der, wie Garpe sagt, dem Dichter mehr als dem Philosophen ansteht, den Weg der Vergleichung. Wielands Aristipp urtheilt hierüber sehr richtig, wenn er sagt: »Die Gerechtigkeit besteht, nach ihm, in dem reinsten Zusammenklang aller Kräfte zur möglichsten Vollkommenheit des Ganzen unter der Oberherrschaft der Vernunft. Um dieß seinen Hörern anschaulich zu machen, war es allerdings der leichtere Weg, zuerst zu untersuchen wie ein vollkommen wohl geordneter Staat beschaffen seyn müsse, und erst dann, durch die entdeckte Ähnlichkeit zwischen der innern Oekonomie unsrer Seele mit der wesentlichen Verfassung und Verwaltung eines wohlgeordneten Gemeinwesens, die wahre Auflösung des Problems ausfindig zu machen. Auf diese Weise wurden sie in der That vom Bekanntern und gleichsam in größern Charaktern in die Augen Fallenden auf das Unbekanntere geführt; denn was der Mensch gewöhnlich am wenigsten kennt, ist das Innere dessen was er seine Seele nennt.«

Was Platon von der Staatsverfassung sagt, soll also bloß Mittel zu dem Zwecke seyn, die ideale Menschennatur kennen zu lehren. Wenn[365] dieß geschehen sollte, so mußte Platon auch das Ideal einer Staatsverfassung schaffen, wobei mir nicht unwahrscheinlich ist, daß er eigentlich nur die ägyptische Verfassung mit ihrem Kastenwesen idealisirt habe. Wie dem aber sey, genug er schafft ein solches Ideal, und zwar ganz sichtlich zum Behuf der Vergleichung. Die Vergleichungspunkte, die er durchführt, sind der einzelne Mensch und der Staat, die drei Seelenformen des Menschen und die Stände des Staates, die Tugenden und eben diese Stände. So erhält er folgende Parallele:


Stand der

Regierenden =Seelenform

der Vernunft =Weisheit

und Klugheit;


Stand der

Beschützenden =Seelenform

des Affects =Tapferkeit;


Stand der

Gewerbetreibenden =Seelenform

des Begehrens =Mäßigung;


wobei man leicht bemerken kann, daß von den Cardinaltugendcn nur drei angeführt werden, die vierte aber, um deren Wesen es der Untersuchung gerade zu thun ist, noch nicht zur Erscheinung kommt. Hierin liegt nun aber auch die Hauptschwierigkeit, wie einst für Platon selbst, so für jeden, der ihn verstehen will, und zwar entspringt diese Hauptschwierigkeit aus der dem Platon eigenen Bestimmung des Begriffs der Gerechtigkeit. Hätte er diesen im gewöhnlichen Sinne gefaßt, so hätte er die Gerechtigkeit bloß darstellen können als eine Pflicht, als Gesetzmäßigkeit der Handlungsweise. Er hatte sie aber aufgefaßt als Vollkommenheit, und dieß veränderte den ganzen Gesichtspunkt, den man jedoch schwerlich finden wird, wenn man sich von dem deutschen Worte Vollkommenheit läßt irre leiten. Diese ist in Platons Sinne nicht etwa ein zu Stande gebrachtes, ruhendes, unthätiges Product, nicht eine Wirkung oder ein Werk jener drei Seelenformen oder Tugenden, sondern vielmehr eine Kraft, und zwar die Kraft der Gesinnung, des sittlichen Willens, wodurch alle Tugeuden erst zu Tugend werden, und in dieser Hinsicht die Tugend selbst. Aus dem Wirken dieser Kraft geht erst ein Product hervor, die Gesundheit, Wohlgestalt, Schönheit der Seele, welche zuletzt als Gottähnlichkeit dargestellt wird.[366]

