Salzsäure [1]

[563] Salzsäure, Chlorwasserstoff, Hydrochlor. a) Gasförmiger Chlorwasserstoff HCl; Mol.-Gew. 36,46, spez. Gew. 1,26 bei 17°. Farbloses Gas von stechend sauerm Geruch, an der Luft Nebel bildend, indem es sich mit der Feuchtigkeit der Atmosphäre zu wässeriger Salzsäure verbindet. Unter Anwendung von Kälte und Druck wird es zu einer farblosen beweglichen Flüssigkeit, die bei – 115,7° zu einer weißen Kristallmasse erstarrt. 1 Vol. Wasser löst bei 0° 500 Vol. HCl = 43 Gew.-Proz.; bei 20° 440 Vol. HCl = 371/2 Gew.-Proz. und bildet dann b) die Chlorwasserstoffsäure oder Salzsäure, eine farblose, bei genügender Konzentration an der Luft rauchende, stark saure Flüssigkeit, deren Siedepunkt je nach dem Gehalt an HCl und nach dem Luftdruck ein wechselnder ist. Wird konzentrierte Salzsäure erhitzt, so entweicht zuerst gasförmiger Chlorwasserstoff mit wenig Wasser, bis bei einer Temperatur von 110° eine Säure überdestilliert, welche 20,2% HCl enthält und die chemische Zusammensetzung HCl + 8H2O hat. Salzsäure löst die meisten Metalle und Metalloxyde unter Bildung von Chloriden bezw. Chlorüren. Freie wie gebundene Salzsäure gibt mit Silbernitratlösung weißes, käsiges, sich am Lichte schwärzendes Chlorsilber, das in Wasser unlöslich ist, sich dagegen leicht in Ammoniak löst.

