Energetik

[448] Energetik wird nach Rankine [1] eine gewisse Richtung der Lehre von der Energie (s.d.) genannt, die diese Lehre möglichst selbständig zu gestalten und durch Verwertung gemeinsamer Eigenschaften der verschiedenen Energieformen die Bedingungen und den Verlauf beliebiger Veränderungen in der Natur zu ergründen sucht. Zur Rechtfertigung dieses Vorgehens wird betont, daß das Prinzip von der Erhaltung der Energie bei Uebergängen oder Umwandlungen von Energie nur über die Mengen der letzteren Aufschluß gibt, die Voraussetzungen für solche Veränderungen aber im Dunkel läßt.

Man suchte nun durch Einführung des Begriffs der Intensität zu einem zweiten Hauptsatze der Energetik zu gelangen, der in erster Linie aussagt [4], S. 62: »Jede Energieform hat das Bestreben, von Stellen, in denen sie in höherer Intensität vorhanden ist, zu Stellen von niederer Intensität überzugehen,« während im übrigen manche Abweichungen in der Auffassung vorkommen. Da die Wärme von Körpern höherer Temperatur nach solchen niederer Temperatur überzugehen strebt, so wäre für sie die absolute Temperatur (s.d.) als Intensität anzusehen. Meist suchte man nach dem Vorgange Rankines die Energie oder deren Aenderung durch zwei Faktoren auszudrücken (ähnlich der Beziehung dQ = TdP unter Energie), von denen der eine die Intensität sein soll, der andre die Kapazität oder deren Aenderung genannt wurde, wobei es nicht ohne etwas gesuchte Analogien abging. Manche Energetiker, wie Helm, nehmen auch die Versuche zur Rückführung aller Naturvorgänge auf bewegte Atome und deren Wechselwirkungen (vgl. Energie) für die Energetik in Anspruch [13], S. III, da ja allerdings bei vollständigem Gelingen dieser Versuche auch Aufklärung über alle Umwandlungen der Energie erlangt würde, wogegen Ostwald auf sämtlichen Gebieten der messenden Wissenschaften als gemeinsamen Begriff neben Raum und Zeit nur die Energie gelten läßt (so daß z.B. alle Beziehungen zwischen Erscheinungen verschiedener Art notwendig Gleichungen zwischen Energiegrößen sein sollen), eine Auffassung, die nach seiner Ansicht zur Ueberwindung jenes »wissenschaftlichen Materialismus« der Rückführung aller Naturvorgänge auf eine Mechanik der Atome führen wird [14].


Literatur: [1] Rankine, On the general law of the transformation of energy, Phil. Mag. 1853, Bd. 5, S. 106. – [2] Mach, Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit, Prag 1872. – [3] Popper, Die physik. Grundsätze der elektr. Kraftübertragung, Wien 1884. – [4] Helm, Die Lehre von der Energie, historisch-kritisch dargestellt, nebst Beiträgen zu einer allgem. Energetik, Leipzig 1887. – [5] Wronsky, Das Intensitätsgesetz und die Gleichartigkeit der analytischen Formen in der Lehre von der Energie, Frankfurt a. O. 1888. – [6] Ostwald, Die Energie und ihre Wandlungen, Leipzig 1888. – [7] Meyerhoffer, Der Energieinhalt und seine Rolle in Chemie und Physik, Zeitschr. f. physik. Chemie 1891, S. 544. – [8] Ostwald, Studien[448] zur Energetik, Verhandl. d. sächs. Ges.d. Wissensch. 1891 (weitere Auff. 1892–95); vgl. Naturwiss. Rundschau 1892, S. 117. – [9] Ders., Grundlinien der allgemeinen Energetik, Zeitschr. f. physik. Chemie 1892, S. 363, Auszug: Naturwiss. Rundschau 1892, S. 633, 645. – [10] Ders., Lehrbuch der allgem. Chemie, Bd. 2, Leipzig 1892. – [11] Schreber, Die Energie als zusammenfassendes Prinzip in der Physik, Naturwiss. Rundschau 1894, S. 480, 493. – [12] Helm, Mathem. Chemie, Leipzig 1894. – [13] Ders., Ueberblick über den derzeitigen Stand der Energetik, Beigabe zu Wied. Ann. 1895, Bd. 55. – [14] Ostwald, Die Ueberwindung des wissenschaftl. Materialismus, Naturwissenschaftl. Rundschau 1895, S. 557, 569 (Vortrag auf der Naturforscherversammlung zu Lübeck). – [15] Stark, Energie und Energetik, Technische Blätter 1895, S. 159. – [16] Boltzmann, Ein Wort der Mathematik an die Energetik, Wied. Ann. 1896, Bd. 57, S. 39. – [17] Planck, Gegen die neuere Energetik, ebend. 1896, Bd. 57, S. 72. – [18] Helm, Zur Energetik, ebend. 1896, Bd. 57, S. 646. – [19] Ostwald, Zur Energetik, ebend. 1896, Bd. 58, S. 154, 595. – [20] Mach, Die Prinzipien der Wärmelehre, Leipzig 1896, S. 328. – [21] Wiedeburg, Ueber nicht umkehrbare Vorgänge, Wied. Ann. 1897, Bd. 61, S. 705, und Bd. 62, S. 652; 1898, Bd. 64, S. 519. – [22] Helm, Die Energetik nach ihrer geschichtlichen Entwicklung, Leipzig 1898. – [23] Voß, Ein energetisches Grundgesetz, Sitzungsberichte der bayr. Akademie 1901, S. 53 (s.a. S. 167). – [24] Meyer, J., Einführung in die Thermodynamik auf energetischer Grundlage, Halle 1905.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 448-449.
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