Wohl könnte man wünschen, daß Platon zur Bezeichnung jener Kraft sich eines andern Wortes als des der Gerechtigkeit bedient haben möchte: wie nun aber, wenn er, ohne sich gerade dieses Wortes zu bedienen, weder selbst auf diese Höhe des Standpunktes gekommen wäre, noch uns darauf hätte führen können? Mir scheint, daß Platon in seiner Untersuchung gerade darum, weil er von dem Begriff der Gerechtigkeit ausging, mit dessen gewöhnlicher Bestimmung er nicht zufrieden war, auf eine höhere Ableitung desselben kam, und daß eben dieses ihn auf die wichtigsten Entdeckungen im Gebiete der Ethik sowohl als der Politik führte. Indem sich bei ihm, wie Schleiermacher in seiner Kritik der Sittenlehre sich ausdrückt (S. 325), »diejenige Tugend, welche sich am meisten auf die Verhältnisse gegen Andre zu beziehen scheint, als diejenige zeigt, welche der Mensch am meisten in und gegen sich selbst zu üben hat, und welche allein ihn in sich selbst zu erhalten vermag« oder wie es an einer Stelle heißt (S. 250), indem er die Gerechtigkeit nicht bloß als gesellige Tugend, sondern als »die gleiche auf den Handelnden selbst sich beziehende Gesinnung aufsuchte,« entdeckte er den reinen Tugendbegriff selbst, und stellte diesem gemäß die Tugend als etwas lediglich Innerliches dar, als diejenige Gesinnung, denjenigen Willen, wodurch erfüllt werden ohne Hinsicht auf Lohn oder Strafe die Gesetze der Vernunft, die zugleich die Gesetze der Gottheit sind. Nur aber wenn dieß gefunden war, konnte die bürgerliche Gesetzgebung als etwas Untergeordnetes erscheinen, und Platon auf den Gedanken kommen, daß auch die Politik auf der sittlichen Idee ruhen solle. Daß sie nicht darauf ruhe, so wenig als das gewöhnliche Leben der Menschen, sah er vollkommen klar und bewies es, indem er die Wirklichkeit im Contraste mit seinem Ideal in einer neuen Parallele aufstellte, gegen die Eine Staatsverfassung nämlich, wie sie seyn soll – Monarchie oder Aristokratie, Regierung der Vernunft und des Guten – wie sie sind, eben so viele als Leidenschaften das menschliche Leben von der Vernunft und Sittlichkeit zur Abweichung bringen. Er stellt darum gegenüber


der Timokratiedie Ehrsucht

dcr Oligarchiedie Habsucht

der Demokratiedie Genußsucht

der Tyranniedie Herrschsucht;


bei welcher Schilderung ihm unverkennbar wirkliche Staaten und Personen vorschwebten. Indem er ihren verdorbenen Zustand und ihr zweckwidriges Treiben schilderte, durfte er hoffen, die Ueberzeugung zu[367] bewirken, daß von ihnen die zuverlässige Regel dessen, was Recht sey, nicht entnommen werden könne, und daß die positive Gesetzgebung von einer höheren das Gesetz erhalten müsse. Selbst hievon überzeugt, stellte er die Idee der Menschheit und des Staates in das reinste Licht, und verknüpfte beide durch ein gemeinschaftliches Band, durch die Idee der Sittlichkeit. Das Verhältniß der Menschheit und des Staates zu der Idee der Sittlichkeit stellt er als völlig gleich dar, und man muß annehmen, daß, dieses zu zeigen, sein Hauptzweck war. Deßhalb kann ich Morgenstern nicht beistimmen, wenn er die Aufstellung der Staatsverfassung für den vorzüglichsten Nebenzweck in diesem Dialog ausgibt. Platon sieht den Staat aus dem Gesichtspunkte der Menschheit an, und die Menschheit aus dem Gesichtspunkte des Staats – wie er denn am Ende seiner Parallele selbst sagt, daß der Mensch in sich einen Staat darstelle – und so konnte er beide nicht von einander trennen; die gleichmäßige Betrachtung beider war ihm nothwendig, und man wird nun, zumal wenn man bedenkt, um wie viel wichtiger der Staat einem Griechen erschien als uns, errathen können, warum er seinem Dialog die Ueberschrift gab: von der Staatsverfassung (Politeia), und – warum er damit mißverstanden wurde.

