Koexistenz elastischer Bewegungen

[543] Koexistenz elastischer Bewegungen. Wenn mehrere Gruppen von Ursachen einzeln Spannungen erzeugen, die sich beim Zusammentreffen aller Ursachen addieren, dann entsteht die unter dem Einflusse aller Ursachen resultierende Bewegung durch Uebereinanderlagerung der anfangs vorhanden gewesenen und der von den einzelnen Gruppen herrührenden Bewegungen, es können die Einzelbewegungen als nebeneinander bestehend angesehen werden. Erzeugt z.B. jede Ursachengruppe für sich Gleichgewicht, so wird auch beim Zusammenwirken mehrerer oder aller Gruppen Gleichgewicht bestehen.

Unter Voraussetzung dieses Prinzips der Koexistenz elastischer Bewegungen (Beweis desselben [4], S. 96) folgen die Bewegungen der Körperpunkte um die Gleichgewichtslagen, welche den gegebenen äußeren Kräften (s.d.) entsprechen, denselben Gesetzen wie die Bewegungen, welche die Körperpunkte um ihre anfänglichen Lagen bei Wegfall der erwähnten äußeren Kräfte ausführen würden. Die letzteren können also unberücksichtigt bleiben, wenn die fraglichen Bewegungen allein interessieren (Elastische Schwingungen, s. auch Interferenz). Lassen sich die Spannungen beispielsweise als lineare Funktionen einer Anfangsspannung P, einer Temperaturänderung τ, der Verrückungen ξ, η, ζ der Körperpunkte oder von Differentialquotienten dieser Verrückungen darstellen (s. Elastizitätslehre, allgemeine, Bd. 3, S. 391), so tritt für die Ursachen P, τ, ξ, η, ζ das Prinzip der Koexistenz ein. Dasselbe wurde hinsichtlich der Lichtbewegung zuerst von Huyghens erkannt [1]. In der Festigkeitslehre wird z.B. von dem Prinzip der Koexistenz Gebrauch gemacht, wenn man die vom Eigengewicht, der Verkehrslast, irgend welchen Einzellasten, Temperaturänderungen u.s.w. herrührenden Formänderungen getrennt ableitet und nachträglich addiert.


Literatur: [1] Huyghens, Tratte de la lumière, Leyden 1691. – [2] Clebsch, Theorie der Elastizität fester Körper, Leipzig 1862, S. 39. – [3] Castigliano, Theorie de l'équilibre des systèmes élastiques et ses applications, Turin 1880, S. 40, 47, 294 (Deutsche Ausgabe, Wien 1886, S. 33, 40, 293). – [4] Weyrauch, Theorie elastischer Körper, Leipzig 1884, S. 96, 188, 248 (Interferenz und Huyghens' Prinzip, S. 235, 238). – [5] v. Szily, Zugversuche mit auf inneren Druck beanspruchten Röhren, Kongreß des internationalen Verbandes s.d. Materialprüfungen d. Technik, Budapest 1901; Auszug: Baumaterialienkunde 1902, S. 332.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 543.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: