Astronomische Jahrbücher [1]

[329] Astronomische Jahrbücher, Annalen oder besser Ephemeriden, die den Zwecken der praktischen Astronomie und der wissenschaftlichen Astronomie dienenden, für jedes Jahr in einem Band erscheinenden Sammlungen von Zahlentafeln, die insbesondere die Oerter der Gestirne (Fixsterne, Planeten, Sonne, Mond) und andre astronomische Daten liefern (Elemente der Finsternisse und Bedeckungen u.s.w.).

Neben dem Instrumentarium ist ein astronomisches Jahrbuch das unentbehrliche Hilfsmittel direkter geographischer Ortsbestimmung und Zeitbestimmung. Die Jahrbücher erscheinen mit Rücksicht auf längere Forschungsreisen u.s.w. meist einige Jahre voraus, was nur für den Mond unter Umständen nachträgliche Verbesserungen erforderlich macht.

Die wichtigsten Jahrbücher unter den jetzt bestehenden sind: The Nautical Almanac and Astronomical Ephemeris, seit 1766 in Greenwich bearbeitet und in London erscheinend (von Maskelyne begründet); die Connaissance des Temps ou des Mouvements Célestes, seit 1678 in Paris erscheinend (von Picard begründet; der erste Band war der für 1679; seither nie unterbrochen, das älteste der astronomischen Jahrbücher nach modernem Begriff); das Berliner Astronomische Jahrbuch (seit 1776 in Berlin erscheinend, von Bode begründet); endlich The American Ephemeris and Nautical Almanac (in Washington erscheinend). Preis in Deutschland: Naut. Alm. 31/2 ℳ., Conn. d. T. 4 ℳ., Berl. Astr. Jahrb. 12 ℳ., Americ. Eph. 71/2 ℳ. Am weitesten verbreitet ist der Nautical Almanac; die Connaissance des Temps war an Bequemlichkeit der Einrichtung u.s.w. hinter jenem zurückgeblieben, ist ihm aber durch vielfache Verbesserungen und Erweiterungen in den letzten drei Jahrzehnten wieder vollständig ebenbürtig, in manchen Teilen sogar überlegen geworden. – Aeltere, wieder eingegangne Jahrbücher dieser Art sind hier nicht zu nennen; die ersten Ephemeriden hat Regiomontan für 1475–1506 herausgegeben.

Neben den genannten großen Jahrbüchern erschienen auch (als Auszüge aus jenen) kleinere Jahrbücher, besonders für die Nautik und für solche geographische Ortsbestimmungen auf dem festen Land, bei denen nicht die äußerste Genauigkeit angestrebt wird (auf Forschungsreisen u.s.w.); sie enthalten meist etwas abgerundete Zahlen, z.B. die geraden Aufsteigungen (Rektaszensionen) auf 0,1s, die Abweichungen (Deklinationen) auf 1''. Obenan zu stellen ist das für die deutsche Nautik bestimmte Nautische Jahrbuch, herausgegeben vom Reichsamt des Innern in Berlin (21/2 Jahre voraus erscheinend, Preis 11/2 ℳ.). Doch sind seit kurzem (vom Jahrgang für 1903 an) die Zahlenangaben dieses kleinen Jahrbuchs so stark abgerundet worden, daß sie für manche Zwecke auch der weniger seinen Messungen auf dem festen Land nicht mehr ganz ausreichen (AR. auf 1 und δ auf 0',1); es seien deshalb noch genannt die »Astronomisch-Nautischen Ephemeriden« der österreichisch-ungarischen Marine (Triest, deutsche Ausgabe, in der Anordnung u.s.w. ziemlich genau mit dem Nautischen Jahrbuch übereinstimmend, aber in der AR. 01 und in δ 1'' festhaltend, wie früher das Naut. Jahrbuch; beide sind im wesentlichen Auszüge aus dem Nautical Almanac). Vgl. dazu die Notiz von Hammer in [1]. Ferner seien genannt der spanische Almanaque Nautico (San Fernando bei Cadiz; der Jahrgang für 1904 ist Band 113); der Extrait de la Conn. des Temps (vom Bureau des Longitudes in Paris, Auszug aus seinem großen Astronomischen Jahrbuch, Preis in Deutschland 1 ℳ.). Ueber andre kleinere Jahrbücher dieser Art s. [2].

Mehr populäre Zwecke verfolgen die ebenfalls von Sternwarten bearbeiteten Annuaires, Astronomischen Kalender u.s.w., die zwar auch noch (gröbere) Oerter einzelner Gestirne (gerade Aufsteigung und Abweichung der Sonne u.s.w.) liefern, im übrigen aber den Hauptwert auf Angabe der Sonnen- und Mondauf- und -untergänge u. dergl. legen. Genannt seien wenigstens das französische Annuaire (1795 begründet, wie die Conn. des Temps vom Bureau des Longitudes herausgegeben, Preis in Deutschland 1 ℳ. 75 Astronomische Jahrbücher [1]), das neben Kalendarium und astronomischen Daten sehr umfangreiche physikalische, chemische, geographisch-statistische u.s.w. Tabellen und populäre Abhandlungen über wissenschaftliche Gegenstände enthält; das belgische Annuaire de l'Observatoire de Bruxelles; das Annuaire astronomique (et météorologique) von Flammarion (Paris, bei uns 1 ℳ. 50 Astronomische Jahrbücher [1].; 1904 im 40. Jahrg.); der Astronomische Kalender, von der Wiener Sternwarte bearbeitet und nur den Zwecken der populären Astronomie dienend (Jahrgang für 1904 ist 66. Bd., Preis 2 ℳ. 40 Astronomische Jahrbücher [1].); der K. Preuß. Normalkalender, mit besonderen Erläuterungen zu den veränderlichen Tafeln und populären Mitteilungen zum astronomischen Teil. – Auf die ganz populären Kalendarien, die von der Zeit ihrer Begründung her noch allerhand astrologisch-astronomisches Beiwerk mitschleppen (Aspekten, Konstellationen u.s.w.), ist hier nicht einzugehen; vgl. über diese populären Jahrbücher [3], z. T. auch [2]. – Zu erwähnen ist noch, daß die Zeitangaben eines astronomischen Jahrbuchs sich selbstverständlich auf die Zeit eines bestimmten Meridians der Erde beziehen müssen; es ist dies der Meridian der Sternwarte, die das Astronomische Jahrbuch herausgibt, der sogenannte Ephemeridenmeridian. Für den Nautical Almanac und danach fast für alle für die Nautik bestimmten Jahrbücher, insbesondere[329] das oben hervorgehobene deutsche Nautische Jahrbuch und die österreichischen Astron.-Naut. Ephemeriden ist dies der Meridian von Greenwich; für die Conn. des Temps der des Pariser Observatoriums; für das Berliner Astronomische Jahrbuch der der Berliner Sternwarte; für den Wiener Astronomischen Kalender der der Wiener Sternwarte. Die Zeitangaben eines Jahrbuchs sind also unmittelbar nur für Orte auf dem Ephemeridenmeridian brauchbar, solche, bei denen die geographische Breite in Betracht kommt, sogar nur für den Ephemeridenort selbst; für andre Orte der Erdoberfläche sind Reduktionen (Interpolationen) notwendig.


Literatur: [1] Zeitschrift für Vermessungswesen 1903, Bd. 32, S. 451–454. – [2] Wislicenus, Astronom. Jahresbericht (jedes Jahr ein Band, z.B. Bd. 4 für 1902, Berlin 1903, S. 22–36). – [3] Wolf, Handbuch d. Astron., I (2), Zürich 1891, S. 626–629 (zur Geschichte der Kalender); für die Geschichte der eigentlichen astronom. Ephemeriden ebend., II (2), Zürich 1893, S. 402.

Hammer.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 329-330.
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