»Die Platonische Republik, sagt Kant (Krit. d.r. Vft. S. 372), ist, als ein vermeintlich auffallendes Beispiel von erträumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des müßigen Denkers ihren Sitz haben kann, zum Sprüchwort geworden, und Brucker findet es lächerlich, daß der Philosoph behauptete, niemals würde ein Fürst wohl regieren, wenn er nicht der Ideen theilhaftig wäre. Allein man würde besser thun, diesem Gedanken mehr nachzugehen, und ihn (wo der vortreffliche Mann uns ohne Hülfe läßt) durch neue Bemühungen ins Licht zu stellen, als ihn, unter dem sehr elenden und schädlichen Vorwande der Untbunlichkeit, bei Seite zu setzen«. So billig wie Kant ließen nicht Philosophen und Staatsmännern der Absicht Platons Gerechtigkeit widerfahren, und am allerwenigsten die, welche sich eingebildet hatten, Platon habe hier eine ausführliche Theorie der Staatsverfassung liefern wollen; ein Gedanke, den sie nicht gefaßt haben würden, wenn sie, was ihnen zuzumuthen war, diese Schrift mit Platons übrigen politischen Schriften verglichen hätten, bei dem es ihnen aber ganz leicht wurde, den Philosophen einer eben so großen Mangelhaftigkeit als Oberflächlichkeit zu beschuldigen.

Den größten Anstoß bei diesem Dialog hat man indeß von jeher[368] an einzelnen jener Vorschläge und Ausführungen genommen, welche, nach Morgensterns Ansicht, als Nebenzwecke mit dem Hauptzwecke in Zusammenhang gebracht worden sind: 1) psychologischer Grundriß von dem Seelenvermögcn des Menschen, 2) Grundriß einer Encyklopädie der Wissenschaften; 3) Ideen über Erziehung und Unterricht; 4) die mit der Gotteslehre zusammenhängende Ideenlehre; 5) die Schilderung eines ächten Philosophen; 6) Grundriß einer Theorie und Kritik der schönen Künste, die zum großen Theil, wegen ihres schädlichen Einflusses auf die Sittlichkeit, aus dem Staate verbannt werden sollen; 7) Gemeinschaft der Weiber, Kinder und Güter bei der Kriegerkaste. Daß jeder die ser Punkte von der Art sey, um uns geradeswegs auf den Tummelplatz streitiger Meinungen zu führen, sieht man auf den ersten Blick; es ist daher unmöglich, daß wir uns auf jeden einzeln hier einlassen könnten. Bleiben wir also bei der Frage stehen, ob sie als bloße Episoden zu betrachten sind, und ob sie wesentlich in diese Untersuchung gehörten oder nicht.