Die wässerige Salzsäure ist das wertvollste Nebenprodukt bei der Sodadarstellung nach dem Leblanc-Prozeß; ein andres Verfahren, Salzsäure zu gewinnen, das Hargreaves-Robinsonsche (schweflige Säure, Luftsauerstoff und Wasserdämpfe geben mit Kochsalz: Natriumsulfat und Salzsäure) ist in England verbreitet, sonst aber nur vereinzelt vom technischen Großbetriebe aufgenommen. Ferner gewinnen einige Kaliwerke Salzsäure aus mit Magnesiumoxyd erstarrter Chlormagnesiumlauge durch Glühen im Wasserdampfstrom. Endlich werden große Mengen Salzsäure bei Darstellung der für künstlichen Indigo dienenden Monochloressigsäure erhalten; Näheres s. [1] und [3]. Bei dem Leblancschen Prozeß vollzieht sich die Umwandlung des Kochsalzes mit Schwefelsäure in Flamm- oder Muffelöfen (s. Sulfatöfen unter Soda) nach den Gleichungen: 2NaCl + H2SO4 = Na2SO4 + 2HCl oder NaCl + H2SO4 = NaHSO4 + HCl und NaHSO4 + NaCl = Na2SO4 + HCl. Den gasförmig entweichenden Chlorwasserstoff ließ man in der ersten Zeit nach der Einführung des Sodaprozesses als wertloses Nebenprodukt in die Luft gehen und erst, als auch die Anlage hoher Essen die Schädigung des Pflanzenwuchses durch die salzsauern Dämpfe in der Fabrikumgebung nicht aufhob, schritt man (in England 1863 durch die Alkaliakte gezwungen) zur Kondensation der Salzsäure. Je nachdem eine Salzsäure mit möglichst hohem HCl gehalt für den Verkauf oder eine solche von nicht so hoher Konzentration für die weitere Verarbeitung in derselben Fabrik erzeugt werden soll, sind verschiedene Kondensationsvorrichtungen in Gebrauch. Durchgehends ist heute in großen Betrieben die früher nur bei den Flammöfen angewendete getrennte Kondensation der Pfannen- und der Calcinierofensäure auch bei den Muffelöfen eingeführt, da die Pfannengase stets eine konzentriertere Säure liefern. Die Kondensation erfolgt in der Art, daß die aus dem Ofen tretenden Gase mit Wasser in Berührung gebracht werden, das schon fast gesättigt ist, während das an HCl ärmste Gas mit frischem Wasser zusammentrifft. Die Absorption findet entweder in tönernen Woulffschen Flaschen (bombonnes) oder in Trögen aus Sandstein oder in Koks- oder Plattentürmen statt; meistens wird hinter den Flaschen bezw. Trögen ein kleinerer Koksturm eingeschaltet, und auch die Kokstürme werden kaum allein, sondern fast immer in Verbindung mit einigen Flaschen oder Trögen benutzt. Die Gase werden aus den Flamm- und Muffelöfen durch gußeiserne Röhren, welche, solange die Gase heiß genug sind, nicht angegriffen werden, oder durch gemauerte Kanäle aus feuerfestem Material oder Sandsteinplatten[563] weggeführt. Nachdem sie auf etwa 120° abgekühlt sind, werden sie, wie es mit den nicht so heißen Pfannengasen direkt vom Ofen aus geschieht, durch Röhren aus Ton oder Steinzeug weitergeleitet. Man verwendet besser unglasierte und in Teer gekochte Tonröhren als die weniger widerstandsfähigen glasierten. Fig. 1 zeigt einen der zweckmäßigsten Kondensationstöpfe. Die im oberen Teil des Topfes befindliche Scheidewand zwingt die Gase, dicht über die Wasserfläche hinzustreichen; die konzentriertere Lösung sinkt zu Boden und fließt durch das von dort ausgehende Rohr in die folgende Flasche. Um hinreichenden Abfluß der Säure herzustellen, steht jede Flasche 2 cm tiefer als die vorhergehende. Die Kokstürme werden aus Steinplatten, aus Mauerwerk oder aus Ton, die Plattentürme aus Ton hergestellt. Die Wirkung des heute mehr und mehr abkommenden Waschturms, welcher hinter dem Koksturm noch eine Säure von ganz schwachem HC gehalt liefert, sucht man durch Vergrößerung des Koksturms zu erreichen. Als Beispiel eines mittelgroßen Betriebes geben die Fig. 2 und 3 (nach [1], S 322) die Einrichtung der Kondensation nach Schaffner in Aussig wieder, wo der aus Muffelöfen gewonnene Chlorwasserstoff in zwei Systemen für Pfannen- und Muffelgase getrennt aufgefangen wird. Die Pfannengase gehen durch die Tonröhrenleitung in das Vortürmchen A, während die heißeren Muffelgase durch den aus geteerten Steinen hergestellten Kanal in das Vortürmchen B gehen. In diesen beiden Vortürmchen stehen auf einem Steinrost Tonschalen übereinander, die viermal des Tages durch eine besondere Vorrichtung mit Wasser besprengt werden, um die mitgerissene Schwefelsäure an das Wasser abzugeben, da die Verwandtschaft der Schwefelsäure zum Wasser größer ist als die des Chlorwasserstoffs zum Wasser. Die in den Türmchen entstehende stark schwefelsäurehaltige Salzsäure wird zeitweise durch einen Tonhahn abgezogen. Die gleichzeitig durch das Passieren der Vortürmchen etwas abgekühlten Gase gehen dann durch je zwei Systeme von 53 Tonflaschen hindurch, deren erste Doppelreihen a die längeren Ansatzröhren r r zum Zwecke der Kühlung besitzen. Von den Flaschen aus gelangen die Gase unter die in den beiden Tontürmen befindlichen Roste, auf diesen stehen bis zu zwei Dritteln der Turmhöhe Tonschalen, während das obere Drittel mit Koks gefüllt ist. Aus den oben in den Türmen befindlichen Wasserbehältern (in Fig. 3 durch Fachwerk verdeckt) fließt Wasser, durch je ein Segnersches Wasserrädchen verteilt, auf den Koks. Die durch die Türme gestrichenen und noch nicht kondensierten Gase gehen durch je ein abwärtsgehendes Rohr in die große Flasche p, wo sich die beiden Systeme vereinigen und von welcher aus die Gase schließlich durch einen Kanal zur Esse geführt Werden. Um die aus dem Turin tretenden Gase stets beobachten zu können, befindet sich vor der Flasche p eine sogenannte Laterne mit Glasscheiben, auch sind an verschiedenen Stellen zwischen den Tonflaschen Glaszylinder angebracht, durch welche die Säure hindurchfließt, um daselbst mittels Aräometers kontrolliert zu werden. Zum Heben der Säure benutzt man Druckgefäße aus Ton oder Membranpumpen oder Pulsometer. Die Säure kommt mit ungefähr 8° Bé = 1,0597 spez. Gew 12% HCl aus dem Turm, geht durch die 53 Tonflaschen hindurch und hat dann in der ersten Tonflasche 22° Bé = 1,1782 spez. Gew. = ungefähr 35% HCl erreicht.

Behufs Reinigung der rohen, oft durch Eisen gelbgefärbten Salzsäure destilliert man die nicht zu konzentrierte Säure. Ein von Anwendung arsenhaltiger Schwefelsäure herrührender Arsengehalt wird durch Schwefelwasserstoff oder Schwefelbaryum oder Zinnchlorür oder Vanadiumchlorür oder durch Destillation mit Eisenchlorür entfernt, wobei das zuerst übergehende Destillat alles Arsen als Arsenchlorür enthalten soll. Die Schwefelsäure wird durch Zusatz von Baryumchlorid beseitigt.[564]

In den Handel gelangt die Salzsäure meistens in einer Stärke von 20–22° Bé, was einem Gehalt von 32–35% HCl entspricht. Zum Transport dienen Glasballons und große Tongefäße, die fest auf Eisenbahnwagen verankert sind. Verwendung findet die Salzsäure zur Darstellung des Chlors und Chlorkalks und andrer Chlorverbindungen. Reine Salzsäure vom spez. Gew. 1,124 (25% HCl) ist offizinell. Ueber Kondensation u.s.w. der Salzsäure s. [1]–[3].


Literatur: [1] Lunge, Handbuch der Sodaindustrie, Braunschweig 1894, 2. Aufl., Bd. 2, S. 243 ff. – [2] Muspratts Chemie, 4. Aufl., Braunschweig 1896, Bd. 6, S. 890 ff. – [3] Ost, Chemische Technologie, 6. Aufl., Hannover 1907, S. 85 ff.

(Rathgen) Moye.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 563-565.
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