Hat man die Absicht der ersten Bücher richtig gefaßt, so entdeckt man bald, daß hier ein neuer Parallelismus statt findet. Platon sucht hier jedem, was er dort als aus der Wirklichkeit zu beseitigend zusammengefaßt hatte, das Bessere, oder vielmehr das, was seyn soll, entgegen zu stellen, der Erfahrung des wirklichen Lebens die wahre Beschaffenheit der Menschennatur, der Art der Erziehung und des Unterrichts nicht nur eine bessere Methode, sondern auch den Geist der Wissenschaftlichkeit und ächten Philosophie, den Sophisten seinen Weisen, den Dichtern und Rednern seine Kritik der schönen Künste, die er nicht ohne deren Theorie vortragen konnte, und den Priestern – am behutsamsten – seine Ideen- und Gotteslehre, die mit seiner Tugendlehre aufs innigste zusammenhängt. Nur für den siebenten der angeführten Punkte findet sich keine solche Beziehung auf ein Vorhergehendes, und man kann das so ausführliche Detail über ihn allerdings als eine müßige Episode betrachten, dahingegen, wenn man auch die Ausführung der übrigen Punkte aus dem Gesichtspunkte der Episoden betrachten will, man sie keineswegs als müßige ansehen kann, indem sie wesentlich in das Ganze eingreifen. Was ihre Anlage betrifft, so ist vielleicht mehr Kunst darin, als man bisher vermuthct hat; die allzuverborgene Kunst aber scheint gerade hier dem Künstler geschadet zu haben, da doch alte ohne Ausnahme geurtheilt haben, Platon habe sich – wie Fülleborn am billigsten sich ausdrückt – seines Hauptzwecks uneingedenk, es sey durch Zeitumstände, es sey[369] durch die Neuheit seiner Ideen verleitet, sich in zu detaillirte Vorschläge ausgelassen.

Will man nun nach diesen Andeutungen Aristipps Beurtheilung beurtheilen, so dürfte sich finden, er habe den Hauptzweck nicht völlig genau aufgefaßt, der Absicht Platons keine volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, auf die Mangelhaftigkeit der Mittel zu Erreichung des Zweckes keine billige Rücksicht genommen, dagegen in Einzelnem richtiger gesehen, treffender geurtheilt als die meisten, und über die Form, wenn ihm gleich, wie allen, ein Hauptpunkt verborgen geblieben war, doch das Vorzüglichste gesagt, was über dieses merkwürdige philosophisch-poetische Kunstwerk bisher gesagt worden ist. Man vergesse nun aber bei dem allem nicht, daß Aristipp es ist, welcher hier urtheilt, und daß Wieland, gesetzt auch er selbst wäre so Platonisch als Platon selbst gewesen, diesen doch nicht in einen Platonikcr hätte verwandeln dürfen.


9. Brief.

32 Platon, dessen Akademie hiedurch ironisch den Mysterien, wie er selbst dem Oberpriester derselben, dem, der das heilige Wort ausspricht, gleichgestellt wird.


10. Brief.

33 Zu dem, was früher hierüber gesagt worden, will ich hier nur die eben so kurze als treffende Schilderung derselben von Schleiermacher beifügen. Dem Platon, sagt er, erscheint das unendliche Wesen nicht nur als seyend und hervorbringend, sondern auch als dichtend, und die Welt als ein werdendes, aus Kunstwerken ins Unendliche zusammengesetztes, Kunstwerk der Gottheit. Daher auch, weil alles Einzelne und Wirkliche nur werdend ist, das unendliche Bildende aber allein seyend, sind ihm auch die allgemeinen Begriffe die lebendigen Gedanken der Gottheit, welche in den Dingen sollen dargestellt werden, die ewigen Ideale, in welchen und zu welchen Alles ist. Da er nun allen endlichen Dingen einen Anfang setzt ihres Werdens, und ein Fortschreiten derselben in der Zeit, so entsteht auch nothwendig in allen, denen eine Verwandtschaft mit dem höchsten Wesen gegeben ist, die Forderung, dem Ideale desselben anzunähern, für welche es keinen andern[370] erschöpfenden Ausdruck geben kann als den, der Gottheit ähnlich zu werden.


34 Das Selbstgute, das Gute an sich, das vollkommene Gute, ist der Name, welchen Platon der Gottheit gibt, gewiß nicht allein, um sich von dem priesterlichen System zu unterscheiden, sondern weil das Gefühl eines moralischen und religiösen Bedürfnisses ihn bei seinem Philosophiren leitete. – Diejenigen, welche gemeint haben, daß davon Wieland nichts gewußt, müssen – nebst vielem andern von ihm – auch diesen Brief Speusipps nicht gelesen haben; und wer wollte läugnen, daß ihnen allerdings ihre Beurtheilung oder Verurtheilung dadurch sehr erleichtert worden ist! – Möge nur nicht der folgende Brief, der leider von Aristipp ist, die gute Meinung wieder vertilgen!


11. Brief.


35 Agave, die Tochter des Kadmos, des Stifters von Theben in Böotien, war vermählt mit Echion, dem sie den Pentheus gebar. Dieser widersetzte sich der Einführung der neuen Religion des Bakchos, welcher dafür eine grausame Rache nahm, denn er verwirrte den Sinn des Pentheus und seiner Mutter, die in Bakchischer Wuth das Haupt ihres Sohnes abriß, wähnend einen Löwen getödtet zu haben. So in den Bakchischen Frauen des Euripides.


36 Im Apollonstempel zu Delphi fand man die dreimal in Gold, Erz und Holz ausgeführte Aufschrift Ει, welches eben so wohl ist als wenn oder ob bedeuten kann. Plutarch hat über dieß Räthsel eine eigne Abhandlung geschrieben.


37 Homer in der Ilias 18, 373 berichtet, Hephästos habe Dreifüße verfertigt und


Goldene Räder befestigt' er jeglichem unter den Boden,

Daß sie aus eigenem Trieb in die Schaar eingingen der Götter,

Dann zu ihrem Gemach heimkehrten, Wunder dem Anblick.


Ideen s. die Anm. zu den Briefen von Verstorbenen, 4. Br. Bd. 26. – Man muß hier bei Beurtheilung Platons in Anschlag bringen, daß[371] ihm die Wahrheit vorschwebte, daß er sie aber darum nicht zu fassen vermochte, weil ihm das Mittel dazu fehlte – die Theorie der Einbildungskraft.


12. Brief.

38 Der Athenische Astronom Meton, ein Zeitgenosse des Sokrates, machte sich einen unsterblichen Ruhm durch die Einführung der unter seinem Namen bekannten Periode (die güldene Zahl). Sie enthält 6940 Tage, welches bis auf wenige Stunden 19 Sonnenjahre und 235 Monate ausmacht, nach deren Verlauf die Neu- und Vollmonde wieder auf dieselben Tage des Jahres fallen.


13. Brief.

39 Odysseus, s. Odyssee 9, 94 fgg.


40 Die griechische Name von Karthago.


41 Von gestorbenen Kindern gebrauchte der Grieche den Ausdruck, Aurora habe sie entführt.


14. Brief.


42 Dieser Zeitgenosse des ältern Dionysius, nach Einigen aus Naukratis, nach Andern aus Syrakus gebürtig, war eine Zeitlang mit jenem Tyrannen aufs engste verbunden und ihm durch seinen Reichthum sehr nützlich, erregte aber dann durch die, ohne des Tyrannen Wissen, mit der Tochter von dessen Bruder Lepines geschlossene Ehe Verdacht gegen sich, ward verwiesen, und begab sich nach Adria, wo er seine Muse dazu benutzte, die Geschichte Siciliens zu schreiben, die aus 13 Büchern in 2 Abtheilungen bestand, deren zweite mit Dionysius anhub. Unter mehreren Andern rühmt ihn auch Cicero, der über ihn an seinen Bruder (Epp. ad Quint. Fratr. 2, 13 Ausg. von Schütz Bd. 2, Br. 134) also schreibt (Wielands Uebers. Bd. 2, S. 369): »der Sicilianer (Philistus) geht immer auf den Grund der Sache, ist gedankenreich, scharfsinnig, gedrängt, beinahe ein kleiner Thucydides. Ich weiß aber nicht, welches von seinen Werken du hast,[372] denn ihrer sind zwei, oder ob beide? Ich finde vorzügliches Vergnügen an seinem Dionysius, der ein durchtriebener alter Schlaukopf und dem Philistus durch und durch bekannt war.« Den meisten Nachrichten zufolge ward er erst unter Dionysius dem Jüngeren zurückberufen, und zwar nicht ohne Betrieb der Höflinge, die durch ihn gegen den Einfluß Platons und Dions ein Gegengewicht zu erlangen hofften, und in dieser Hoffnung sich nicht betrogen, denn er wirkte dem Platon auf alle Weise entgegen und bewirkte hauptsächlich Dions nachmalige Vertreibung. In dem von diesem hierauf begonnen Kriege kam Philistus mit einer Flotte dem Dionysius zu Hülfe, wurde geschlagen, und soll nach Einigen sich selbst entleibt haben, nach Andern von Dions Truppen umgebracht worden seyn. Er wird geschildert nicht bloß als Freund der Tyrannen, sondern auch der Tyrannei, und von Plutarch erfahren wir (im Leben Dions), daß er eben so bittre Tadler als übertriebene Lobredner fand. Dieß nun scheint Wieland veranlaßt zu haben, auch hier die Wahrheit in der Mitte zu suchen. Die Schilderung, die er von diesem so geistreichen und gewandten als zweideutigen Mann entwirft, vergleiche man mit dem, was Sevins über ihn im 19. Bande der Mémoires de l'Académie des inscriptions gesagt hat.


16. Brief.

43 Wenn man mit Rochow Philosophiren durch das, sonst für Raisonniren einigermaßen gebräuchlich gewordene, Vernunften übersetzen will, so dürfte dieß schwer übersetzliche Wort vielleicht durch Narrheit-vernunftend ausgedrückt werden, da es von den Morosophen, den närrisch-Weisen, doch unterschieden werden muß.


44 Gesellschafter, Schüler.


45 Solöcismen, nennen die Sprachlehrer alle Eigenthümlichkeiten der schlechten Art, wie man vermuthet nach der Stadt Soli in Cilicien, der eine schlechte Mundart eigen gewesen seyn muß.


17. Brief.

46 Wäre Aristipp mit der Theorie der Temperamente und einigen nachfolgenden Philosophen bekannt gewesen, so würde er ohne Zweifel versucht haben, die verschiedenen[373] Gattungen der Philosophen auf diese zurückzuführen, und dürfte dann gesagt haben, daß die Natur den Sanguiniker zum Aristipp-Epikur und allenfalls zum Cyniker, den Choleriker zum Stoiker, den Melancholiker zum Platoniker, und den Phlegmatiker zum Aristoteliker geschaffen habe. Hätte er ferner zu seiner Zeit schon wissen können, daß überhaupt nur vier verschiedene Systeme der Metaphysik möglich sind, so würde er auch diese eben so auf jene Temperamente zurückgeführt haben, wie Kant die verschiedenen Religionsansichten. Um den Aerger der Leute, die da meinen, daß Ein Schuh an jeden Fuß passen müsse, würde er sich vermuthlich wenig gekümmert haben.


18. Brief.

47 War der Bruder des berühmten Feldherrn und Befreiers Siciliens, Timoleon, durch dessen Hand (wenigstens nach Diodor, von welchem Plutarch abweicht) jener fiel, weil er nach der Alleinherrschaft strebte, und durch gütliche Vorstellungen von seinem Vorhaben sich nicht abbringen ließ.


Mit diesem Briefe hat Wieland diese Sammlung geschlossen, allein, wie es scheint, nicht beendigt, weder in Hinsicht auf Aristipp, noch auf die Ereignisse jener Zeit. Wie diese Sammlung jetzt ist, reicht sie bis auf den Tod des alteren Dionysius, also bis in das Jahr 368 vor unserer Zeitrechnung. Angenommen, daß nach der großten Wahrscheinlichkeit Aristipp bei dem Tode des Sokrates 25 Jahre zählte (Anm. zu Bd. 22 Einl.), so stand er jetzt in einem Alter von 56 Jahren. Gerade jetzt aber kommt erst noch die wichtigste Periode seines Lebens, nämlich die Regierungszeit des jüngern Dionysius, erst bis zur Vertreibung desselben durch Dion i.J. 355, und dann bis zu dessen Verweisung nach Korinth i.J. 343. Kurz zuvor erst hatte sich Aristipp, ein etwa achtzigjähriger Greis, vom Hofe dieses Tyrannen nach Athen begeben. Diese Zeit nun aber, welche Aristipp am Hofe zu Syrakus zubrachte, mag wohl die wichtigste zu seiner Beurtheilung genannt werden, indem die Anekdotensammler des Alterthums eben aus ihr das Meiste berichten, was ihm bei der Nachwelt so bösen Leumund gemacht hat, daß Viele sich für berechtigt[374] hielten, ihn für etwas weit Verächtlicheres als einen bloßen Hofnarren zu erklären. Daß Wieland, nach der gemachten Anlage, einen ganz andern Gesichtspunkt für die Beurtheilung gefaßt haben würde, ist keinem Zweifel unterworfen, und gewiß würde seine Darstellung sehr anziehend gewesen seyn. Wie sehr indeß auch dieser Verlust zu beklagen seyn mag, so ist es doch ein anderer weit mehr. Die wichtigsten Ereignisse aus der philosophischen und politischen Welt fallen in diesen Zeitraum, und sie zu schildern und auf seine Weise zu beurtheilen, hatte Aristipp die dringendste Veranlassung. Wer sollte nicht erwarten, daß die zweimalige Reise Platons zu dem jüngeren Dionysius und der Aufenthalt an dessen Hofe die Veranlassung gegeben haben würde, den Punkt über die Platonische Republik vollends ins Reine zu bringen, und zur Beurtheilung der ganzen Platonischen Philosophie wenigstens einen Blick auf Aristoteles geworfen zu sehen, auf diesen wichtigsten Schüler und Gegner Platons, dessen Blüthe in diese Periode fällt! Wer sollte nicht erwarten, daß Aristipps Tochter Arete, durch welche die Kyrenaische Schule fortgesetzt wurde, gerade von jetzt an noch weit mehr würde hervorgehoben worden seyn! Und wie viel Wichtiges bot die politische Welt dar! Abgesehen von der Schilderung des Dionysischen Hofes, und so interessanten Personen, als in Philistus, Dion und Timoleon dabei vorkommen; abgesehen von der Umgestaltung der Dinge, die sich in Kyrene vorbereitete: fällt nicht in eben diese Zeit die wichtigste Umgestaltung von ganz Griechenland durch die Macedonischen Könige? Fällt nicht der Anfang einer neuen Periode der Poesie und Kunst in diese Zeit? – Man müßte die vorliegende Briefsammlung wenig aufmerksam gelesen haben, wenn man nicht wahrgenommen hätte, daß Wieland die Anlage dazu gemacht hat, alle diese Gegenstände in den Kreis seiner Darstellung zu ziehen, sehr auffallend sogar noch in dem letzten Briefe. Bei dieser Anlage ist es aber auch geblieben, und so hat Wieland es seinen Lesern überlassen, in seinem Agathon, Diogenes und Krates einen Thcil dessen zu suchen, was er sie hier vermissen läßt, in Ansehung des Uebrigen aber ihre eigne Divinationsgabe zu versuchen, welcher der Herausgeber auf die Spur zu helfen gewiß nicht einmal nöthig gehabt hätte.

Fußnoten

A1 Nämlich durch das fürchterliche Geschrei, welches er die in des Donnerers allzufeuriger Umarmung sich verzehrende und vor Angst und Schmerz zu früh von dem jungen Bacchus entbundene Semele erheben ließ; wie aus einer Stelle im Athenäus, Bd. VIII. Kap. 5. erhellet; denn eine andere Art von Unziemlichkeit ist hier nicht zu vermuthen.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 24, Leipzig 1839.
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